Wsewolod Meyerhold

Ein Avantgardist durch und durch

Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold
Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold © Imago/ Itar Tass 20.3.1922
Von Karla Hielscher |
Ohne ihn ist das moderne Theater nicht zu denken: Wsewolod Meyerhold, russischer Regisseur, Schauspieler und Theaterpädagoge, gehörte zur linken Kunstavantgarde. Vor 75 Jahren starb er als Opfer des Stalinistischen Terrors.
"Ich möchte im Zeitgeist brennen. Ich wünschte, alle Diener der Bühne wären sich ihrer hohen Mission bewusst. Ja, das Theater könnte eine riesige Rolle beim Umbau alles Bestehenden spielen!"
Diese Worte schrieb Meyerhold 1901 in einem Brief an Anton Tschechow. Der revolutionäre Geist, der den Regisseur und Erneuerer des Theaters sein Leben lang antrieb, findet hier schon früh seinen Ausdruck. Für ihn waren politische und ästhetische Avantgarde untrennbar miteinander verbunden.
Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold wurde 1874 in Pensa als Sohn eines lutheranischen jüdisch-deutschen Branntweinfabrikanten geboren. Er studierte in der Schauspielklasse der Moskauer Philharmonischen Gesellschaft, die eine Keimzelle des 1898 von Konstantin Stanislawskij gegründeten Moskauer Künstlertheaters darstellte. In diesem Theater, mit dem in Russland die moderne Theaterkultur ihren Anfang nahm, wurde Meyerhold auch sogleich zu einem der führenden Schauspieler, und es ist sicher kein Zufall, dass eine seiner Paraderollen der von einem ganz anderen Theater träumende Kostja Trepljow aus Tschechows Komödie "Die Möwe" war.
Meyerhold, geprägt durch die psychologisch realistische Regiemethode des berühmten Stanislawskij, entwickelte sich bald zu dessen radikalem Gegenpol. Schon 1902 startete er seine selbständige Arbeit als Regisseur und suchte in den folgenden Jahren mit verschiedenen Studios und Truppen Wege zu einem antinaturalistischen symbolistischen Theater, in dem er mit den ästhetischen Traditionen des antiken Theaters, der Commedia dell´ Arte, des russischen Volkstheaters Balagan sowie der Musik und bildenden Kunst der zeitgenössischen Moderne experimentierte.
"Der Kampf gegen naturalistische Methoden ist nicht zufällig, sondern folgerichtig in der historischen Entwicklung."
Schlüsselfigur der linken Avantgarde
Die große Zeit Meyerholds kam nach der Revolution von 1917, als er voller Enthusiasmus den "Theateroktober" ausrief. Mitglied der Partei der Bolschewiki, in Lederjacke und proletarischer Schirmmütze, wurde er zu einer Schlüsselfigur der legendären linken Avantgarde, die Kunst und Leben miteinander verschmelzen wollte. Seine Inszenierungen dieser Jahre mit ihrer konstruktivistischen Bühnengestaltung, ihrer Agitationsästhetik und den Schauspielern, die nach der von ihm entwickelten, an Maschinenbewegungen orientierten Methode der Biomechanik agierten, sind Musterbeispiele der frühsowjetischen Revolutionskunst.
"Die Kostüme und Gegenstände sind ganz so wie im wirklichen Leben, ihr Produktionscharakter steht an erster Stelle, keinerlei dekorative Verzierungen, keinerlei Theaterbrimborium."
Wenige Jahre später wurde die Theaterarbeit Meyerholds – wie die der gesamten Avantgarde - als "formalistisch" und "der sowjetischen Kunst fremd" denunziert und verfolgt, und viele ihrer Vertreter in den Jahren des Stalinschen Terrors auch physisch ausgelöscht.
1939 wurde sein Theater geschlossen, Meyerhold selbst wenig später verhaftet, und seine Frau, die Schauspielerin Sinaida Reich, in ihrer Wohnung erstochen aufgefunden, eine Mordtat, die allgemein dem KGB zugeschrieben wurde. Die über 90-jährige Theater- und Filmwissenschaftlerin Maja Turowskaja erzählt:
"Ich war Schülerin im Theaterinstitut und ich erinnere mich an die Schließung des Meyerholdtheaters als an einen Schock. Und dann an die Verhaftung Meyerholds und den Überfall auf Sinaida Reich. Das war furchtbar! Ich habe dieses irgendwie schwarze Moskau im Kopf und dann die Gerüchte, die vielen Gerüchte! Das war überhaupt eine sehr schreckliche Zeit."
Am 2. Februar 1940 wurde Meyerhold nach furchtbaren Folterungen, die er in einem Brief an Molotow detailliert beschrieben hat, in den Kellern des Moskauer Butyrkij-Gefängnisses erschossen.
Maja Turowskaja: "Als Theaterhistorikerin will ich sagen, weshalb das vermutlich geschah: Meyerholds Theater war damals schon nicht mehr populär, obwohl er sogar eine schöne Aufführung der 'Kameliendame' von Dumas inszeniert hatte. Innerlich aber war er der geblieben, der er früher war: ein Vertreter der permanenten Revolution in der Kunst. (...) Ihm imponierte die Idee der permanenten Revolution, denn er war ein Avantgardist durch und durch! Und die Idee der permanenten Revolution die kam von Trotzki."
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