Deutschlands älteste Moschee stand mitten im Wald
Vor 100 Jahren wurde in Deutschland die erste Moschee gebaut. Angesiedelt war sie in einem Lager für Kriegsgefangenen. Jetzt haben Archäologen ihre Überreste ausgegraben. Unser Reporter Thomas Gith ist an den geschichtsträchtigen Ort gereist.
Rund 45 Minuten fährt die Regionalbahn von Berlin ins südlich gelegene Wünsdorf. Vorbei an Feldern und Wiesen, fort aus der Stadt.
In den kleinen Ort führt eine Kopfsteinpflasterstraße. Am Wegesrand: ein Bäcker, ein Friseur, ein Bestattungsinstitut. Dann plötzlich: Wald – und in ihm zahllose leere und verfallene Gebäude.
"Na ja, das sind die alten Baracken, die gebaut wurden im Zweiten Weltkrieg, für die Wehrmacht und für die Panzerbesatzung hier. Und nach dem Zweiten Weltkrieg, weil sie gut in Schuss waren, wurde hier die Rote Armee einquartiert. Und die hat dann halt hier ein Stützpunkt gehabt. Und als der Kalte Krieg zu Ende war, standen die halt erst mal leer und sind zerfallen."
Wünsdorf ist ein Ort mit militärischer Vergangenheit, weiß Archäologe Georg Cyrus. Eine Moschee erwartet hier wohl niemand.
"Hier müssen wir jetzt links in die Moscheestraße rein, die nach der Moschee benannt wurde, die hier einmal stand. Und da vorne ist eine Informationstafel, die das auch noch mal genauer beleuchtet."
Auf der Informationstafel sind alte Bilder der Moschee zu sehen - auch Fotos von kriegsgefangenen Muslimen. Die Straße selbst: ein kaputter Weg, den wilde Sträucher und verfallene Militärgebäude säumen.
"Obertägig ist gar nichts mehr zu erkennen"
Thomas Kersting vom Brandenburger Landesdenkmalamt steht mit einer historischen Karte in der Hand in der Moscheestraße, zeigt über das angrenzende freie Gelände am Waldrand:
"In dem Areal, wo wir jetzt diese Panzerhalle da sehen, da hat sich die Moschee befunden. Aber obertägig ist gar nichts mehr zu erkennen und jetzt wird das Gelände eben wieder völlig überprägt, wie der Archäologe so schön sagt."
Laster fahren über das Gelände, auf dem vor 100 Jahren das Kriegsgefangenenlager und die Moschee mit der Holzkuppel standen. Bauarbeiter treiben Fundamente in den Boden, die Erde ist an vielen Stellen aufgerissen. Im Sommer haben die Archäologen hier nach Resten der Moschee gegraben – bevor die Bauarbeiten begannen.
"Na, wir hatten ja dort quasi einen Streifen an diesem Panzerunterstand geöffnet. Da haben wir Konstruktionen gefunden, in dem wir sehr viele Kacheln gefunden haben, die darauf hinweisen, dass es der Waschraum gewesen ist und zur Moschee gehört. Und ich könnte mir auch vorstellen, dass hier noch weiter was ist."
Doch jetzt sind die Bauarbeiter vor Ort – graben können die Archäologen nicht mehr. Einige Funde aber haben sie gemacht. Sie lagern im Landesdenkmalamt, nur drei Minuten mit dem Auto entfernt.
Viel ist von der Moschee nicht übrig
Thomas Kersting geht in eines der einstigen und jetzt modernisierten Militärgebäude. Im archäologischen Fundus lagern die Reste der Moschee, verpackt in Kartons und Tüten.
"Und hier haben wir einen Ziegel als Beleg mitgenommen. Das ist ebene so ein Ziegel aus dem Fundamentbereich von der Moschee, die eben so relativ kleine Fundamentmäuerchen hatte, so fünf, sechs Ziegellagen hoch, und darüber stand dann eben diese Holz, Leichtbauholz-Konstruktion."
Viel ist von der Moschee, die vor rund 85 Jahren abgerissen wurde, nicht übrig. Einige Reste aber sind im Erdreich geblieben: Darunter auch handlange Metallseile aus der Moscheekuppel.
"Das sind praktisch Stahlseile, die dann verdrillt wurden, um diese Kuppelkonstruktion zusammenzuhalten. Das waren dann Sachen, die an dem Abbruchplatz zurückgelassen worden sind und die wirklich genau in der Lage dann gefunden haben."
Zurück auf der Baustelle, dem einstigen Standort von Kriegsgefangenenlager und Moschee. Durch ihre Ausgrabungen konnten die Archäologen vor allem eines belegen: Die Mosche verfiel ab 1925, ihre Reste wurden dann 1930 demontiert. Heute entstehen hier erneut Baracken – langgezogene und schlichte Gebäude. Paradox genug: Die Baracken ähneln denen von vor 100 Jahren fast genau. Jetzt sollen hier Flüchtlinge leben.
"Es ist schon interessant und verblüffend, wenn man sich vorstellt, dass hier 1915 ja versucht wurde, die Muslime quasi umzudrehen, zu instrumentalisieren fürs Kaiserreich. Und der Dschihad quasi ausgerufen wurde. Hier in Wünsdorf gab es also eine Lagerzeitung der Dschihad, das muss man sich mal vorstellen. Und heute kommen Flüchtlinge hier hin, die vor diesem heiligen Krieg fliehen. Da steckt schon eine ganze Menge Ironie der Geschichte drin, wenn man so will."