Würdigung

Ein Taifun an Huldigungen

Der Schauspieler Gert Voss, aufgenommen in Köln bei der Verleihung des Deutschen Hörbuchpreises 2010.
Vor der geplanten Veröffentlichung verstorben: Gert Voss © dpa / picture alliance / Horst Galuschka
Von Michael Laages |
Eigentlich sollte es ein Band zu seinem 50. Bühnenjubiläum werden, doch dann verstarb der Schauspieler Gert Voss überraschend. Jetzt ist das Buch posthum erschienen – und strotzt vor Lobreden und Komplimenten.
Die Frage ist natürlich müßig, drängt sich aber auf – wie hätte Gert Voss selber sich gefühlt in diesem Taifun von Huldigungen? Der Schauspieler war in überschaubaren Maßen eitel, und Rudolf Scholten, einst Österreichs Kulturminister, erzählt im Buch sogar die hübsche Geschichte, wie Voss während eines Interviews im Caféhaus zwei junge Damen belauschen kann, die offenkundig über ihn sprechen, den Schauspieler Voss. Als Voss später feststellen muss, dass die beiden sich ums Schauspielstudium bewerben und er in der Auswahlkommission sitzen müsste, ist ihm das so peinlich, dass er einen Zahnarzttermin vorschützt und flüchtet. Ob er also geflüchtet wäre bei der Vorstellung eines Buches, das derart viel Verehrung über ihn schüttet?
Müßig, wie gesagt... Und es stimmt ja auch alles, all die Kritiker-Poesie über den Menschen-Bildner Voss, dem von der eleganten Bestie über den Seelenforscher bis zum schrillen Alberjan alle, wirklich alle Mittel zur Verfügung stehen, um die Theatertexte, die Bühne selber und vor allem das Publikum an sich zu ziehen.
Zuweilen das Theater selbst aus dem Blick verloren
Aber gerade die opulentesten Ruhm-Reden, von Gerhard Stadelmaier etwa, Klaus Völker und Karin Kathrein, ganz zu schweigen von den ungezählten Ausrissen aus Kritiken, die die wichtigsten Voss-Aufführungen mit den Fotos dazu begleiten, verlieren zuweilen das Theater selber aus dem Blick: als wäre da immer nur Voss, das Genie, und sonst gar nichts. Wenn da etwa die unübersehbare Vielfalt der immer sehr charakteristischen Voss-Frisuren gerühmt wird, bis zur Woyzeck-Glatze, dann wird glatt so getan, als habe immer nur er die erfunden – und als gäbe es gar keine Maskenbildnerei!
Und wenn es um die frühen Jahre in der Karriere von Gert Voss geht, wird hervor gehoben, dass der Schauspieler den Herausforderungs-Sprung von Braunschweig nach Stuttgart "gewagt" habe ... das ist nun wirklich blanker Unfug – der kluge Intendant Hans-Peter Doll, ein Mann mit ganz viel Nase für großes Talent, lud Voss ein zu diesem Ortswechsel, er nahm ihn mit; und schützte ihn am neuen Ort, in Stuttgart, nach ersten Flops sogar vor allzu schnellem Verschleiß. Es sind (und Voss ist da ein exzellentes Beispiel) die besseren Strippenzieher im System des deutschen Stadt- und Staatstheaters, die Meisterschaft wie die von Voss schon im Ansatz erahnen – und den Weg frei machen.
Deshalb sind auch im Buch die Passagen zum Frühwerk besonders interessant – vom (erfolglosen) Vorsprechen bei Boleslaw Barlog in Berlin über das Beinahe-Engagement in Verden an der Aller (wo es Mitte der 60er Jahre noch eine richtige Landesbühne gab!) bis zum Start in Konstanz, um die Ecke vom eigenen Lebensmittelpunkt des in Shanghai geborenen Voss. 20 Rollen spielt er in zwei Konstanzer Jahren – so viel also war zu lernen in der "Provinz"! 18 Partien sind es danach in Braunschweig: das umfassende Talent des Gert Voss wächst auf dem Weg. Erst der Rest ist Genie.
Vom streitbaren Alltag eines politischen Menschen
Das Buch über "Gert Voss auf der Bühne" erzählt weithin chronologisch und gönnt sich nur einen Exkurs: für die extrem markanten Shakespeare-Interpretationen, vor allem in Inszenierungen von George Tabori und Peter Zadek. Zadeks Witwe Elisabeth Plessen steuert den klügsten Analyse-Blick auf die Qualitäten des Schauspielers Voss bei – wenn sie spricht über das Glück, einem Schauspieler beim Denken zuzuschauen. Der Shakespeare-Schwerpunkt führt leider später im Buch zu einigen Dopplungen, wäre also sicher besser platziert gewesen am Schluss.
Hermann Beil, Claus Peymanns "ewiger Dramaturg" in Stuttgart, Bochum, Wien und Berlin, steuert die schönste der eher enzyklopädischen Voss-Betrachtungen bei; von George Tabori stammt die launigste Laudatio für Voss, zur Verleihung des Fritz-Kortner-Preises 1992; Harald Schmidt beschwört die eigene Schüler- und Studenten-Zeit, als die Stuttgarter Eleven sich in Voss-Verehrung nicht übertreffen ließen; Grischka Voss, die in Braunschweiger Zeiten geborene Voss-Tochter, gewährt mit Blick auf Papa einen der raren Blicke unterhalb der Oberflächen des Theaterstars.
"Gert Voss auf der Bühne" ist das Thema – vom streitbaren Alltag auch des politischen Menschen Voss könnte noch mindestens ein weiterer Text erzählen.
Fast alles war schon fertig geschrieben, als Voss starb. So kommt nirgends Trauerfeierstimmung auf. Wie schön. Das Buch zeigt den Schauspieler mitten im Leben – ganz so, als sei er noch da.

Ursula Voss (Hrsg.): Gert Voss auf der Bühne
AdK, Berlin, Archiv, 2014
292 Seiten, 29,00 €

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