Würdigung einer "widerspruchsvollen Persönlichkeit"

Von Jürgen König · 24.01.2012
Bei einem Festakt in Berlin hoben Teilnehmer das historische Erbe von Friedrich dem Großen hervor - und zeigten zugleich Widersprüche des Preußenkönigs auf. Auch Bundespräsident Christian Wulff ehrte Friedrich den Großen.
In ihrer Bewertung waren sich alle Festredner einig. Vorbei die Zeiten, da Friedrich entweder als "Philosoph auf dem Thron", als "Aufklärer", als Fürsprecher von Vernunft und Toleranz verherrlicht oder als skrupelloser Machtpolitiker, Inbegriff des "preußischen Militarismus" geschmäht wurde. Als "widerspruchsvolle Persönlichkeit" wurde Friedrich in den Ansprachen gewürdigt: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit mit dem Beispiel des heutigen Bebel-Platzes in Berlin:

"An diesem zentralen Platz erlaubte der König des protestantischen Preußen die Errichtung einer neuen katholischen Kirche. Die Hedwigskirche ist bis heute das Symbol für die religiöse Toleranz Friedrichs II. Ich zitiere: ‚Und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land bevölkern, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen.’"

Aber zu diesem Bild gehöre eben auch:

"Friedrich hielt viel auf seine religiöse Toleranz, aber sie reichte im politischen Handeln nur so weit, wie sie dem Herrschaftsinteresse entsprach. Die Katholiken durften zwar Kirchen bauen, aber sie blieben von öffentlichen Spitzenämtern ausgeschlossen. Und die Juden wurden weiterhin aus den Gilden und Zünften ausgegrenzt. Friedrich selbst begegnete ihnen mit massiven Vorurteilen."

Auch Bundespräsident Christian Wulff betonte den Widerspruch zwischen dem "eisernen Feldherren" und dem "Flötenspieler": der "Blutzoll für Friedrichs Großmachtstreben und sein Toleranzversprechen seien zwei Seiten einer Medaille gewesen. Sorgsam vermied Wulff jene Töne und Begriffe, die als Anspielungen auf seine derzeitige Lage hätten verstanden werden können, Anspielungen auf das "Zeitalter der Aufklärung" etwa oder auf "preußische Tugenden" wie Aufrichtigkeit, Geradlinigkeit, Unbestechlichkeit, Redlichkeit. Trotzdem war es seltsam bei seiner Rede, etwa bei der Stelle:

"Ich glaube, so manche und von Ihnen hier im Saal hätte zu Friedrichs Lebzeiten eine Einladung zu seiner berühmten Tafelrunde erhalten."

Bei dieser Stelle meinte man sich zu erinnern: Hatte Christian Wulff vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten, nicht, sich auf Friedrich den Großen beziehend, angekündigt, Schloss Bellevue zu einer "Denkfabrik" machen zu wollen?

"Weltoffene, belesene und kulturinteressierte Mitstreiter wusste der Monarch besonders zu schätzen."

Wollte nicht auch Christian Wulff "Wissenschaftler, Politiker, Künstler, kluge Köpfe" ins Schloss holen, um Anstöße zu großen Fragen unserer Zeit zu geben?

"Allerdings hätte mancher an dieser Tafel einige Wahrheiten - zum Beispiel über Niederlagen auf dem Schlachtfeld - schweigsam mit dem Wein herunterschlucken müssen. Denn was sein Image betraf, kannte der Herrscher kein Pardon!"

Und passt nicht die Rede von unterdrückten und heruntergeschluckten Wahrheiten sowie die Sorge um Image und Ansehen fatal gut ins derzeitige Bild, das der Bundespräsident in der Öffentlichkeit abgibt? Nur Gedanken sind das, sie kommen und verschwinden auch wieder; man wundert sich nur, wie schwer es geworden ist, dem Bundespräsidenten zuzuhören: Ö ohne dabei auf andere Gedanken zu kommen.

Der australische Historiker Christopher Clark stellte in seiner Festrede den Historiografen Friedrich heraus, der die Geschichte seiner Zeit - und damit seine eigene - festhalten und schreibend gestalten, das Bild seiner Epoche - und damit sein eigenes - fixieren und kontrollieren wollte, um auf diese Weise seinen Ruhm sicherzustellen. Ruhm sei für Friedrich die "einzige Form der persönlichen Unsterblichkeit" gewesen, die er wirklich begreifen konnte; mit den derzeitigen Feierlichkeiten, so Christopher Clark, wäre Friedrich sehr zufrieden gewesen.

"Friedrichs Antlitz ist ein Markenzeichen geworden. Mehr noch als in den heißesten Tagen des Siebenjährigen Krieges ist es auf Tassen, Tellern, Tüchern zu erkennen. Um von den Bussen und Internetseiten gar nicht zu spre3chen. Seitdem im Jahre 1986 der böhmisch-amerikanische Künstler Andy Warhol eine Siebdrucksequenz des Königs anfertigte, gehört Friedrich II. mit Marilyn Monroe, Mick Jagger und Campbell’s Tomato Soup definitiv zu den Popikonen der Postmoderne. Friedrich hätte sich über den Trubel der letzten Tage mit Sicherheit gefreut."

Und als Christopher Clark später von der "klaren, intelligente Stimme" Friedrichs und seinem "resoluten Auftreten" sprach - da wird womöglich mancher sich wiederum gedanklich mit dem Bundespräsidenten beschäftigt haben.

"Für den britischen Historiker Thomas Carlyle, war die klare, intelligente Stimme dieses Königs das wirklich Bezeichnende an ihm. Da ist ein Zug, schrieb Carlyle, der früher in der Untersuchung hervortritt, nämlich dass Friedrich in seiner Art eine Realität ist. Dass er stets meint, was er spricht. Und, fügt Carlyle hinzu: Wer es ehrlich mit seinem Dasein hielt, der hat stets Bedeutung für uns, sei er König, oder Bauer."


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