Wunder kommen teuer

Von Wolfgang Pehnt |
Es hat schon fröhlichere Richtfeste gegeben als diese Veranstaltung am vergangenen Freitag, die im Rohbau der Hamburger Elbphilharmonie stattfand. In der Hansestadt ist die euphorische Laune seit langem in Katerstimmung umgeschlagen.
Die Baukosten steigen ins Astronomische. Alle Baubeteiligten liegen mit allen im Streit. Die Architekten Herzog & De Meuron, Weltstars seit Langem, weisen dem Generalbauunternehmer Hochtief die Schuld zu und umgekehrt. Auch der Auftraggeber Stadt kann seine Hände nicht in Unschuld waschen.

Denn wie im Märchen "Vom Fischer un syner Frau" kam ein Wunsch zum anderen, weil das Wünschen so schön ging. Nicht nur der "beste Konzertsaal aller Zeiten" sollte es sein, sondern gleich noch ein zweiter und dritter dazu, plus Hotel und Eigentumswohnungen, 110 Meter hochgetürmt. Die Bürgerschaft, anfangs haltlos begeistert vom genialischen Entwurf, den ein privater Projektentwickler ihr ans Herz gelegt hatte, setzte inzwischen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein.

So schnell kann der Plan eines Jahrhundertbauwerks in den "größten Bauskandal in Hamburgs Geschichte" umschlagen, wie ein ansässiger Kommunalpolitiker den Fall genannt hat. Doch nicht nur ortsspezifische Unzulänglichkeiten haben das Projekt infrage gestellt. Hauptschuldiger ist ein Trend, der allerorten die Stadtentwicklungsagenturen bewegt, die Marktforschungsinstitute, die Immobilienentwickler. Der Trend hat Namen, die so international klingen, wie der Trend selber ist: signature building, Signet-Architektur, icon buildings, ikonisches Bauen. Gemeint sind Bauten, die unverwechselbar in der Handschrift wirken, bildhaft wie Ikonen sind und unsere andächtige Bewunderung herausfordern.

Architektonische Sensationen zu liefern, dafür hat sich eine begrenzte Zahl von Koryphäen qualifiziert. Weltweit dürften es nicht mehr als 60, 70 Architekturbüros sein, die sich als global players ausgewiesen haben. Herzog & De Meuron, die Schweizer Matadoren, gehören zu ihnen. Ohne die Ambitionen ihrer Auftraggeber wären sie nicht zu dem Status gelangt, den sie heute einnehmen. Umgekehrt haben sie ihren Bauherren den Stoff geliefert, aus dem kommunalpolitische Träume sind.

Der Ehrgeiz derer, die zahlen, und derer, die liefern, stacheln sich wechselseitig an. Auftraggeber wie Auftragnehmer bilden ein System, in dem das Ungewöhnliche, das bisher noch nie Gesehene, die Sensation schlechthin gefordert sind. Nicht zuletzt gehören auch wir staunenden Touristen ins System. Denn wo zücken wir unsere Kameras? Doch nicht vor dem anständig gelösten Wohn- oder Geschäftshaus in der Straßenzeile. Sondern da, wo der Wow!-Effekt sich auch unserer bemächtigt, vor all den brandneuen Opernhäusern, Konzertsälen, Museumsbauten, Flughäfen, Sportstadien, die allen Finanzkrisen zum Trotz vor unseren Augen erstehen.

Rückgängig ist dieser Trend nicht zu machen. Er ist eine Folge der Globalisierung, die Städte und Länder in gnadenlose Konkurrenz geschickt hat. Wo Barcelona mit Singapur, New York mit Tokio, Schanghai mit Dubai um Investitionen und Steueraufkommen wetteifern, ist auch die Architektur zu einem wichtigen Faktor im Setz- und Spielverhalten der internationalen Pokerspieler geworden.

Die Elbphilharmonie wird fertig gebaut werden, viel zu viel wurde bereits investiert. In zwei, drei Jahren werden ihre gläsernen Segel, innovativ bis ins letzte gewölbte Element, über dem älteren Speichergebäude wehen, in das sie eingepflanzt wurden. Dann wird alles Ungemach wieder verdrängt sein. Nur für eine kurze Zeitspanne, nämlich jetzt, zeigt Hamburgs philharmonisches Wunder, welchen Preis Wunder kosten.

Wird irgendwann einmal der Punkt erreicht sein, wo die Welt ausreichend mit triumphalen Wahrzeichen bestückt ist und die staunende Aufmerksamkeit des Publikums in gelangweiltes Desinteresse umschlägt? Denn auch Aufmerksamkeit ist eine endliche Ressource. Gelegentlich hat man diese Einsicht bereits gefasst, so in Bonn, wo die Stadt darauf verzichtet, ihre Beethovenhalle, ein Werk der späten Fünfzigerjahre, durch einen Wunderbau von Zaha Hadid oder Arata Isozaki zu ersetzen. Aber das, wird man in der Weltstadt Hamburg sagen, das ist rheinische Provinz.


Wolfgang Pehnt ist einer der renommiertesten deutschen Architekturhistoriker und Architekturkritiker und Autor diverser Architekturbücher. Er war Lektor in Stuttgart und Redakteur in Köln, lehrte bis 2009 an der Ruhr-Universität in Bochum.
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