Wunderheilung
Im Jahr 1858 soll der 14-jährigen Bernadette Soubirous in Lourdes die Gottesmutter Maria erschienen sein. Schon bald darauf zogen zahlreiche Pilger in den kleinen Ort, mittlerweile sind es jährlich rund sieben Millionen. Kurt Tucholsky berichtete schon 1927 in seinem "Pyrenäenbuch" über Lourdes.
"Mein Name ist Christoph Flasbühler, ich bin Multiple-Sklerose-krank. Es ist ein Geschenk, wenn ich geheilt werde. Die ganzen Menschen, die geheilt worden sind, die haben eine Gnade empfangen, dass sie geheilt wurden. Ich gehe nicht davon aus, dass ich wieder geheilt werde, aber es ist möglich."
Tucholsky: "Es sind drei Abteilungen, in denen befinden sich die eingelassenen Wannen mit dem Quellwasser. Davor ist ein eingezäunter Platz. Man sieht bleiche, abgezehrte, fiebrige Gesichter. Männer auf der einen Seite, Frauen auf der anderen. Vor ihnen ein Geistlicher. Er betet laut."
Flasbühler: "Wenn man in die Bäder kommt, das ist so: Da sind einzelne Kabinen, für Leute, die selber noch laufen können, dann kommen meistens vier Leute in die Kabinen rein, ziehen sich soweit aus, bis sie noch die Unterwäsche anhaben, und dann kommen sie hinter einen Vorhang."
Tucholsky: "Hier soll niemand dabei sein. Die Krankenwärter passen scharf auf, dass keiner während der Bäder den Innenraum betritt. Kein profanes Auge soll das Mysterium sehen."
Flasbühler: "Erst wird ein Ave Maria gebetet, dann wird kurz Stille gehalten, derjenige kann dann für sich selber sein Anliegen anführen, dann geht man zwei weitere Stufen in das Wasser runter, man küsst eine kleine Marienstatue nochmal und dann wird man in die Wanne gelegt, aber nur soweit, dass das Wasser bis zum Hals geht und dann wird man sofort wieder hoch geholt."
"Ich persönlich habe das so erlebt: Man ist sehr gerührt. Es sind viele Menschen, die umarmen einen, weil sie sehr dankbar sind. Es hat mir sehr gut getan. Ich kann nicht sagen, dass ich dadurch geheilt wurde, aber irgendwo es war emotional sehr stark."
Tucholsky: "Sei es, dass sie Furcht haben, die heilige Quelle könne nicht so viel hergeben, sei es aus diesem seltsamen und verständlichen Glauben heraus, Wasser, über die so viele Gebete hingebraust sind, wirke stärker als frisches. Dieses Wasser wird nur zweimal am Tage gewechselt, nachmittags und abends. Hunderte baden also in demselben Bad und das Wasser ist fettig und bleigrau. Wunden, Eiter, Schorf, alles wird hineingetaucht. Nur wenn sich jemand vergisst, erneuern sie es sofort. Niemand schrickt zurück; vielleicht wissen sie es nicht."
"Ich bin Pater Uwe Barzen, ich bin Oblatenpater, komme aus Deutschland und bin seit fünf Jahren im Dienst hier in Lourdes. Ich bin zuständig für die deutschsprachige Pilgerseelsorge."
"Ich glaube, Lourdes ist ein einmaliger Wallfahrtsort, weil der so zeichenhaft ist, da haben wir zunächst einmal die Grotte, wo Maria erschienen ist, die Grotte ist ja in einem Fels drin, den kann man auch so richtig anfassen. Viele spüren auch vor der Grotte so eine eigenartige Gegenwart Gottes, was man auch nicht so richtig beschreiben kann. Dann haben wir das Wasser von Lourdes, das ja auch weltberühmt ist, und wo viele Pilger auch kommen, um dieses Wasser zu trinken, wie es Maria auch Bernadette aufgetragen hat und sich in diesem Wasser auch eintauchen zu lassen in den Bädern, und das kann ich nur empfehlen allen, die nach Lourdes kommen, das zu machen, man fühlt sich wirklich wie neugeboren."
"Mein Name ist Pastor Franz-Erich Kirch, ich bin 57 Jahre alt, seit 30 Jahren Priester und bin schon des öfteren mit Pilgergruppen in Lourdes gewesen."
"Wenn wir dann weitergehen, kommen Sie an den Gave. Die schon mal hier waren, wissen es, dass dort das eigentlich Zentrum von Lourdes ist, nämlich die heilige Grotte von Masabielle. Hier kommen wir an diesen Ort, wo 1858 die 18 Erscheinungen gewesen sind."
Tucholsky: "Die Kirche rechnet mit Jahrhunderten und in eiligen Fällen mit Jahren. Erst vier Jahre nach diesen Erscheinungen, am 18. Januar 1862, erschien der große Hirtenbrief des Bischof von Tarbes. "Ja", sagte der Brief. Kollekten, Gläubige, Kirchenbauten, Zusammenlauf aus aller Welt. Die Pilgerzüge setzen in aller Stärke ein. Im Jahre 1867 waren es schon 28.000 Menschen, die kamen. Das Wunder war im Gang."
Barzen: "Insgesamt schätzt man, dass ungefähr sechs Millionen Pilger im Jahr nach Lourdes kommen, und davon sind nur eine Million angemeldet. Daran sieht man, dass der größere Prozentsatz Leute sind, die auf eigenen Faust mal einen Abstecher nach Lourdes machen."
Tucholsky: "Es ist eine kleine Felsgrotte, ein paar Meter tief, mit einem schmiedeeisernen Gitter. Langsam, unendlich langsam schiebt sich die Menge an der Kanzel vorbei in die Grotte. Zwei Meter vom Boden entfernt, in einer Höhlung oben in den Steinen, steht sie: Notre-Dame de Lourdes, die Jungfrau Marie. Hier ist sie dem kleinen Bauernmädchen aus Lourdes zum ersten Mal erschienen und hat Quelle und Heilung vorausgesagt. Vor ihr bekreuzigen sich alle, dann küssen sie den Stein, auf dem sie steht, der Stein ist glatt und speckig von den vielen Händen, die ihn gestreichelt haben. Ein Altar ist aufgerichtet, da brennen die Kerzen, fortwährend klappert Geld in die Kästen und die Erde ist bedeckt mit Briefen, Kupfermünzen, Bildern, Blumen, Glasperlen, Weihgeschenken. Langsam, langsam werden wir wieder hinausgedrückt."
"Jedes Haus ist ein Hotel; vom mittleren Gasthof bis zur Ausspannung sind alle Arten vertreten, und in jedem zweiten haus ist ein Andenkenladen."
Barzen: "Es ist halt hier eine freie Marktwirtschaft, jeder kann einen Laden eröffnen, und die Stadt Lourdes hat da auch keine Riegel vorgeschoben, wir als Wallfahrtsstätte haben da keinen Einfluss drauf, was da geschieht. Wenn es nach mir ging, würden erst einmal die ganzen Neon-Reklamen da abgeschafft."
Tucholsky: "Lourdes ist ein Anachronismus. Diese organisierten Pilgerzüge, diese elektrisch erleuchtete Kirche, die aussieht wie ein Vergnügungslokal auf dem Montmartre, der grauenhafte Schund, der da vorherrscht, nicht nur in den dummen Läden, sondern in den Kirchen selbst, diese unfromm bestellten Altäre, Schreine, Ornamente, Decken und Beleuchtungskörper."
Barzen: "Das erinnert hier an Klein-Las Vegas, das finde ich auch nicht so gut. Das Problem ist auch, wenn die Pilger von den Hotels in die Wallfahrtsstätte kommen, müssen sie immer erst an diesen Läden vorbei, das ist nicht gerade das Beste, wenn man zuerst auf die Läden stößt, das ist abstoßend."
Tucholsky: "Und weil alles auf der Welt ein greifbares Symbol findet, so leuchtet zwar abends die Basilika, oben strahlt das Kreuz auf dem fernen Berge - aber heller als alles andere brennt eine Flammenzeile im dunklen Nachthimmel: Hotel Royal. Unten klingt das Credo. Keine Zeit hat solche Sehnsucht nach Verkleidung wie die, die keine Zeit hat."
Kirch: "Hier in Lourdes, so sagen es manche, ist die Welthauptstadt der Kranken. Hier ist Heilung und Verwandlung möglich."
"Es ist die Freude, von Gott angenommen zu sein. Zu spüren, ich bin nicht irgendwo am Rande. Heute ist es ja leider oft so, dass Kranke, Behinderte, alte Menschen - das Schwache und Wehrlose - wird in unserer Gesellschaft sehr stark ausgegrenzt oder auch verletzt bis hin zum Töten. In Lourdes erfährt der Mensch, dass er in jeder Phase seines Lebens von Gott angenommen ist und seine Würde darin besteht, vor Gott groß zu sein."
Barzen: "Es gibt 67 von der Kirche anerkannte Wunderheilungen, von den Tausenden, die das deklariert haben, dass sie geheilt wurden. Es ist so, dass diese Heilungen dann aufgenommen werden von unserem medizinischem Büro, und von diesen Tausenden, die sich da gemeldet hatten, sind 2500 von den Medizinern als unerklärlich eingestuft worden. Die Kirche macht noch mal eine eigene Untersuchung, und spricht dann nur von einer Wunderheilung in ganz außergewöhnlichen Fällen, weil die Kirche ist da auch vorsichtig. Man will sich ja nicht in Jahrzehnten sagen lassen, ach jetzt ist die Medizin weiter, jetzt kann man das erklären, es war also gar kein Wunder gewesen."
Tucholsky: "’Lourdes - wer glaubt denn das schon’. Die Sache ist wohl nicht dadurch abgetan, dass man durch die Nase bläst, ein in Norddeutschland sehr beliebtes Argument. ‚Ich kenne keinen Menschen, der noch solches Zeug ....’ Du kennst keinen? Aber du vergisst, dass es nicht die anderen sind, die die Ausnahme bilden, sondern du, du selbst, Freigeist oder Faulgeist oder wirklich Überlegner, du bist es, der auf einer großen Insel sitzt."
Schmitz-Rode: "Das muss man einfach glauben"
Tucholsky: "Der Boden für zukünftige Heilungen beginnt sich bereits in dem Augenblick vorzubereiten, wo der Kranke zum ersten Mal das Gerücht von der Wunderkraft des Heiligtums vernimmt und in seiner Seele der erste Hoffnungsfunke entfacht ist. Reißt also ein aufgegebener und scheinbar unheilbar Kranker seine letzte Willensreserve zusammen und beschließt, nach Lourdes zu gehen, so beginnt der seelische Prozess in diesem Augenblick: wochen-, vielleicht monatelang vor der Reise. Das später ausgestellte Attest besagt wenig."
Schmitz-Rode:"Ich denke, dass ist die enorme Ausstrahlung dieses Ortes, vielleicht auch der Glaube, dass Heilungen geschehen können, wohl wissend, dass das ganz selten passiert. Aber es ist eine innere Heilung, eine Kraft, die von innen ausgeht."
Tucholsky: "Es ist grundfalsch, die Natur von Massenerscheinungen am Individuum zu studieren und in verkehrter Gründlichkeit bei ihm anzufangen. Das Wesen des Meeres ist aus dem Tropfen nicht ersichtlich. Lourdes ist ein Massenphänomen und nichts als das."
Zitiert aus: Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, Band 5
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1975
S. 56-86.
Tucholsky: "Es sind drei Abteilungen, in denen befinden sich die eingelassenen Wannen mit dem Quellwasser. Davor ist ein eingezäunter Platz. Man sieht bleiche, abgezehrte, fiebrige Gesichter. Männer auf der einen Seite, Frauen auf der anderen. Vor ihnen ein Geistlicher. Er betet laut."
Flasbühler: "Wenn man in die Bäder kommt, das ist so: Da sind einzelne Kabinen, für Leute, die selber noch laufen können, dann kommen meistens vier Leute in die Kabinen rein, ziehen sich soweit aus, bis sie noch die Unterwäsche anhaben, und dann kommen sie hinter einen Vorhang."
Tucholsky: "Hier soll niemand dabei sein. Die Krankenwärter passen scharf auf, dass keiner während der Bäder den Innenraum betritt. Kein profanes Auge soll das Mysterium sehen."
Flasbühler: "Erst wird ein Ave Maria gebetet, dann wird kurz Stille gehalten, derjenige kann dann für sich selber sein Anliegen anführen, dann geht man zwei weitere Stufen in das Wasser runter, man küsst eine kleine Marienstatue nochmal und dann wird man in die Wanne gelegt, aber nur soweit, dass das Wasser bis zum Hals geht und dann wird man sofort wieder hoch geholt."
"Ich persönlich habe das so erlebt: Man ist sehr gerührt. Es sind viele Menschen, die umarmen einen, weil sie sehr dankbar sind. Es hat mir sehr gut getan. Ich kann nicht sagen, dass ich dadurch geheilt wurde, aber irgendwo es war emotional sehr stark."
Tucholsky: "Sei es, dass sie Furcht haben, die heilige Quelle könne nicht so viel hergeben, sei es aus diesem seltsamen und verständlichen Glauben heraus, Wasser, über die so viele Gebete hingebraust sind, wirke stärker als frisches. Dieses Wasser wird nur zweimal am Tage gewechselt, nachmittags und abends. Hunderte baden also in demselben Bad und das Wasser ist fettig und bleigrau. Wunden, Eiter, Schorf, alles wird hineingetaucht. Nur wenn sich jemand vergisst, erneuern sie es sofort. Niemand schrickt zurück; vielleicht wissen sie es nicht."
"Ich bin Pater Uwe Barzen, ich bin Oblatenpater, komme aus Deutschland und bin seit fünf Jahren im Dienst hier in Lourdes. Ich bin zuständig für die deutschsprachige Pilgerseelsorge."
"Ich glaube, Lourdes ist ein einmaliger Wallfahrtsort, weil der so zeichenhaft ist, da haben wir zunächst einmal die Grotte, wo Maria erschienen ist, die Grotte ist ja in einem Fels drin, den kann man auch so richtig anfassen. Viele spüren auch vor der Grotte so eine eigenartige Gegenwart Gottes, was man auch nicht so richtig beschreiben kann. Dann haben wir das Wasser von Lourdes, das ja auch weltberühmt ist, und wo viele Pilger auch kommen, um dieses Wasser zu trinken, wie es Maria auch Bernadette aufgetragen hat und sich in diesem Wasser auch eintauchen zu lassen in den Bädern, und das kann ich nur empfehlen allen, die nach Lourdes kommen, das zu machen, man fühlt sich wirklich wie neugeboren."
"Mein Name ist Pastor Franz-Erich Kirch, ich bin 57 Jahre alt, seit 30 Jahren Priester und bin schon des öfteren mit Pilgergruppen in Lourdes gewesen."
"Wenn wir dann weitergehen, kommen Sie an den Gave. Die schon mal hier waren, wissen es, dass dort das eigentlich Zentrum von Lourdes ist, nämlich die heilige Grotte von Masabielle. Hier kommen wir an diesen Ort, wo 1858 die 18 Erscheinungen gewesen sind."
Tucholsky: "Die Kirche rechnet mit Jahrhunderten und in eiligen Fällen mit Jahren. Erst vier Jahre nach diesen Erscheinungen, am 18. Januar 1862, erschien der große Hirtenbrief des Bischof von Tarbes. "Ja", sagte der Brief. Kollekten, Gläubige, Kirchenbauten, Zusammenlauf aus aller Welt. Die Pilgerzüge setzen in aller Stärke ein. Im Jahre 1867 waren es schon 28.000 Menschen, die kamen. Das Wunder war im Gang."
Barzen: "Insgesamt schätzt man, dass ungefähr sechs Millionen Pilger im Jahr nach Lourdes kommen, und davon sind nur eine Million angemeldet. Daran sieht man, dass der größere Prozentsatz Leute sind, die auf eigenen Faust mal einen Abstecher nach Lourdes machen."
Tucholsky: "Es ist eine kleine Felsgrotte, ein paar Meter tief, mit einem schmiedeeisernen Gitter. Langsam, unendlich langsam schiebt sich die Menge an der Kanzel vorbei in die Grotte. Zwei Meter vom Boden entfernt, in einer Höhlung oben in den Steinen, steht sie: Notre-Dame de Lourdes, die Jungfrau Marie. Hier ist sie dem kleinen Bauernmädchen aus Lourdes zum ersten Mal erschienen und hat Quelle und Heilung vorausgesagt. Vor ihr bekreuzigen sich alle, dann küssen sie den Stein, auf dem sie steht, der Stein ist glatt und speckig von den vielen Händen, die ihn gestreichelt haben. Ein Altar ist aufgerichtet, da brennen die Kerzen, fortwährend klappert Geld in die Kästen und die Erde ist bedeckt mit Briefen, Kupfermünzen, Bildern, Blumen, Glasperlen, Weihgeschenken. Langsam, langsam werden wir wieder hinausgedrückt."
"Jedes Haus ist ein Hotel; vom mittleren Gasthof bis zur Ausspannung sind alle Arten vertreten, und in jedem zweiten haus ist ein Andenkenladen."
Barzen: "Es ist halt hier eine freie Marktwirtschaft, jeder kann einen Laden eröffnen, und die Stadt Lourdes hat da auch keine Riegel vorgeschoben, wir als Wallfahrtsstätte haben da keinen Einfluss drauf, was da geschieht. Wenn es nach mir ging, würden erst einmal die ganzen Neon-Reklamen da abgeschafft."
Tucholsky: "Lourdes ist ein Anachronismus. Diese organisierten Pilgerzüge, diese elektrisch erleuchtete Kirche, die aussieht wie ein Vergnügungslokal auf dem Montmartre, der grauenhafte Schund, der da vorherrscht, nicht nur in den dummen Läden, sondern in den Kirchen selbst, diese unfromm bestellten Altäre, Schreine, Ornamente, Decken und Beleuchtungskörper."
Barzen: "Das erinnert hier an Klein-Las Vegas, das finde ich auch nicht so gut. Das Problem ist auch, wenn die Pilger von den Hotels in die Wallfahrtsstätte kommen, müssen sie immer erst an diesen Läden vorbei, das ist nicht gerade das Beste, wenn man zuerst auf die Läden stößt, das ist abstoßend."
Tucholsky: "Und weil alles auf der Welt ein greifbares Symbol findet, so leuchtet zwar abends die Basilika, oben strahlt das Kreuz auf dem fernen Berge - aber heller als alles andere brennt eine Flammenzeile im dunklen Nachthimmel: Hotel Royal. Unten klingt das Credo. Keine Zeit hat solche Sehnsucht nach Verkleidung wie die, die keine Zeit hat."
Kirch: "Hier in Lourdes, so sagen es manche, ist die Welthauptstadt der Kranken. Hier ist Heilung und Verwandlung möglich."
"Es ist die Freude, von Gott angenommen zu sein. Zu spüren, ich bin nicht irgendwo am Rande. Heute ist es ja leider oft so, dass Kranke, Behinderte, alte Menschen - das Schwache und Wehrlose - wird in unserer Gesellschaft sehr stark ausgegrenzt oder auch verletzt bis hin zum Töten. In Lourdes erfährt der Mensch, dass er in jeder Phase seines Lebens von Gott angenommen ist und seine Würde darin besteht, vor Gott groß zu sein."
Barzen: "Es gibt 67 von der Kirche anerkannte Wunderheilungen, von den Tausenden, die das deklariert haben, dass sie geheilt wurden. Es ist so, dass diese Heilungen dann aufgenommen werden von unserem medizinischem Büro, und von diesen Tausenden, die sich da gemeldet hatten, sind 2500 von den Medizinern als unerklärlich eingestuft worden. Die Kirche macht noch mal eine eigene Untersuchung, und spricht dann nur von einer Wunderheilung in ganz außergewöhnlichen Fällen, weil die Kirche ist da auch vorsichtig. Man will sich ja nicht in Jahrzehnten sagen lassen, ach jetzt ist die Medizin weiter, jetzt kann man das erklären, es war also gar kein Wunder gewesen."
Tucholsky: "’Lourdes - wer glaubt denn das schon’. Die Sache ist wohl nicht dadurch abgetan, dass man durch die Nase bläst, ein in Norddeutschland sehr beliebtes Argument. ‚Ich kenne keinen Menschen, der noch solches Zeug ....’ Du kennst keinen? Aber du vergisst, dass es nicht die anderen sind, die die Ausnahme bilden, sondern du, du selbst, Freigeist oder Faulgeist oder wirklich Überlegner, du bist es, der auf einer großen Insel sitzt."
Schmitz-Rode: "Das muss man einfach glauben"
Tucholsky: "Der Boden für zukünftige Heilungen beginnt sich bereits in dem Augenblick vorzubereiten, wo der Kranke zum ersten Mal das Gerücht von der Wunderkraft des Heiligtums vernimmt und in seiner Seele der erste Hoffnungsfunke entfacht ist. Reißt also ein aufgegebener und scheinbar unheilbar Kranker seine letzte Willensreserve zusammen und beschließt, nach Lourdes zu gehen, so beginnt der seelische Prozess in diesem Augenblick: wochen-, vielleicht monatelang vor der Reise. Das später ausgestellte Attest besagt wenig."
Schmitz-Rode:"Ich denke, dass ist die enorme Ausstrahlung dieses Ortes, vielleicht auch der Glaube, dass Heilungen geschehen können, wohl wissend, dass das ganz selten passiert. Aber es ist eine innere Heilung, eine Kraft, die von innen ausgeht."
Tucholsky: "Es ist grundfalsch, die Natur von Massenerscheinungen am Individuum zu studieren und in verkehrter Gründlichkeit bei ihm anzufangen. Das Wesen des Meeres ist aus dem Tropfen nicht ersichtlich. Lourdes ist ein Massenphänomen und nichts als das."
Zitiert aus: Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, Band 5
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1975
S. 56-86.