Wunderkiste in Tausenden Meter Tiefe

22.08.2010
Lange Zeit hielt der Mensch die Tiefsee für eine tote Wüste. Heute stoßen dort Forscher aus aller Welt auf atemberaubend schöne Landschaften, ungezählte neue Lebewesen – und auf wertvolle Rohstoffe in rauen Mengen. Das lockt auch Politik und Industrie.
"Die Lehrbücher der Biologie müssen neu geschrieben werden." Am 20. April dieses Jahres explodierte die Ölbohrplattform "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko. Jetzt, vier Monate später, so hofft man, sei die sprudelnde Ölquelle sicher verschlossen.

"Der Kampf um die Tiefsee – Wettlauf um die Rohstoffe der Welt", ein Buch, das sich unter anderem auch mit der Deepwater-Horizon-Katastrophe brandaktuell auseinandersetzt, hat jetzt die mehrfach mit Journalismus-Preisen ausgezeichnete und auf Tiefseethemen weltweit spezialisierte Dokumentarfilmerin Sarah Zierul veröffentlicht.

"Der Kampf um die Tiefsee" beginnt zunächst sehr beschaulich mit Beschreibungen der Tiefsee-Fauna und -Flora, mit Besuchen in wissenschaftlichen Labors und mit einer Reise in den Pazifik. Nach circa 120 Seiten aber bricht eine Lawine aus zum Teil sensationellen Informationen los und macht aus dem Buch passagenweise einen atemberaubenden Wissenschaftsthriller - bestens recherchiert, authentisch und eine Reise um die Welt.

Drei Haupt-Rohstoffarten der Tiefsee behandelt Sarah Zierul. Natürlich geht es erstens um das Thema Öl - die Autorin selbst hat Ölbohrplattformen im Bereich des neuen Öl-Eldorados vor der Küste Afrikas in den Gewässern von Angola besucht.

Rohstoffquelle Nummer zwei ist der kommerzielle Abbau von Metallen wie zum Beispiel Kupfer, Mangan, Kobalt in der Tiefsee, in Tiefen bis zu 5000 Metern.

Zukunftsmusik? Im Jahr 2006 hat sich die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, die BGR, im Pazifik einen Bereich von der Größe Niedersachsens und Schleswig-Holsteins in 5000 Metern Tiefe gesichert - von den Wissenschaftlern "Deutschlands 17. Bundesland" genannt -, wo man jetzt die Möglichkeiten des Erzabbaus untersucht. Autorin Sarah Zierul war an Bord eines deutschen Forschungsschiffes vor Ort.

Mittlerweile ist der ganze Pazifik in einen Flickenteppich von Claims aufgeteilt, es herrscht Goldgräberstimmung, und irgendwer wird irgendwann damit beginnen, mit Riesensaugrüsseln oder mit Baggern die Wunderkiste Tiefsee zu zerstören.

Womit wir bei der Rohstoffquelle Nummer drei angelangt sind, der Welt der Bakterien und Mikroben in der Tiefsee, aus denen die Pharmaindustrie schon begonnen hat, Medikamente herzustellen; das erste ist 2007 von der Europäischen Union freigegeben worden. Yondelis heißt es. Es handelt sich um ein Präparat gegen Bindegewebskrebs und gegen Eierstockkrebs; die Zulassung für Brust- und Prostatakrebs steht kurz bevor. Hergestellt wird das Medikament aus einem wirbellosen Tier aus der Karibik, der Seescheide, das man jetzt in Unterwasserplantagen vor der Insel Ibiza anbaut.

Andere Medikamente stehen ebenfalls vor der Zulassung oder es wird mit Hochdruck an ihnen gearbeitet: Medikamente gegen Knochenmarkkrebs, Hautkrebs, Leukämie, Malaria und Aids. Und man plant, Chemotherapie und Antibiotika in Zukunft durch Tiefsee-Bakterien und -Mikroben zu ersetzen.

"Der Kampf um die Tiefsee – Wettlauf um die Rohstoffe der Welt" ist ein mit Herzblut geschriebenes und höchst spannendes wie kritisches Buch, das dem Leser einen ganz neuen Kosmos, eine ganz neue Weltsicht eröffnet.

Besprochen von Lutz Bunk

Sarah Zierul: Der Kampf um die Tiefsee – Wettlauf um die Rohstoffe der Welt
Hoffmann & Campe, Hamburg 2010
351 Seiten, 22,00 Euro
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