Therapie mit Ekelfaktor
Hakenwürmer und andere Parasiten sollen helfen, Immunerkrankungen zu lindern. In manchen Fällen, etwa bei rheumatoider Arthritis, verabreichen die Ärzte gar Wurmeier. Aber es gibt auch Bedenken.
"Beim ersten Mal hätte ich mich fast nicht überwinden können. Es war mehr als 40 Grad heiß, fast 100 Prozent Luftfeuchtigkeit und dann dieser Gestank und diese ganzen Insekten. Es war so abstoßend und so ekelhaft!"
Jasper Lawrence litt schon als Kind an schwerem Asthma, keine Therapie half. Als er dann durch Zufall in einem Fernsehbericht mitbekam, dass Hakenwürmer helfen könnten, beschloss er selbst aktiv zu werden. Unabhängig von Ärzten reiste er nach Afrika, um sich dort mit den Parasiten zu infizieren. Unter den ungläubigen Blicken der Einheimischen lief er barfuß durch Gebüsche, die als Klos dienen.
"Ich kam im Februar aus Afrika zurück. Dann ging bald die Allergiesaison im Frühjahr los. Trotzdem konnte ich die Fenster in meinem Auto herunterkurbeln und durchatmen. Der Tag, an dem ich feststellte, dass ich keine Asthma mehr hatte, war ein toller Tag!
Wurmeier zum Schlucken
Inzwischen bietet Jasper Lawrence Hakenwürmer kommerziell im Internet an. Klingt absurd, ist es aber nicht. Selbst wenn sich Forscher wie der Berliner Parasitologe Richard Lucius von der Humboldt-Universität vorsichtig äußern. Denn es fällt auf, dass Immunleiden vor allem Menschen in Industrienationen heimsuchen, wo sie weniger mit Parasiten in Berührung kommen:
"Man hat im Laufe der Zeit in vielen Studien einfach assoziiert, dass bei Personen, die starke Wurminfektionen haben, dass dann Allergien weniger häufig sind. Das wird auch klar, wenn man die Allergiehäufigkeit in entwickelten Ländern vergleicht mit weniger entwickelten. Da gibt es Allergien sozusagen gar nicht im Bewusstsein."
Die Immunzellen, die sich normalerweise gegen Parasiten richten, sind bei Allergien oder Autoimmunerkrankungen fehlgeleitet. Sie greifen plötzlich harmlose Pollen an oder die Zellen des eigenen Körpers. Vor diesem Hintergrund kamen Wissenschaftler in den USA vor ein paar Jahren auf die Idee, Patienten mit Parasiten zu behandeln. Sie verabreichten ihnen die Eier des Schweinepeitschenwurms Trichuris suis. Dieser Parasit befällt normalerweise nur Schweine, lebt in deren Darm. Im Menschen stirbt er nach zwei Wochen ab und ist deshalb ungefährlich. Die ersten Studienergebnisse waren vielversprechend: Tatsächlich ging es den Patienten, die an Morbus Crohn litten, besser, nachdem sie die Wurmeier geschluckt hatten. Daher begannen auch Forscher in Deutschland, Patienten mit Autoimmunerkrankungen mit Schweinepeitschenwürmern zu behandeln. Erika Schulze ist eine von ihnen. Sie leidet an Multipler Sklerose. An der Berliner Charité hat sie an einer Studie teilgenommen, bei der sie ein Jahr lang jeden Morgen eine milchig trübe Flüssigkeit geschluckt hat.
"Also beim ersten Mal ja da war es schon ein bisschen komisch gewesen, muss ich sagen. Da habe ich das Glas angeguckt und mhmm– runterschlucken? Aber, geht automatisch, denkt man nicht mehr drüber nach."
Ob wirklich die Eier des Schweinepeitschenwurms darin schwammen, weiß Erika Schulze bisher nicht.
"Und Veränderungen? Kann man natürlich nicht so unbedingt sagen. Aber ich sach mal meine Konsistenz vom Stuhl hat sich verändert. Ich bin ja inkontinent, Blase und Darm, und da ist das für mich ein positiver Nebeneffekt, der sich daraus ergeben hat."
Placeboeffekt dämpft die Stimmung
Momentan werten die Forscher die Ergebnisse noch aus, Ende des Jahres sollen sie veröffentlicht werden. Eine vergleichbare Studie läuft derzeit auch am Immanuel-Krankenhaus in Berlin. Dort verabreicht man Patienten mit rheumatoider Arthritis regelmäßig Wurmeier. Andreas Krause, der die Untersuchung leitet, war bei Studienbeginn zuversichtlich.
"Es gibt Einzelbeobachtungen, wo dieses Therapieprinzip beim Menschen schon positive Effekte auf das entzündliche Gelenkrheuma gezeigt haben, also auf die Rheumatoide Arthritis. Und es gibt positive Tierversuche, die sicher nur begrenzt auf den Menschen übertragbar sind, aber doch insgesamt zeigen, dass dieses Therapiekonzept beim Menschen funktionieren könnte."
Könnte, denn eine groß angelegte Studie mit mehr als 500 Patienten, die an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung leiden, hat den Optimismus der Forscher gebremst. Zwar ging es vielen Teilnehmern unter der Therapie besser. Doch auch die Symptome von Patienten, die gar keine Wurmeier, sondern nur ein Scheinpräparat eingenommen hatten, wurden gelindert. Ein typischer Placeboeffekt, sagt Jürgen Schölmerich, Ärztlicher Direktor der Frankfurter Uniklinik, der die Studien mit ausgewertet hat.
"Ich glaube nach wie vor an die Hygienehypothese als eine Hypothese, die erklärt, warum vermehrt Autoimmunerkrankungen auftreten und vermehrt auch solche Immunkrankheiten wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa existieren. Das glaube ich wohl, das sind klassische Zivilisationskrankheiten und die Hygiene ist eigentlich eine der guten Erklärungen und es gibt noch Additive, die da gut zusammen passen."
Dass Würmer Autoimmunerkrankungen tatsächlich verhindern können, haben Forscher aus Erlangen kürzlich in Versuchen mit Mäusen nachgewiesen. Sie haben die Tiere, die an rheumatoider Arthritis litten, mit Parasiten infiziert. Erfolgreich. Die Wurmkur brachte das Immunsystem der Tiere wieder auf den richtigen Kurs, sagt Aline Bozec vom Universitätsklinikum Erlangen.
Starke Nebenwirkungen durch Schmarotzer
"Wir haben die Tiere mit einem Parasiten infiziert und gesehen, dass sich anschließend in ihren Gelenken bestimmte Immunzellen, so genannte eosinophile Granulozyten, ansammelten, die die Mäuse vor dem Ausbruch der Krankheit schützten. Diese Zellen sind also in der Lage, die Entzündungen in den Gelenken zu verhindern, indem sie die Immunantwort verändern. Und das hat zur Linderung der Symptome geführt."
Aline Bozec ist sich sicher, dass Parasiten auch das fehlgeleitete Immunsystem bei Menschen wieder umpolen können. Doch entscheidend sei, dass die Würmer auch wirklich eine Immunreaktion hervorrufen.
"Wenn man Patienten mit einem Parasiten behandelt, den das menschliche Immunsystem nicht erkennen kann, hat die Therapie keinen Effekt. Deshalb ist es sehr wichtig, die richtigen Parasiten auszuwählen."
Es ist also möglich, dass der Versuch mit Schweinepeitschenwürmern deshalb nicht erfolgreich war, weil sie keine natürlichen Parasiten des Menschen sind. Anders ist das mit solchen, die es sind. Die echten Schmarotzer rufen auch starke Nebenwirkungen hervor: So wie bei Jasper Lawrence.