Warum in der Windkraftbranche Flaute herrscht
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Die Bundesregierung will die Energiewende pushen, die Windkraft aber bricht ein: Es werden kaum noch Anlagen gebaut. Und eine der größten Firmen will tausende Stellen streichen. In der Branche ist die Schuldfrage für viele klar.
Im Büro von Horst Mangels in Bremen-Nord hängt eine große Deutschlandkarte an der Wand. Mit farbigen Stecknadeln sind die Standorte von fast 100 Windkraftanlagen markiert, die der Unternehmer in und um Bremen und im nördlichen Niedersachsen zwischen Elbe und Weser errichtet hat. Eigentlich könnte er ganz zufrieden dreinblicken – aber Horst Mangels ist stinksauer:
"Wir haben in der Vergangenheit ganz klar die falschen Signale gesetzt, auch mit der Ausschreibung, mit den Ausbauzielen an Land, mit den Deckeln, mit den Netzengpassgebieten – dieses ganze Sammelsurium an Maßnahmen hat einfach dazu geführt, dass die Bundespolitik zum Totengräber der Energiewende wird."
Das musste jetzt offenbar einfach mal raus. Horst Mangels hat sich an seinen Schreibtisch gesetzt und blättert in Stapeln von Unterlagen mit aktuellen Zahlen – sein Frust ist nicht zu überhören.
"Wir haben in den vergangenen Jahren im Schnitt 500 bis 600 Megawatt im Halbjahr zugebaut, und in diesem Jahr haben wir gerade einmal 80 Megawatt!" Das hänge mit dem Systemwechsel zusammen: Weg von der festen Einspeisevergütung, hin zum Ausschreibungssystem, erklärt Mangels. "Das sorgt unweigerlich dafür, dass ganz viele Planer und Kommunen auch einfach gesagt haben: Okay, dann machen wir jetzt nix mehr!"
Bis 2017 gab es diese Einspeisevergütung, Investoren für Windparks hatten damit eine sichere Kalkulationsbasis. Wer heute neue Anlagen errichten will, der muss in einem Ausschreibungsverfahren einen Preis für den von ihm erzeugten Strom nennen. Den Zuschlag erhält dann das niedrigste Angebot. Das hat zu einem massiven Preisverfall für Windstrom geführt und den Bau neuer Windparks zu einem schwer kalkulierbaren Risiko vor allem für kleinere Unternehmen und Gemeinden gemacht. Die Folgen in Niedersachsen: In den ersten sieben Monaten dieses Jahres wurden nur 17 Windkraftanlagen neu errichtet – 2018 waren es im ersten Halbjahr noch 140 Anlagen. Bundesweit kam der Neubau von Windparks fast zum Erliegen – und das hat gravierende Folgen für die Branche.
Massiver Stellenabbau bei Enercon
Enercon, einer der größten deutschen Hersteller von Windkraftanlagen, kündigte Ende vergangener Woche an, in den Werken in Aurich und in Magdeburg insgesamt 3.000 Stellen zu streichen. Für Horst Mangels ein Schock mit Ansage – da war doch schon mal was:
"Mit Riesensummen haben wir eine Photovoltaik in Deutschland aufgebaut, eine Photovoltaikindustrie, mit eigenen Fertigungsstätten – und die sind von heute auf morgen per Handstreich alle letztendlich plattgemacht worden." Mangels nach aus folgendem Grund: "Weil einfach nur das EEG verändert wurde und die politischen Rahmenbedingungen vollkommen falsch gesetzt wurden." Im Bereich Biomasse sei genau das gleiche passiert. "Völlig ohne Not sind diese ganzen Arbeitsplätze alle wieder verschwunden, die man vorher aufgebaut hat."
"Vollkommen falsche Politik"
In diesem Jahr seien in der Windbranche bereits 20.000 Arbeitsplätze vernichtet worden – noch ohne die 3.000 Stellen, die Enercon jetzt streichen will. Und mit der aktuellen Energie- und Klimaschutzpolitik der Bundesregierung seien weitere Arbeitsplätze in Gefahr.
"Im Bereich der erneuerbaren Energien haben wir über 100.000 Arbeitsplätze verloren – und wir werden im nächsten Jahr mindestens noch einmal 20.000 bis 30.000 Arbeitsplätze verlieren", warnt Windkraftunternehmer Mangels. "Hochwertige, gut bezahlte Industriearbeitsplätze – einfach nur durch die vollkommen falschen Signale und falsche Politik der Bundesregierung."
Auch bei der Offshore-Windenergie ist die Ausbaudynamik der vergangenen Jahre massiv eingebrochen – in den ersten sechs Monaten dieses Jahres gingen nur 42 Anlagen auf hoher See neu ans Netz, im gesamten Vorjahr waren es noch 140 Anlagen. Als Hauptursache dafür gilt der sogenannte Ausbaudeckel, mit dem die Bundesregierung den Ausbau von Offshore-Windparks steuern wollte – unter anderem weil der Netzausbau an Land nicht schnell genug vorankommt. Dieser Deckel wurde zwar inzwischen von ursprünglich 15 auf 20 Gigawatt bis 2030 angehoben – das reiche aber nicht, betont Heike Winkler vom Windenergie-Branchennetzwerk WAB eV.
"Wenn wir bis 2035 auf 35 Gigawatt planen können, dann gibt uns das zumindest ein Stück weit Langfristigkeit." Wünschenswert wäre eine Planung bis 2050, sagt sie. "Aber im ersten Schritt bis 2035 zu gehen, das wäre essentiell, um einfach keine weiteren wichtigen Unternehmen der Wertschöpfungskette verlieren zu müssen … und um die Klimaziele überhaupt mit erneuerbaren Energien erreichen zu können."
Kritik am "Windgipfel" des Wirtschaftsministers
Der staatlich verordnete Deckel, langwierige Genehmigungsverfahren, zu wenig ausgewiesene Flächen für Windkraftanlagen an Land und viele Klagen von Bürgerinitiativen – Bundeswirtschaftsminister Altmaier hatte zwar auf einem "Windgipfel" Anfang September ein Maßnahmenprogramm gegen dieses Bündel an Ursachen für die aktuelle Flaute der Branche angekündigt – konkrete Ergebnisse gibt es bisher aber nicht. Damit werde auch das Planungschaos auf Landes-, Kreis- und Kommunalebene nicht so schnell ein Ende haben, befürchtet Horst Mangels. Der Landkreis Rotenburg zwischen Hamburg und Bremen zum Beispiel – im Februar 2013 begannen dort die Arbeiten an einem neuen Raumordnungsplan.
"Mitte 2015 gab es dann den ersten Entwurf – mit neuen Windenergie-Vorrangflächen", so Mangels. "Das wurde dann auch kontrovers diskutiert in den Gemeinden, im Kreistag – aber am Ende des Tages hat man ja letztendlich Flächen gefunden, wo man gesagt hat: Okay, das soll es jetzt sein!" Vier Jahre lang wurde diskutiert, geprüft und nachgebessert – im Juni dieses Jahres beschloss der Kreistag schließlich den neuen Raumordnungsplan und schickte ihn zur Genehmigung an die zuständige Landesbehörde. Die Landesbehörde, die in jedem Beteiligungsverfahren vorher immer involviert gewesen sei, bekomme es nicht fertig, dieses regionale Raumordnungsprogramm jetzt zu genehmigen, beschwert sich Horst Mangels. "Weil es dann irgendwo, irgendwie irgendwelche Hemmnisse noch gibt, die einfach im Vorfeld nicht sauber abgeprüft worden sind."
Die Folge: Der neue Raumordnungsplan für den Landkreis Rotenburg, und damit auch die Antwort auf die Frage nach geeigneten Standorten für neue Windkraftanlagen in der Region, wird sich wohl um ein weiteres Jahr verzögern. Nur ein Beispiel, meint Horst Mangels – aber eben leider eines von vielen, das Fragen nach der Mitverantwortung des Landes für die dramatischen Einbrüche beim Ausbau der Windenergie aufwirft.
Forderung: geringerer Abstand zur Wohnbebauung
Antworten darauf erhofft sich der Landesverband Erneuerbare Energien Niedersachsen/Bremen vom geplanten neuen Windenergieerlass des Landes Niedersachsen. Der müsse garantieren, dass das Ziel der Landesregierung, 2,1 Prozent der Landesfläche in den nächsten fünf Jahren für den Ausbau der Windenergie bereitzustellen, auch umgesetzt werden könne, fordert die stellvertretende Geschäftsführerin des Verbandes, Marie Kollenrott. Einerseits gehe es um gesetzte Flächenziele, andererseits aber auch um den Umgang mit Artenschutz. Da müsse man zu einem Ausgleich der Güter kommen: "zum einen eben Zubau der Windenergie, zum anderen den berechtigten Wunsch, Arten zu schützen." Man müsse dahin kommen, "dass es nicht um Individuen-Schutz geht, sondern tatsächlich um den Schutz der Art", so Kollenrott.
Und es müsse um die Abstandsregeln gehen – pauschal 1.000 Meter Abstand zu Wohnbebauung, das würde die Eignungsfläche für neue Windräder so stark reduzieren, dass die Klimaschutzziele nicht erreichbar seien, meint Marie Kollenrott. Im Klimaschutzpaket der Bundesregierung müsse das dringend nachgebessert werden – auf Werte zwischen 600 und 800 Meter. Andernfalls müsse das auf Landesebene geregelt werden: "Niedersachsen soll raus optieren, um tatsächlich auch hier vor Ort zumindest den Windenergiezubau gewährleisten zu können", fordert Kollenrott.
Ein Wink mit dem Zaunpfahl – in Richtung des Niedersächsischen Umweltministers Olaf Lies von der SPD. Die Bundesländer haben nämlich die Möglichkeit, innerhalb von 18 Monaten nach Inkrafttreten der Regelung eigene Abstandsregeln zu erlassen. Im Bundesrat hat sich Minister Lies Ende vergangener Woche noch einmal klar für geringere Abstände stark gemacht – und angekündigt, dass er eine vernünftige und verantwortungsvolle Lösung für Niedersachsen genau prüfen wolle.
(abr)