"Keinen Sand in die Augen streuen"
Licht aus für die Umwelt: Um auf den großen Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase hinzuweisen, organisiert die Umweltorganisation WWF die symbolische Aktion "Earth Hour". WWF-Klimaexpertin Viviane Raddatz fordert von der Bundesregierung einen sozialverträglichen Ausstieg aus der Kohleverstromung.
Rund um den Globus gehen bei der symbolischen Aktion "Earth Hour" der Umweltorganisation WWF (World Wide Fund For Nature) am heutigen 25. März die Lichter aus. Nach Angaben des WWF werden sich dieses Jahr wieder Millionen Menschen auf der ganzen Welt beteiligen, um ein Zeichen für den Klimaschutz zu setzen. Mehr als 7.000 Städte in 178 Ländern haben ihre Teilnahme angekündigt. Jeweils um 20.30 Uhr Ortszeit hüllen sie symbolisch ihre bekanntesten Bauwerke für eine Stunde in Dunkelheit. Dazu zählt etwa das Opernhaus in Sydney, der Burj Khalifa in Dubai, der Moskauer Kreml, die ägyptischen Pyramiden von Gizeh, die Akropolis in Athen, der Petersdom im Vatikan oder das New Yorker Empire State Building. Die WWF-Aktion versteht sich als globaler Aufruf, sich gegen die menschengemachte Erderwärmung und für den Artenschutz einzusetzen.
Die WWF-Klimaschutzreferentin Viviane Raddatz fordert, Deutschland müsse einen sozialverträglichen Fahrplan zum Ausstieg aus der Kohleverstromung vorlegen, der bis 2035 umgesetzt wird.
Deutschland hinke den selbst gesteckten Zielen beim CO2-Sparen hinterher: "Wir drohen unsere Klimaziele 2020 zu verfehlen", kritisierte die Referentin für Klimaschutz des WWF Deutschland im Deutschlandradio Kultur die Bundesregierung. Um das Klimaziel 2020 - 40 Prozent weniger Emissionen im Vergleich zu 1990 - zu erreichen, müsse die Politik jetzt den Ausstieg aus der Kohleverstromung besser vorbereiten und sozialverträglich gestalten.
Großes Potenzial in Städten
"Wir müssen in den Kohleausstieg schnell einsteigen und ihn auch bis 2035 abgeschlossen haben. Was man nicht tun darf, ist, den Leuten Sand in die Augen streuen und so tun als ginge es weiter wie bisher", sagte Raddatz. Die Bundesregierung müsse Planungssicherheit schaffen, sowie Investitionssicherheit für die betroffenen Regionen. Nur durch langfristige Planung ließen sich strukturelle Brüche, wie den Verlust von Arbeitsplätzen, vermeiden: "Wir haben ja ein Modell vorgelegt, wie man das machen könnte; dass man bis 2035 dann Zeit hat, die letzten Kraftwerke dann langsam aus dem System zu nehmen, um diese Strukturbrüche nicht zu riskieren, die Leute mitzunehmen und neue Wirtschaftsstrukturen in den Regionen aufzubauen."
Immer noch stammten in Deutschland 40 Prozent der Energieversorgung aus der klimaproblematischen Kohleverstromung. "Gleichzeitig ist das viel mehr, als wir eigentlich brauchen. Wir exportieren in den letzten Jahren immer mehr Kohlestrom", kritisierte Raddatz.
Großes Potenzial für die Verringerung des weltweiten klimaschädlichen Kohlendioxidausstoß sieht die Expertin für nationale Klima- und Energiepolitik beim Worldwide Fund For Nature (WWF) Deutschland aber auch in den Städten und Gemeinden. Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel helfen, CO2-Emissionen zu mindern. Viele Kommunen seien bereits mit Klimaschutzplänen und eigenen Kohleausstiegskonzepten dabei und strukturierten ihre Stadtwerke um, setzen auf erneuerbare Energien, kombiniert mit Beratung und Dienstleistungen für die Bürger.
Den persönlichen Klimafußabdruck verkleinern
Neben den politischen und öffentlichen Akteuren sei aber die Beteiligung jedes Einzelnen von Bedeutung, erklärte Raddatz:
"Wir zählen auf alle. Klimaschutz geht nur wenn alle mitmachen und jeder tut was er kann."
Möglichkeiten, den persönlichen CO2-Ausstoß zu mindern, sei etwa der Umstieg aufs Fahrrad oder das Herunterregeln der Heizung. Auch die Entscheidung für den Kauf energieeffizienterer Elektrogeräte lohne sich für das Klima wie den eigenen Geldbeutel. Neben klimaneutralen Bauen und Sanieren empfiehlt Raddatz auch ein Nachdenken über weniger Fleischverzehr: "Fleisch ist ein wesentlicher Treiber unseres persönlichen Klimafußabdrucks. Ein Kilo Gemüse bringt sechs bis zwanzigmal weniger CO2-Emmisson auf die Waage, als ein Kilo Fleisch."
Letztlich müsse aber jeder eine individuelle Entscheidung für sich persönlich finden: "Die Lösungen müssen auch zum Leben passen", sagte die Klimaexpertin.
Das Interview im Wortlaut:
Katrin Heise: Was passiert, wenn in 300 deutschen Städten heute um 20:30 Uhr die Lichter an symbolträchtigen Gebäuden ausgehen, also zum Beispiel, wie gesagt, am Kölner Dom oder so? Dann wird ganz praktisch Strom gespart natürlich, denke ich jedenfalls. Aber das kann eigentlich nicht so viel sein, dass sich diese ganze Aktion lohnt, auch wenn es weltweit passiert. Die Frage über das warum der zeitweiligen Dunkelheit geht an Viviane Raddatz. Sie ist Referentin für Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland. Schönen guten Morgen!
Viviane Raddatz: Guten Morgen!
Heise: Die Ersparnis, die ich eben angesprochen habe, die kann es ja nicht sein. Das ist ein Symbol, das ist ja klar. Lassen sich die Leute mit solchen Symbolen tatsächlich wachrütteln?
Raddatz: Ich glaube, schon, dass sich die Leute mit solchen Symbolen wachrütteln lassen. Wir haben sie auch in diesem Jahr erst zum elften Mal. Angefangen hat es vor zehn Jahren in Australien, und wir haben jedes Jahr mehr Städte und mehr Menschen, die an der Earth Hour sich beteiligen und die das Symbol eben auch mitnehmen und sich überlegen, was sie dann machen können, wenn das Licht wieder angeht, wenigstens am nächsten Morgen vielleicht.
Heise: Ja, genau. Ich hätte nämlich tatsächlich auch die Befürchtung, dass so innerlich so ein kleines Häkchen gemacht wird bei der Earth Hour, so nach dem Motto, ach, jetzt habe ich mitgemacht, was Gutes getan, Klimaschutz, alles klar, und schon ist es vergessen. Was kann der Einzelne tatsächlich zum Klimaschutz beitragen?
Lösungen finden, "die zum Leben passen"
Raddatz: Der Einzelne kann natürlich schon sehr viel beitragen. Am Anfang muss man natürlich sagen, wichtig ist, dass man sich erst mal überlegt, wo eigentlich das persönliche sagen wir mal Klimaproblem liegt. Da gibt es im Internet jede Menge Rechner, die man benutzen kann, auch auf unserer Webseite findet man da einen. Und dann muss man eben sehen, wenn man in einem alten Haus mit alten Fenstern lebt, hat man ein anderes Klimaproblem als jemand, der in einer kleinen Neubauwohnung wohnt, dafür aber viel in den Urlaub fliegt. Also erst mal gucken, wo eigentlich das eigene sozusagen Problem liegt, und dann kann man da auch passgenau Lösungen finden. Und die Lösungen müssen auch zum Leben passen, und das hat uns auch die Umweltpsychologie immer wieder gesagt, sonst werden die auch nicht angenommen. Also da muss man sozusagen einfach mal gucken, was zum Leben passt und was man wirklich auch machen will. Wenn man zum Beispiel gern kocht und viel experimentiert, dann kann man natürlich auch mal Fleisch weglassen, neue Gerichte, vegetarische Gerichte ausprobieren, denn Fleisch ist ein wesentlicher Treiber unseres persönlichen Klimafußabdrucks. Ein Kilo Gemüse bringt sechs- bis zwanzigmal weniger CO2-Emissionen auf die Waage als ein Kilo Fleisch. Also da kann man viel tun. Aber auch in der persönlichen Wohnumgebung, die Heizung um ein Grad runterregeln bringt nicht nur sozusagen eine CO2-Emissionsersparnis, es bringt vor allen Dingen sehr viel bares Geld wieder in die Haushaltskasse. Genauso wie sich auch zu überlegen, wenn es dann fällig wird, dass man neue Geräte braucht, dass man da auf Geräte achtet, die sehr energieeffizient sind. Es lohnt sich zumeist schon so ungefähr nach zehn Jahren, kann man sagen, ein neues Gerät, inklusive aller Produktionskosten in der Vorkette lohnt es sich, was Neues anzuschaffen, weil es insgesamt für das Klima und auch für die Haushaltskasse dann deutlich günstiger wird. Bei Kleinigkeiten im täglichen Leben kann man zum Beispiel beim Autofahren sehr viel sparen, wenn man mal sagt, okay, an schönen Tagen – der Frühling kommt –, steigt man doch öfter mal wieder aufs Fahrrad. Auch da spart man Geld und Emissionen.
Heise: Na, ich höre schon, Sie sprühen nur so vor Ideen.
Raddatz: Auf unserer Webseite gibt es noch sehr viel mehr Tipps für die, die wirklich was machen wollen.
Heise: Da kann man natürlich drauf gucken. Aber eines würde ich jetzt gern doch ansprechen: Die Aktion geht auf australische, Sie haben es angesprochen, auf die australische Aktion, 2007 war es, glaube ich, 100.000 haben sich beteiligt. Aber eigentlich zielen Sie ja nicht auf private, sondern auf öffentliche Akteure, also durchaus auf Stadtväter. Bringen die viel mehr?
Großes Potenzial der Städte beim Klimaschutz
Raddatz: Wir zielen schon auf alle. Klimaschutz geht nur, wenn alle mitmachen und jeder das tut, was er kann. Natürlich können Bürger in bestimmtem Umfang viele Dinge machen, aber wir sitzen dann immer noch auf dem Emissionssockel, wie wir es nennen, der einfach in unserem Stromsystem und im Energiesystem einfach angelegt ist. Und da müssen wir natürlich politisch ran. Und das geht auf kommunaler Ebene, in den Städten kann man viel machen. Es gibt viele Städte, auch in Deutschland, die Klimaschutzpläne haben, die Kohleausstiegspläne haben, die ihre Stadtwerke umstrukturieren in Richtung erneuerbare Energien, Energiedienstleistung und mehr Beratung auch für die Verbraucher. Also da haben die Städte auch eine entscheidende Rolle, auch insbesondere beim Verkehr, wie man da sozusagen Lebensqualität und Mobilität so verbindet, dass es sich für alle und nicht nur sozusagen für die Autofahrer auch dann lohnt und rechnet, in der Stadt zu sein. Und dann haben wir natürlich noch mal die übergeordnete Ebene. Auf der Bundesebene ist natürlich auch wichtig, dass wir bestimmte Dinge angehen. Wir drohen sonst wirklich unsere Klimaziele bis 2020 auch zu verfehlen. Das liegt hauptsächlich daran, dass wir immer noch ein massives Kohleproblem haben. Wir haben immer noch 40 Prozent unserer Stromerzeugung trotz eines massiven Erneuerbaren-Ausbaus sind es immer noch 40 Prozent unserer Stromerzeugung aus Kohle. Gleichzeitig ist es viel mehr, als wir eigentlich brauchen. Wir exportieren in den letzten Jahren immer mehr Kohlestrom. Und da brauchen wir einfach politische Lösungen. Ein Kohleausstieg ist hier ganz zentral. Wichtig ist, dass man bedenken muss, dass die CO2-Emissionen, die in die Atmosphäre gelangen, dort lange bleiben. Und das heißt, wir müssen relativ schnell Emissionen reduzieren, das heißt, wir müssen in den Kohleausstieg schnell einsteigen und den dann auch bis 2035 abgeschlossen haben.
Heise: Und da schreiben Sie vom WWF, dass Sie für 2025 einen sozialverträglichen Ausstieg sich wünschen. Da liegt natürlich der Hase im Pfeffer. Die Regierung will ja aussteigen, aber da hängen eben ganze Landstriche dran. In der Lausitz sind in den letzten 20 Jahren von circa, ich glaube, es waren 90.000 Arbeitsplätze, die mit der Kohle zusammenhingen, sind jetzt auf gut 15.000 zurückgefahren worden. Also man muss die Leute ja mitnehmen, das haben wir in den USA ja jetzt wieder ganz besonders deutlich gesehen bei diesem Ausstieg, beim Klimaschutz muss man die Leute mitnehmen, sonst hat man so was wie den Rust Belt. Sie wissen, worauf ich anspiele. Also es entfaltet sich sonst ein großes Protestpotenzial. Wie rechnen Sie das ein und gegen?
Planungs- und Investitionssicherheit schaffen
Raddatz: Zum Glück haben wir solche Prozesse, die es in den USA auch gab, bisher nicht gehabt. Und es ist genau der Punkt: Was man nicht machen darf, ist den Leuten Sand in die Augen zu streuen und so zu tun, als ginge es so weiter wie bisher. Unserer Meinung nach muss man einfach Planungssicherheit schaffen und auch eine Investitionssicherheit für diese Region. Man muss also langfristig wissen, wohin die Reise geht und dann sozusagen diesen Transformationspfad hin zum erneuerbaren Energiesystem auch so gestalten, dass man alle mitnehmen kann, und dass es so wenig wie möglich strukturelle Brüche gibt. Das geht aber nur, wenn man langfristig plant und nicht dann sozusagen lange so tut, als könne man so weitermachen wie bisher, und dann eben Brüche riskiert, weil dann sozusagen Unternehmen auch von selbst abspringen. Also es ist wichtig, dass wir frühzeitig anfangen. Das können wir auch leisten mit dem Kohleausstieg. Und dann ist es eben wichtig, dass wir uns relativ viel Zeit geben. Wir haben ja ein Modell vorgelegt, wie man es machen könnte, dass man bis 2035 dann eben Zeit hat, die letzten Kraftwerke dann langsam aus dem System zu nehmen, um eben diese Strukturbrüche nicht zu riskieren und die Leute auch mitnehmen zu können und auch sozusagen neue Wirtschaftsstrukturen in den betroffenen Regionen aufzubauen. Das ist natürlich sehr wichtig.
Heise: Ambitioniert auch. Viviane Raddatz, Referentin für Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland. Was machen Sie denn heute Abend um halb neun, wenn die Lichter ausgehen?
Raddatz: Ich bin am Brandenburger Tor.
Heise: Im Dunklen. Danke schön! Heute Abend also, 20:30 Uhr, die Earth Hour.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.