Entfesselte Schauspieler vor Psychokunstkulisse
In Yael Ronens kluger Komödie "Denial" am Berliner Maxim Gorki Theater stellen die Schauspieler ihre vermeintlichen Kindheitsgeschichten dar - unklar ist allerdings, was hinzugedichtet wurde. Die israelische Regisseurin macht klar, warum wir nicht jedes Mal Genozid, Krieg und Hunger schreien sollten, bevor wir kurz über uns selbst nachgedacht haben.
Der Bass und die ersten Beats von Michael Jacksons "Billy Jean", etwas Trockeneis und aufgedröhnte Schauspieler, das sorgt bereits für den ersten Lacher, auch beim Kritiker. Wenn ein Abend "Denial" heißt, also Verleugnung oder Verneinung, und wir hören den King of Pop, ist der Witz gleich an die Zuschauer delegiert. Jackson hatte ja keine glückliche Kindheit, seine Kuschelwelt für Erwachsene sprach von ihrem Gegenteil, vom Versuch der Verdrängung, was war.
Die Komödie, um die Tragödie erzählen zu können: Das ist die Kernkompetenz von Yael Ronen, dieser israelischen Theatermacherin in Deutschland, deren mit den Schauspielern erarbeiteten Projekte mit Vollgas den Konflikt ansteuern, sich nicht um Geschwindigkeitsbeschränkungen kümmern, und schon gar nicht um das Gesetz der Betroffenheitsästhetik - derzeit in "Denial" am Maxim Gorki Theater. Letzteres besagt für Berlin: Wenn du nicht mit schlechter Laune aus dem Theater kommst und sie lautstark verbreitest, bist du ein Tourist.
Wahnsinnig lustig
Die Größe von Ronens Theaterkunst liegt aber darin, dass sie trotz komödiantischem Handwerk, hartem Zupacken und vielen Spielverwirrebenen zwischen Text und Biografie der Performer am Ende doch die Affekte freisetzen kann, besonders die dunklen. Das Augenwasser steht dem Publikum in den Augen bei "Common Ground", die Leute erschrecken in "The Situation" oft konkret, weil sie im Theater noch einmal merken, wie stark der Nahostkonflikt und sein Weltenbrandherd auch Berlin erreicht haben. Noch besser: Ronen muss nicht die Nachrichtenthemen ansprechen, um gute politische Kunst zu machen. "Denial" ist ein Lehrstück darin. Eigentlich geht es um psychologische Vorgänge. Denkt man so.
Es ist wahnsinnig lustig, wie die fünf Schauspielerinnen und Schauspieler ihre Kindheitsgeschichten performen. Aber was heißt schon "ihre": Wir wissen nie, was da hinzugedichtet oder erfunden wurde. Verneinung, Verleugung, Lüge, Fantasie. Das ist nicht nur das Thema, sondern auch die Methode. Sicher ist, dass die Migrationsgeschichten der Leute ein fruchtbares Hinterland für die Psychokunstkulisse darstellen.
Orit Nahmias kommt aus Israel und merkt, dass da einst kein römisches Bad stand, wie das Schild vermerkt, sondern ein palästinensisches Dorf, das Papa wohl geschleift hat. Die Mutter von Maryam Zaree kommt aus dem Iran, doch sie hat noch nie über Gefängnis oder die Umstände ihrer Geburt gesprochen. Und Olivo Paz nutzt eine lange Nummer, um die Travestie seiner Schwulwerdung im dominikanischen Milieu seiner Heimatstadt New York zu performen. Es ist zum Totlachen.
Erinnern, retten und ruinieren
Man könnte jetzt noch lange darauf hinweisen, dass alle fünf Performer geradezu entfesselt sind (zu den Genannten: Dimitrij Schaad, Cigdem Teke – erste Garde!), dass ein Wald aus Papierstreifen, auf die Livevideos projiziert wird, wunderbare Effekte zwischen Nordlicht und Gehirnaktivität hervorbringt. Man könnte genauer werden und etwas mehr Unterscheidung einfordern, was Verneinung heißt, und was Verleugnung. Und man könnte auch fragen, ob das Vergessen nicht zu schlecht wegkommt. Das Erinnern kann uns retten, aber auch ruinieren.
Aber man sollte mitkriegen, wie Ronen und ihr furioses Ensemble auf ihren Geschichten beharren und uns spät, aber umso smarter erklären, warum das wichtig ist und wir nicht jedes Mal Genozid, Krieg und Hunger schreien sollten, bevor wir kurz über uns selbst nachgedacht haben. Im Schlussbild sehen wir dann, wohin der Exzess an Verleugnung führen kann.