Zurück zu Mutter Erde
07:26 Minuten
Eigentlich sollte es in „Rewitching Europe“ um Hexenverfolgung und Emanzipation gehen. Der neue Abend der israelischen Regisseurin Yael Ronen im Gorki-Theater raunt stattdessen mystisch von Klimakatastrophe, Apokalypse und den Worten der Erdgöttin.
Sechs Schauspielerinnen und Schauspieler stehen in weißen, mit Filzstift bekritzelten Gewändern auf der Bühne, Astkronen auf dem Kopf, einen rot-weißen Markierungsstab in der Hand und schauen gespannt auf die animierten Bilder, die zur schamanischen Musik auf einen Gaze-Vorhang projiziert werden. Schlangen drehen sich spiralförmig, formen sich zu Pflanzen, zu einem üppigen Frauenkörper mit großen Brüsten, dessen Unterleib Feuerräder gebiert – bis sich der Körper zum Baum verwandelt und von Männern mit Äxten abgehauen wird.
Diese erste Szene des 75 Minuten kurzen Abends verrät bereits vieles: Die weibliche Urkraft Mutter Erde wird gefeiert – das männliche, faustische Prinzip, das sich die Welt untertan macht, soll überwunden werden. Der Mensch, so wird hier immer wieder beschworen, kann sich vor dem Aussterben nur retten, er kann die Klimakatastrophe, ja, die Apokalypse nur dann verhindern, wenn er sich wieder des Prinzips des Weiblichen, des Umfangenden, Zyklischen besinnt.
Weltrettung statt Hexenverfolgung
Yael Ronen hat also nicht, wie angekündigt, einen Abend über die Hexenverfolgung in der Neuzeit entworfen, sondern darüber, wie wir dem Klimawandel begegnen und die Welt retten können. Inszeniert mit ironischen Brechungen, mit komischen Dialogen, skurrilen Kostümen – doch durchaus ernst gemeint, was die Moral und die Grundgedanken anbelangt.
"Jede großzügige Handlung schafft einen Raum der Großzügigkeit. In der echten Welt ist jede Handlung ein Ritual und jedes Wort ist ein Zauberspruch", raunt es am Ende Sesede Terzyan von der Bühne. Doch zuvor müssen noch so einige esoterisch-emanzipatorische Rituale exerziert werden.
Raus die Tampons, weg mit dem Patriarchat
Das Publikum sitzt auf der Bühne und im Parkett. Zwischen den Stuhlreihen oben und unten Holzpflöcke und Vermessungsgeräte, abgesperrte Baustellen. Während der Umbauarbeiten am Gorki Theater, die ja momentan tatsächlich stattfinden, habe man, das berichten die Spieler, unter der Erde Knochen eines Mädchens gefunden – tatsächlich befände sich unter dem Theater eine 7000 Jahre alte heilige Stätte.
Ruth Reinecke, so erzählt sie selbst, sei in ihren Träumen dann von ihrer Grußmutter aufgefordert worden, selbst in dieser Grube zu buddeln. Dort ist sie auf eine Figurine gestoßen, eine Frauenfigur, die sie nun zu einem Blutritual mit vier menstruierenden Kolleginnen drängt, darunter Lea Draeger und Riah May Knight. Raus die Tampons, heißt es, und auf die Erde bluten: "Die Rituale sollen uns helfen die Menschheit vor dem Aussterben zu bewahren, indem wir das Zeitalter des Patriarchats beenden und die Verbindung mit der Mutter Erde aufnehmen", säuselt Reinecke.
Die Menschheit vor dem "späten Plastikzeitalter" retten
Es folgen Gesänge, ekstatische Tänze, die Frauen ziehen auf und unter der Bühne ein, mischen Kräuter und versuchen sogar, es mit Daunenfedern schneien zu lassen. Derweil überidentifiziert sich Lindy Larsson, der einzige Mann hier, mit der Erdgöttin Erda aus Wagners "Rheingold" und trifft in Lappland auf ein sprechendes Rentier, gespielt von Orit Nahmias, das ihn zur moralischen Umkehr bewegen will, bevor die Menschheit im "späten Plastikzeitalter" ausstirbt.
Mit den Biografien der Schauspieler arbeitet Regisseurin Yael Ronen diesmal weniger, auch historische Fakten spielen keine Rolle. Der Abend bewegt sich auf keiner gesellschaftspolitischen Ebene, sondern auf einer rein mystisch-esoterischen. Ein waberndes mythisches psycho-spirituelles Raunen, das immer wieder mit einem Gag aufgelockert wird, aber gedanklich flach bleibt. Mit den pointierten, bösen, bissigen Inszenierungen zum Israel-Palästinenser-Konflikt oder zum Jugoslawien-Krieg kann "Rewitching Europe" bei aller Endzeitstimmung wahrlich nicht mithalten.