Yanis Varoufakis: "Das Euro-Paradox"

Neues vom schillernden Ökonom

Yanis Varoufakis
Yanis Varoufakis nach dem griechischen Referendum im Juli 2015 © picture alliance/dpa/Orestis Panagiotou
Von Ursula Weidenfeld |
Yanis Varoufakis ist ein Ökonom mit großen Ideen und noch größerem Selbstbewusstsein. Das neue Buch des ehemaligen griechischen Finanzministers ist suggestiv, forsch und provokant. Und es kennt nur einen Helden: Yanis Varoufakis selbst. Ganz falsch sind seine Thesen aber nicht.
Yanis Varoufakis schrieb gerade an einem Buch über die europäische Währungskrise, als ihn der Ruf des späteren griechischen Premierministers Alexis Tsipras erreichte. Der schillernde Ökonom Varoufakis legte das halbfertige Manuskript beiseite und wurde zuerst Berater und dann Finanzminister unter Alexis Tsipras.
Fünf Monate später war der Pop-Star unter den Finanzministern Europas gescheitert; nachdem Tsipras ein Abkommen mit den Brüsseler Institutionen ausgehandelt hatte, das sein Chefökonom ablehnte. Varoufakis kehrte an seinen Schreibtisch zurück und grub das Manuskript wieder aus. Mit einigen Aktualisierungen wurde es im Frühjahr in englischer Sprache publiziert, jetzt ist es auch auf Deutsch erschienen.

Da bleibt einem schon mal die Spucke weg

Schade, dass Varoufakis nur ein paar Aktualisierungen gemacht hat: Die erste Begegnung mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gehört zu den stärksten Geschichten in dem Buch, das die Schuld am Scheitern konsequent bei den anderen sucht. Vor allem eben bei dem "legendären Dr. Wolfgang Schäuble in seinem berühmten Rollstuhl". Der habe ihm bei der ersten Begegnung nicht nur den Handschlag verweigert, sondern zum Erstaunen des Griechen bei dem Gespräch über die Schuldenkrise auch nicht über dessen Ansichten zum Nationalsozialismus und zur deutschen Verantwortung reden wollen.
Auch der eigene Ministerpräsident Tsipras kommt nicht gut weg. Erst sei er wenig hilfreich für die Mission des Yanis Varoufakis gewesen, dann sei er vor den Gläubigern eingeknickt. Ein einziger hat stets den Überblick, herausragende Bildung und exzellenten Sachverstand: Yanis Varoufakis selbst. Da bleibt einem beim Lesen schon mal die Spucke weg.
Varoufakis war nicht nur ein begnadeter Selbstdarsteller auf der politischen Bühne. Er schreibt genau so: suggestiv und bildhaft, forsch und provokant. Gerne hätte man gelesen, warum all die Rezepte, die er zu Recht Ländern wie Irland und Spanien für ihre Krisenbewältigung nahelegt - wie das Schließen von Banken, eine Reichensteuer, oder das Erzwingen von Steuerehrlichkeit - für Griechenland in seiner Zeit als Finanzminister nicht in Frage kamen.

Die Analyse stimmt, aber Varoufakis unterstellt Absicht

Varoufakis denkt lieber groß. Er beklagt eine weltweite Verschwörung des Kapitals gegen die Schwachen. In Europa sind es für ihn die Deutschen, die ihre wirtschaftlichen Erfolge auf Kosten der Länder des Südens erringen. Eifrige Helfer seien schon immer die französischen Bürokraten gewesen, die sich mit schönen Posten und Präsidenten-Ämtern hätten korrumpieren lassen. Die USA schauten dem Treiben gelassen zu, solange die Wall Street nicht leide. Die Wall Street selbst beschreibt Varoufakis als rasenden Minotaurus, der immer neue Opfer fordert - und sie bekommt.
So weit die große Geschichte, die Varoufakis entwirft. Gegen viele Teile seiner Analyse würden heute auch Konservative oder Liberale nichts einwenden. Zum Beispiel: Eine gemeinsame Währung kann ohne eine gemeinsame Politik nicht dauerhaft funktionieren. Es war ein Fehler, den Euro einzuführen, ohne die politische Voraussetzungen dafür zu schaffen. Der Euro sollte Europa einen, er hat es aber auseinandergetrieben. Europa leidet an einem Demokratiedefizit. Bei der Griechenland-Rettung wurden viele Fehler gemacht.
Die meisten, die diese Thesen unterschreiben würden, würden allerdings auch anmerken, dass man immer erst hinterher weiß, dass und warum etwas schief gegangen ist. Varoufakis aber unterstellt Absicht. Griechenland sei das Versuchslabor gewesen, bei dem man beispielsweise fiskalisches Waterboarding und andere Foltermethoden ausprobiert habe, um zu strafen, zu vergelten und die Armen zu zwingen, ihr Los zu ertragen.

Steile Thesen, voller Widersprüche

Bei so steilen Thesen bleiben die Tatsachen manchmal auf der Strecke. Varoufakis schreibt, das Handelsbilanzdefizit der USA in den 60er-Jahren sei der Auslöser für das Ende der Währungsordnung von Bretton Woods und damit der Keim für die Währungskrise Europas gewesen. Nur: In den 60er-Jahren hatten die USA zwar schrumpfende, aber immer noch deutliche Überschüsse in der Handelsbilanz. Varoufakis beleuchtet die währungspolitischen Überlegungen von Finanzminister Ludwig Erhard Anfang der 60er-Jahre. Nur: Ludwig Erhard war nie Finanzminister, er war zuerst Wirtschaftsminister, dann Kanzler. Er beklagt, dass es in der Eurozone in schlechten Zeiten keinen Ausgleichsmechanismus für Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen gebe. Genau davon aber hat Griechenland bis heute in drei Rettungspaketen profitiert.
Das Euro-Paradox von Yanis Varoufakis ist ein Buch voller Widersprüche. Es erzählt großartige, manchmal großspurige Geschichten. Es schlägt einen Bogen in die Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts, hält sich aber leider nicht immer an historische Tatsachen. Es empfiehlt politische Lösungen, die der Ex-Minister in seiner eigenen Verantwortung nicht anwenden mochte.
Wer Varoufakis als Politiker mochte, wird auch sein Buch lieben. Wer ihn als Ökonom schätzt, wird die glänzende Polemik gegen den Neoliberalismus begrüßen. Und auch wer ihn in beiden Rollen nicht überragend fand, wird bei der Lektüre des Buches viele neue Argumente finden, auf die er sein Urteil gründen kann.

Yanis Varoufakis: "Das Euro-Paradox. Wie eine andere Geldpolitik Europa wieder zusammenführen kann"
Verlag Antje Kunstmann, München 2016
384 Seiten, 24 Euro

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