Yannick Haenel: "Halt deine Krone fest"
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Rowohlt Verlag, München 2019
320 Seiten, 22 Euro
Schriftsteller in der Schaffenskrise
06:03 Minuten
In „Halt deine Krone fest" macht Yannick Haenel einen mit der Wahrheit kämpfenden Schriftsteller zur Hauptfigur. Das Ergebnis ist ein witziger Künstlerroman und der Entwurf einer sozialen Utopie.
Auf den ersten Blick scheint sich der französische Schriftsteller Yannick Haenel mit jedem Buch neu zu erfinden: Sein erster Roman widmete sich dem polnischen Widerstandskämpfer Jan Karski; sein zweites Buch "Die bleichen Füchse" legte die französische Gesellschaft auf den Seziertisch und nahm die Gelbwesten-Bewegung in gewisser Weise vorweg; in Haenels neuem Roman geht es nun um einen Schriftsteller in der Krise.
So unverbunden die Bücher thematisch nebeneinander stehen, es gibt doch einen roten Faden. Darauf verweist schon die Tatsache, dass der Erzähler aus "Die bleichen Füchse", der seine Wohnung verlor und in sein Auto ziehen musste, im neuen Roman weiterlebt: Auch in "Halt deine Krone fest" ist Jean Deichel ein mittelmäßig erfolgreicher Schriftsteller, der kreativ festsitzt, weil er nichts Geringeres sucht als "die Wahrheit".
Bitterböse Abrechnung mit der Filmindustrie
Diese Suche nach Sinn, Wahrheit und Klarheit schält sich als Kern des Schreibens von Yannick Haenel heraus, der übrigens auch Mitbegründer einer philosophisch-literarischen Zeitschrift ist.
Groteskerweise hat sich der Erzähler in einen Text verbissen, der genau seine Lage spiegelt: Er hat ein 700-seitiges Drehbuch über den "Moby Dick"-Autor Herman Melville verfasst, der "keinen Augenblick lang etwas anderes getan hatte, als gegen den Gedanken an seinen eigenen Selbstmord zu kämpfen" und dessen Bücher zu Lebzeiten floppten.
Natürlich findet Jean Deichel keinen Regisseur oder Produzenten für "The Great Melville", wie der Film heißen soll – Haenels Roman ist also auch eine böse Abrechnung mit der Filmindustrie, die nur noch auf Blockbuster setzt.
Wahn und lichte Momente
"Halt deine Krone fest" beginnt als Künstlerroman über einen Schriftsteller, der an einer fixen Idee festhält, sich schon morgens mit Alkohol betäubt, seine Tage im Bett verbringt und sich immer wieder dieselben Filme ansieht, in denen er den "weißen Hirsch der Wahrheit" erkennt – "Apocalypse Now" von Francis Ford Coppola etwa oder "The Deer Hunter" von Michael Cimino.
Dieser erste Teil des Romans ist langatmig und trotzdem unterhaltsam, weil dem Erzähler sein Wahn durchaus bewusst ist und er in lichten Momenten über sich selbst amüsiert ist. Und weil Haenel brillant formuliert. Wie die französische Autorin Virginie Despentes, deren "Vernon Subutex" ein Bruder im Geiste von Jean Deichel sein dürfte, umreißt Haenel seine Figuren mit wenigen treffenden Sätzen. Im Gegensatz zu Despentes' schnodderigem Jargon ist Haenel jedoch ein eleganter Stilist.
Reise nach New York, Essen mit Huppert
Im zweiten Teil nimmt der Roman Fahrt auf: Jean Deichel reist nach New York, um das Melville-Drehbuch dem seit Jahren abgetauchten Regisseur Michael Cimino persönlich vorzulegen. Er gerät in eine persönliche Krise: Seine Pariser Wohnung wird ihm wieder einmal gekündigt, er ist Pleite und verliert einen ihm anvertrauten Pflegehund.
Es geschehen kuriose Dinge: Er speist mit Isabelle Huppert und einem Dalmatiner in einem Pariser Nobelrestaurant, in dem ein Wiedergänger von Emmanuel Macron kellnert.
Das Finale fällt nicht zufällig mit den Pariser Anschlägen vom November 2015 zusammen, einem Moment extremer Verunsicherung: Yannick Haenel geht es um das Überleben unserer Zivilisation, das in seinen Augen nur durch eine Rückbesinnung auf die "Wahrheit" (was immer das genau sein mag) möglich werden kann. "Halt deine Krone fest" ist zugleich witziger Künstlerroman, soziale Utopie – und ein Appell, das Leben wirklich zu leben.