Yaroslava Black, Ulrike Jänichen: „Baba Anna"
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Leicht wie ein Blatt
06:08 Minuten
Ulrike Jänichen, Yaroslava Black
Baba Anna. Wie meine ukrainische Großmutter auf dem Brombeerblatt flogVerlag Freies Geistesleben & Urachhaus, Stuttgart 202246 Seiten
19,90 Euro
Trauer und Trost: Die 1973 in der Ukraine geborene Schriftstellerin Yaroslava Black und die 1976 in Dresden geborene Künstlerin Ulrike Jänichen erzählen in ihrem dritten gemeinsamen Bilderbuch von einem Kind und vom Tod seiner geliebten Großmutter.
Großmütter gehören ins Kinderbuch wie Drachen in die Sage oder Hexen ins Märchen. Sie sind Teil der erzählten Kindheit, oft auch selbst Protagonisten und manchmal sogar, wenn sie im Lauf der Geschichte sterben, Auslöser einer ersten einschneidenden Verlusterfahrung. Viele Kinderbücher haben sich in den vergangenen Jahren gerade mit dieser Variante beschäftigt, und „Baba Anna“ bringt noch einmal einen ganz neuen Blick auf das Thema mit.
Trauerrituale in Galizien
Denn alles, was wir hier lesen und sehen, ist ein wenig fremd. Die Geschichte spielt in Galizien, sie erzählt aus der Sicht eines Jungen von den drei Tagen nach dem Tod der geliebten „Baba Anna“ bis zu ihrer Beerdigung. Volkstümliche Traditionen und Bräuche bestimmen den Ablauf, die alte Frau liegt in Festtagstracht im offenen Sarg, der Vater verhängt die Spiegel und hält die Uhren an.
Um den Sarg herum wird Totenwache gehalten, mit vielen Kerzen, Gebeten, Gesang und Essen. Der Tod wird wie ein Fest begangen, weil – wie der Vater seinem Sohn erklärt – die Seele nun in ihre Heimat zurückkehrt. Und alle diese Rituale bis hin zum feierlichen Heraustragen des Sarges aus dem Haus sind voller religiöser Bedeutungen, sie tun den Trauernden gut und stützen sie.
Kuriose Erinnerungen
Getragen von dieser tröstlichen Atmosphäre kann der vielleicht zehnjährige Junge ganz ruhig und gelassen erzählen. Von allem, was er in diesen Tagen erlebt und beobachtet: Von dem Diakon, der während des Betens zu viele Schnäpse kippt, von der Großmutter, die kurz vor ihrem Tod noch eine Orange essen und im Sarg auf jeden Fall ihr Gebiss tragen wollte. Kuriose Erinnerungen sind das, man spürt, dass die Autorin hier eigene Erfahrungen aus ihrer Kindheit in der Ukraine verarbeitet.
Ebenso berührend und heiter wie der Text sind Ulrike Jänichens Bilder. Auch sie halten Distanz zum Geschehen, zeigen den Jungen aber zugleich geborgen in wechselnden Menschengruppen. Ganz naiv, fast holzschnittartig sind die bäuerlich gekleideten, untersetzten Figuren gemalt, ruhig und würdig bewegen sie sich. Statt klar konstruierter Perspektiven dominiert die einfache Drauf-Sicht von vorne oder oben.
Holzschnitt und Ornament
Verstärkt wirkt dieser Eindruck von Statik durch den vielseitigen Einbezug bunter Muster und farbiger Ornamente. Sie rahmen den Sarg, den Fensterrahmen mit Blick nach draußen, sie zieren Teppiche und Kerzenhalter, Decken und Kleidungsstücke. Selbst Bäume, Blumen und Blätter sind mehr Ornament als Natur, alle Szenen und Handlungen bekommen dadurch etwas Bleibendes, Unvergängliches.
Unvergänglich wie die Erinnerungen an die Großmutter, die im Traum des Jungen federleicht auf einem Blatt davonfliegen darf, und an ein jahrhundertealtes Brauchtum, das endgültig verloren ist. Mit keinem Wort wird der russische Angriff auf die Ukraine erwähnt, aber als erwachsener Leser spürt man neben der unsentimentalen Haltung und der fröhlichen Farbigkeit der Geschichte eine leise Melancholie um eine verlorene Welt. Wie gut, dass Yaroslava Black, die in Köln als Pfarrerin lebt, diese Welt für uns festgehalten hat.