Yash Tandon: Handel ist Krieg. Nur eine neue Wirtschaftsordnung kann die Flüchtlingsströme stoppen
Aus dem Englischen von Christoph Bausum
Quadriga Verlag, Köln 2016
320 Seite, 22 Euro, auch als E-Book
Der Welthandel als Schlachtfeld
Handel könnte ein Segen für die Menschheit sein. Doch er ist längst zu einer Waffe in einem todbringenden Krieg zwischen reichen und armen Staaten geworden, glaubt der ugandische Ökonom Yash Tandon. Sein Buch entwirft die düstere Vision einer Welt vor dem Ende des Kapitalismus.
Wenn die USA Strafzölle gegen europäischen Stahl verhängen oder die Europäer gegen amerikanische Bananen – dann nennen wir das einen Handelskrieg. Dabei wird nicht geschossen und es sterben auch keine Menschen. Der reiche Westen führt aber auch einen Handelskrieg gegen die Allerärmsten Afrikas, sagt der aus Uganda stammende Wirtschaftswissenschaftler Yash Tandon: einen buchstäblicher Krieg, der Menschenleben kostet. Und der, so prophezeit Tandon, bald nach Hause kommen könnte, nach Europa.
Am Ende werde es darum gehen, sich in die Boote zu retten, so kündigt es Yash Tandon an. Und es werden viele sein: tausend, hunderttausend Boote für Millionen von Frauen und Kindern, begleitet von guten Ruderern – denn der Politikwissenschaftler, Ökonom, Diplomat, Handelsbeauftragte und Aktivist sieht die Welt vor dem Ende einer Epoche.
"Wenn das kapitalistische Schiff tatsächlich zu sinken beginnt, sollte niemand mehr an Bord sein. Es ist Zeit, eine Strategie zu entwickeln."
"Die WTO ist eine wahre Kriegsmaschine"
Wer sich bislang vielleicht noch eingeredet hat, die Wellen von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und mehr noch aus dem schier endlos riesigen Afrika seien nur eine Minderheit der Verzweifelten, die sich durch eine Tagesquote und notfalls Stacheldraht aus dem übersatten Europa fernhalten lassen – der wird spätestens mit dieser düsteren Vision wachgerüttelt: Wir sind im Krieg. Und das seit so langer Zeit, dass der Zustand den meisten Bewohnern der westlichen Welt längst aus dem Bewusstsein verdämmert ist. Falls er je dorthin vorgedrungen war, denn es lebt sich ja bequem auf der Seite der vorläufigen Sieger. Haben wir nicht unser ganzes Welt- und Menschenbild auf der Überzeugung begründet, dass wir – der Westen, Europa, Amerika – ,dass wir tüchtiger sind als andere und unseren Wohlstand also mit vollem Recht genießen?
"Handel ist Krieg", sagt Yash Tandon dagegen und blättert in gnadenlosem Stakkato die Belege hin: eine Jahrhunderte alte Geschichte von Unterdrückung und Ausbeutung. Der Sklavenhandel, die Opiumkriege, der Kolonialismus. Die Macht der globalen Konzerne, Monsanto, Cargill und Novartis, die Politik der Weltbank, die Ressourcenkriege um Gold, Eisen, Uran, Kaffee, Holz oder seltene Erden, die Demütigung durch Sanktionen, die künstliche Knappheit lebenswichtiger Güter, die Machenschaften der Kartelle, allen voran jene der Welthandelsorganisation WTO, in der für Tandon besonders viele Fäden zusammenlaufen.
"Die WTO ist definitiv keine demokratische Organisation. Die WTO ist eine wahre Kriegsmaschine."
Fair-Trade-Kaffee aus dem Heile-Welt-Laden
So ist der Ton seiner Klage: direkt, offen und hart. Schluss mit der viel zu lang eingeübten Unterwürfigkeit, die Tandon seinen eigenen Leuten vorwirft. Wenn dann aber sein deutscher Verlag den Untertitel des englischen Originals "The West's War Against the World", also der Krieg des Westens gegen die Welt, ersetzt durch "Nur eine neue Wirtschaftsordnung kann die Flüchtlingsströme stoppen", dann mag das ein Weichspülprogramm für hiesige Leser sein, eine Konzession an ein westliches Narrativ, das immer auf versöhnliches Ende hinauslaufen musste. Im Buch gibt sich der Autor deutlich schroffer. Ein Irgendwie-geht's-schon-weiter ist bei ihm nicht zu haben, ein bisschen Wohlfühl-Rhetorik und ein Schluck Fair-Trade-Kaffee aus dem Heile-Welt-Laden – nein, solche Heuchelei wäre wohl das Letzte, wozu Tandon einladen möchte.
"Handel tötet Menschen; er treibt sie in die Armut; er schafft Reichtum an einem und Armut am anderen Ende; er bereichert die mächtigen Nahrungsmittelkonzerne auf Kosten der Marginalisierung von armen Bauern, die dann zu Wirtschaftsflüchtlingen werden. Natürlich ist Handel lebenswichtig für das Wohlergehen der Menschen. Wir stellen Dinge her, wir produzieren Nahrung, wir liefern Dienstleistungen. Handel kann ein Mittel zur friedlichen Entwicklung der Völker der Welt sein – das kann er sein, und das war er in der Vergangenheit. Doch in unserer Zeit ist er es nicht. Handel ist zu einer Waffe des Krieges zwischen den reichen Nationen und dem Rest der Welt geworden."
"Dritte Welt"-Staaten durch Entwicklungshilfe geschwächt
Sie haben sich abgesichert. Sie haben Kartelle gebildet und ihre Absprachen heimlich in einem Hinterzimmer getroffen. Sie haben ihre Macht durch Gesetze abgesichert, die sie selbst festgelegt haben. Und plötzlich war es ganz legal, den Bauern in Afrika Saatgut zu verkaufen, das sich im Boden selbst vernichtet, oder Medikamente anzubieten, deren Preise ganze Staaten in den Ruin trieben. Zölle festzulegen, Handelsabkommen zu schließen, bei denen immer einer übrig bleibt, der am Ende die Zeche zahlt, weil er sich nicht wehren kann. Seit ihrer Gründung vor 20 Jahren hat Yash Tandon an sämtlichen Konferenzen der WTO teilgenommen, in Singapur, Doha, Genf oder Bali. Die dort ausgehandelten Verträge – etwa zur Verteidigung des Patentrechts für Zuchtpflanzen oder pharmazeutische Produkte: Sie sind in seinen Augen einfach nur kriminell.
"Ich kenne die Art, mit der die Europäische Union afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten 'Wirtschaftspartnerschaftsabkommen' aufgedrängt hat. Afrikanische Regierungen, geschwächt durch ihre Abhängigkeit von sogenannter Entwicklungshilfe, sind oft bereit, diese asymmetrischen und vollkommen unfairen Abkommen zu unterzeichnen. Vielleicht liegt es auch am 'Minderwertigkeitskomplex', dem Drang der 'kolonisierten Elite', die Anerkennung ihrer europäischen Mentoren zu suchen."
IS-Terror: ein Produkt des kapitalistischen Megasystems
Es sei eine papierdünne Wand, so droht Tandon, die den Süden noch davon abhält, seinen Unterdrückern auf Augenhöhe entgegenzutreten: eine psychologische Barriere, ein Unterlegenheitsgefühl aus den frühen Zeiten des Kolonialismus, wach gehalten in einem narkotischen Nebel der Propaganda. Doch der Niedergang des kapitalistischen Megasystems habe schon begonnen. Seine Gegner warten an den Grenzen. Die Piraten von Somalia, der Terror des IS – das sind seine eigenen Produkte. Der Westen hat sie ausgebildet, ausgerüstet und gedemütigt. "Eine asymmetrische Machtsituation", warnt Tandon, "verlangt nach einer Guerrillataktik."
Und als wollte er seinen Lesern dann doch noch ein lichtvolleres Ende ausmalen, wie sie es aus ihren Märchenbüchern gewohnt sind, bietet der Mahner für das bedrohliche Bild vom Ende eines den ganzen Globus beherrschenden Wirtschaftssystems doch noch eine zweite Möglichkeit zur Deutung: Vielleicht liege ja schon ein neues Lebensmodell darin, dass die ganze Welt umsteigt in viele, kleine, rettende Boote.