Yasmina Reza, "Babylon"
aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel und Frank Heibert
Hanser Verlag 2017, 218 Seiten, 22 Euro
Brillante Dialogkunst
Der französischen Dramatikerin Yasmina Reza ist Lust auf das immer gleiche Milieu des gut situierten, gebildeten französischen Bürgertums offenbar nicht vergangen. Das beweist ihr neuer, ideensprühender Roman "Babylon" - ein Krimi voll bösen Wortwitzes und makabrer Ideen.
Niemand seziert das zeitgenössische Bürgertum so gnadenlos wie Yasmina Reza. Niemand ist so brillant und auch routiniert darin, unter dem Leben all der Journalisten, Anwälte und Wissenschaftler ein Feuer zu legen, das ihre wohltemperierte Welt in die Luft jagt. Dafür wird die französische Schriftstellerin international bejubelt. Ihre Theaterstücke, die Klassiker "Kunst" oder "Der Gott des Gemetzels", sind Dauererfolge auf den Bühnen von Paris bis New York, ihre Romane und Erzählungen internationale Bestseller.
Auch Hitchcock diente als Inspiration
Man könnte meinen, so langsam ginge Reza die Lust oder die Phantasie aus, das immer gleiche Milieu, dem sie selbst angehört, mit sarkastischer Komik zu zerlegen. Aber so ist es nicht. Für ihren neuen Roman "Babylon" leiht sie sich das Werkzeug einer populären Gattung aus: dem Krimi. Es gibt einen Mord, folglich eine Leiche und das Problem, sie zu entsorgen. Am Anfang aber steht, wie oft bei Yasmina Reza, eine Abendgesellschaft mit illustrem Publikum, ausgewählten Speisen und den so albernen wie doppelbödigen Konversationen, die ihr kaum jemand nachmacht.
Deutlich profitiert der Roman von der Dialogkunst der Dramatikerin, die Botho Strauß in vielen Interviews zu ihrem großen Vorbild erklärt und zugleich eine unverwechselbare Tonlage des rhetorischen Slapsticks entwickelt hat. Für "Babylon" gibt es noch ein anderes Vorbild, Alfred Hitchcocks makabre Komödie "Immer Ärger mit Harry".
Herrlich peinlich nach Reza-Art
Elisabeth, eine 62jährige Pariser Patent-Ingenieurin, die ein geruhsames, etwas spannungsarmes Eheleben führt, veranstaltet eine Frühlingsparty in ihrer Wohnung in einem mehrstöckigen Mietshaus. Eingeladen ist auch das Paar aus dem oberen Stockwerk, der Pensionist Jean-Lino, mit dem Elisabeth seit geraumer Zeit eine unamouröse Freundschaft pflegt, und seine schrille Gattin Lydie, eine Psychotherapeutin, die in der Freizeit gern als Sängerin in Nachtlokalen auftritt.
Es kommt zu einem ganz und gar reza-typischen Zwischenfall der peinlichen Art: Lydie beharrt auf der Frage, ob die aufgetischten Hühnchen den höchsten Ansprüchen ökologischer Aufzucht genügen. Ihr schwer genervter Gatte Jean-Lino macht sie vor den Gästen lächerlich.
Nachdem die Party vorbei ist, klingelt er bei Elisabeth, um lakonisch mitzuteilen, er habe Lydie soeben erwürgt. Fast ungeheuerlicher als der Mord sind die grotesken Ereignisse, die ihm folgen. Anstatt die Polizei zu rufen, macht sich Elisabeth zur Komplizin des Nachbarn und ertüftelt mit ihm einen Plan, um die Leiche mittels eines geräumigen Koffers aus dem Haus zu schaffen. Das kaltblütige Projekt scheint Elisabeth, die mit der Ereignisarmut ihres vorgerückten Alters hadert, zu beleben, ja mit regelrechter Abenteuerlust zu beglücken.
Moralische Bedenken streifen sie nur flüchtig. Dem Nachbarn Jean-Lino geht es nicht anders. Seine größte Sorge gilt seiner geliebten Katze, die er, sollte die Polizei doch auf seine Spur kommen, keinesfalls ihrem Schicksal überlassen möchte.
Am Ende wird er in Handschellen abgeführt. Und Yasmine Reza hat wieder einmal bewiesen, welches Potential an Tiefsinn und Klamauk im gnadenlosen literarischen Sezieren des Bürgertums steckt.