Das Yiddish Summer Weimar 2016 läuft noch bis zum 12.8.2016 in Weimar.
Mit Klezmer das Leben feiern
Das Kulturfestival Yiddish Summer in Weimar bietet viel Musik. Erstmals wurde an die abgebrochene jüdische Tanzavantgarde angeknüpft. Darüber hinaus hatte ein Straßentheaterstück über Flucht und Männlichkeit Premiere.
"Also, ich bin der deutsche Grammatiker, der alle Geheimnisse der hebräischen Grammatik und der Heiligen Schrift kennt. Es gibt keinen Lebenden, der mein Wissen übertrifft. Mein Name ist Levita, Elias Levita."
Die Zuschauer der Weltpremiere von "Bobe Mayses" stehen mit selbstgebastelten Kopfbedeckungen vor der OMA – der Other Music Company, einem kreativen Ort, einem soziokulturellen Zentrum, der Heimat des Yiddish Summer Weimar. Die Besucher werden in Gruppen durch das Programm geführt. Immer 20 erleben die Einführung, ein Puppentheater, einen Bänkelgesang von Verrat und Mord, Lieder über Großmütter, über Hebammen und über die Liebe zwischen Tür und Angel.
"Ich habe für euch ein paar authentische Bobe Mayses – Oma-Märchen –, bei denen euch die Kinnlade runterklappen wird und die Augen weit aufgehen! Es war einmal eine reiche Rabbinerin …"
500 Jahre alte Rittergeschichte heute aktuell
Hintergrund von Bobe Mayses ist das erste jiddische Buch mit einer weltlichen Geschichte aus der Zeit der Renaissance. Der Begründer, Spritus Rector und Künstlerische Leiter des Yiddish Summer Weimar, Alan Bern, hat es zum Jahresthema gemacht. Jenny Romaine führte Regie. Die Kulturstiftung des Bundes hat großzügig finanziert.
Bern: "Das ist eine Rittergeschichte, und diese Rittergeschichte hat viel mit Flucht und mit Männlichkeit und mit Auswanderung und mit Ankunft zu tun. Und weil diese Themen für uns heute 500 Jahre später sehr aktuell sind, nehmen wir diese Vorlage als ein Sprungbrett, eine Geschichte zu erzählen, die gleichzeitig 500 Jahre alt ist und von heute stammt."
Schauspielerin: "Nun, die Umstände sind für euch so schwierig geworden, dass ihr angefangen habt, scharenweise in fremden Ländern, wo die Nichtjuden slawische Sprachen sprechen, Zuflucht zu finden. Und sehr euch an: Ihr seid so jung!"
An den Wänden des dunklen Raumes hängen Texte über den Zusammenhang von Wasserknappheit, Öl, Gewalt und Abwanderung. Eine Karte bringt Dürre und Drohnenangriffe zueinander in Beziehung. Der fröhliche Mitsingrausch ist erst einmal beendet. Und die Musik wechselt vom Klezmer ins Arabische.
Jiddische Kultur bewahren und weiterentwickeln
In einer wilden, bunten und fröhlichen Prozession führte Bern mit seinem Akkordeon die Zuschauer quer durch Weimar zur nächsten Spielstätte. Die Darsteller mit Pferdepuppen und Tänzen voran. Auch wenn manches den Geruch von Laientheater verströmte, vieles zu plakativ daherkam, so riss doch die enorme Spielfreude des internationalen Schauspielerensembles und der Musiker das zur unbedingten Affirmation geneigte Publikum mit. Für Alan Bern war es ein Experiment. Er will die in Europa im Holocaust nahezu ausgerottete jiddische Kultur nicht nur bewahren, sondern auch weiter entwickeln.
"Wir haben im Grunde genommen drei Aufgaben. Die erste Aufgabe ist, die Geschichte zu erforschen; die zweite ist, die Ergebnisse zu vermitteln; und die dritte ist, neue Kunst auf dieses Basis, auf diesem Befund zu schaffen."
Neue Kunst neben unzähligen Konzerten, Klezmer-Workshops, Jiddisch-Kursen, Tanz-Kursen, Konzerten mit Profis, Laien und immer neuen Kombinationen und Variationen. Der Yiddish Summer Weimar ist mittlerweile das größte und bedeutendste Klezmer-Festival der Welt – auch und gerade am Fuße des Ettersberges, nahe Buchenwald, meint Bern.
"Die jüdische Kultur hat immer das Leben gefeiert und nicht den Tod. Trauer, Jammern, Tod, sterbende Menschen, Leichen – das ist, was der jüdischen Kultur angetan worden ist. Und das kann nicht und wird niemals mein Anfang sein."
Jiddischen Avantgardetanz wiederentdeckt
Nach Bobe Mayses gab es heute noch eine weitere Premiere, "Gilgul – Transformations". Zeitgenössisches Tanztheater, angereichert mit fundiertem Wissen über jiddische Volkstanztradition. Erstmals seit 70 Jahren war im Weimarer Kulturhaus "Mon Ami" ein Tanzabend in dieser Kombination zu sehen, erstmals wurde an die abgebrochene jüdische Tanzavantgarde angeknüpft. Der Choreograph Steve Weintraub brachte acht Tänzerinnen und Tänzer zu Musik von Zilien Biret und Ilya Shneyveys auf die Bühne, die traditionell jüdische religiöse Themen, aber auch die Liebe und das Schicksal verhandelten.
Mitunter begleitet vom berührenden Gesang der lettischen Sängerin Sasha Lurje, die der Performance eine besondere Würde verlieh. "Gilgul" war ganz klar der künstlerische Höhepunkt des Festivals. Aber es wäre nicht der Yiddish Summer Weimar, wenn nicht auch hier Tänzer und Zuschauer am Ende gemeinsam ausgelassen getanzt hätten.