Yoga in der DDR

Im Geheimen, im Gefängnis und am Ende toleriert

06:53 Minuten
Frauen beim Yoga 1961.
Wer in der DDR Yoga machte, geriet schnell in das Visier der Staatssicherheit. © picture alliance / akg-images
Von Marianne Allweiss |
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Schon seit Jahrzehnten ist Yoga mit den Übungen für Körper, Atem und Geist aus Deutschland nicht mehr wegzudenken. In der DDR sah das allerdings ganz anders aus: Der Sport war verboten – und Menschen mussten ins Gefängnis, nur weil sie Yoga praktizierten.
Anhand von zwei hohen Stapeln Stasi-Akten lässt sie sich exemplarisch erzählen: die Geschichte von Yoga in der DDR. Für sein gleichnamiges Buch hat sie der Berliner Autor Mathias Tietke vor einigen Jahren durchgearbeitet. Die ersten 800 Aktenseiten stehen für die systematische Unterdrückung eines Yogis, erzählt Tietke. Es ist der Fall eines sportlichen jungen Musikers aus Cottbus. Sein Name: Gert Scheithauer.

Er wusste, es sind ungefähr 15 IM auf ihn angesetzt. Ich konnte ihm dann alles schicken. Da brach er in Tränen aus. Was alles geplant war: In die Familie eingreifen, dass seine Eltern ein schlechtes Bild von ihm bekommen. Er hat Sprachkurse gemacht und durfte die nicht mehr fortsetzen. Alles Maßnahmen der Zersetzung, um seine Persönlichkeit zu zerstören.

Mathias Tietke

Scheithauer hatte sich ein Yoga-Buch aus dem Westen Deutschlands kopieren und kapitelweise schicken lassen. Doch als er nach diszipliniertem Selbststudium Anfang der 1980er-Jahre mit seinen erlernten Fähigkeiten an die Öffentlichkeit gehen will -  er möchte an der Urania Vorträge halten und nach Indien reisen -  wird es linientreuen Funktionären in Cottbus zu viel: Scheithauer muss fast zwei Jahre ins Gefängnis, bis er von der BRD freigekauft wird. Yoga war ihm in der Haft verboten - so wie generell in der DDR. Nachdem Yoga in den ersten 30 Jahren seit der Staatsgründung tabu war und sich nur einzelne Personen meist geheim und unabhängig voneinander mit Yoga beschäftigt hatten, entschied sich der Deutsche Turn- und Sportbund 1979 zu einem offiziellen Verbot.
Tietke: "Es gab einen richtigen Beschluss: Wir möchten das nicht, weil es entspricht nicht der wissenschaftlichen Weltanschauung der DDR. Und zum anderen läuft es völlig dem entgegen, was wir eigentlich wollen: nämlich im Sport wettkampffähig sein."

Gerichtsmediziner hält Yoga für Geisteskrankheit

Den Grundstein für das Verbot hatte der bekannte Gerichtsmediziner Otto Prokop in den 1950er-Jahren gelegt. Yoga bezeichnete er in seinen Publikationen als etwas Esoterisch-Okkultes, die Yogapraxis gar als Ausdruck einer Geisteskrankheit. Dennoch konnte etwa Herbert Fischer, der erste Botschafter der DDR in Indien, der Kontakt zu Gandhi hatte, Yoga praktizieren.
Und der Ethnologe Heinz Kucharski konnte 1979, also im Jahr des Yoga-Verbots, in Leipzig sogar einen Verein zur wissenschaftlichen Erforschung von Yoga gründen. Allerdings hatte der Wissenschaftler auch einen besonderen Status in der DDR - als sogenannter „Verfolgter des NS-Regimes“ und als Parteisekretär der SED. 

Das waren die zweiten 800 Seiten Stasi-Unterlagen zu Heinz Kucharski, der von 1964 bis November 1989 fürs MfS tätig gewesen ist. Das heißt, ein anderer hätte nicht einfach so einen Yoga-Verein etablieren können.

Mathias Tietke

Kurcharski organisiert einmal im Jahr einen Yoga-Kongress in Leipzig. Ähnlich wie Mediziner in der in dieser Hinsicht deutlich offeneren Sowjetunion wollten er und seine Mitstreiter vor allem erforschen, wie Yoga bei bestimmten Krankheiten helfen kann - oder im Weltraum bei den Sojus-Missionen. Tietke sieht in Aktivitäten wie diesen eine gewisse Öffnung der DDR gegenüber Yoga.

Verlust des Studienplatzes wegen Yoga

Er selbst konnte davon allerdings nicht profitieren. Als Wehrdienstverweigerer und Bausoldat ist Tietke Mitte der 1980er-Jahre ohnehin schon ein Außenseiter und wird beobachtet.
Als er dann über Bekannte ein bulgarisches Yoga-Buch ausleihen kann und beschließt, diese „Geheimlehre“ zu praktizieren, verliert er seinen sicher geglaubten Studienplatz am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig.
Der Autor Mathias Tietke
Mathias Tietke konnte wegen Yoga nicht am Leipziger Literaturinstitut Johannes R. Becher studieren.© Privat
Doch es gibt auch andere Beispiele, wie das der Krankengymnastin Inge Schönfelder. Sie wird von einer Kollegin zum Yoga eingeladen. Schönfelder: „Da hab ich gefragt: Was ist denn das? Und da hat sie mir erklärt, du kannst doch rüberkommen und machst da mit. Und so bin ich zum Yoga gekommen oder das, was wir damals Yoga genannt haben.“

Die kleine Gruppe an einer Polyklinik in Leipzig hat Anfang der 1980er-Jahre keine richtige Lehrerin und keine Yoga-Bücher, aber Schönfelder ist fasziniert. Sie will sich als ehemalige Schwimmerin wieder körperlich betätigen, ohne an Wettkämpfen teilnehmen zu müssen oder in einen Sportverein einzutreten. Nach einem Vortrag des Ethnologen Kucharski nimmt sie Kontakt zu ihm auf. Bei einem Treffen bittet der Wissenschaftler die junge Frau, bei seinen Vorträgen Übungen zu demonstrieren und in Leipzig eine Yogagruppe aufzubauen. Einfach ist das aber nicht: 

Ich hatte einen Mittelsmann, der mir die Turnhallen besorgt hat. Und die kriegte ich nicht für Yoga, sondern wir haben gesagt, Stunden für Entspannung oder Entspannungsgymnastik.

Inge Schönfelder

Siegeszug von Yoga in der DDR-Spätphase

Yoganastik war auch ein beliebter Begriff, unter dem Ende der 1970er-Jahre sogar eine Übungsserie in der Frauenzeitschrift "Sibylle" erscheinen konnte. Die Krankengymnastin Schönfelder taucht später in einem ersten ausführlichen Heft über Yoga auf - es ist schnell vergriffen. Ihre Bücher muss sie sich aber weiterhin für viel Geld von Rentnern aus dem Westen mitbringen lassen.
Doch der Siegeszug von Yoga ist in der Spätphase der DDR nicht mehr aufzuhalten. In der Wendezeit erscheinen erste Bücher, Inge Schönfelder und andere Yogapraktizierende werden ins Fernsehen eingeladen.     

Nach dem Mauerfall und mit der Reisefreiheit passt sich die Yoga-Szene in der ehemaligen DDR schnell an die im Westen an. Impulse kommen nicht mehr aus dem Osten, sondern vor allem aus den USA, beobachtet der Yoga-Autor Tietke.

Tietke: „Wenn man die Schule vollbekommen möchte, dann kann man nicht in der Dreiecksbadehose irgendwo stehen und sagen, wir machen den Stil von Boris Sacharow. Es gibt zwar solche, aber das sind die Raritäten.“

Inge Schönfelder ist noch immer eine gefragte Lehrerin. In Leipzig gibt die Yoga-Pionierin der DDR an der Volkshochschule mehrere Kurse pro Woche.
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