"Buddha hat gerne Sachen übernommen"
Viele Elemente des buddhistischen Glaubens wurden aus anderen Lebensbereichen übernommen: Selbst der Lotussitz ist aus dem Hatha-Yoga entliehen. Die buddhistische Lehre hat verschiedenste Glaubensströmungen in sich aufgenommen.
"Der Buddha hat immer gerne Sachen übernommen, die er gut fand und hat sie dann integriert in seine Lehre", sagt Oliver Petersen, Religionswissenschaftler und Meditationslehrer am tibetischen Zentrum in Hamburg. Er setzt die Übernahme von Elementen anderer Religionen schon bei Buddha selbst an. Als Beispiel nennt er die Meditationshaltung, den sogenannten Lotussitz:
"Die Haltung der Beine hat er ja aus dem Hatha-Yoga übernommen, das es schon vor dem Buddhismus gab. Es ging ihm auch nicht darum, alles neu zu machen, sondern alle indischen Yogis, verschiedene Religionen, haben sich auch Mittel bedient, um den Körper, vor allem den feinstofflichen Körper für die Meditation zu benutzen. Und das wissen wir ja heute, wie hilfreich Yoga ja offenbar ist."
Im Laufe von 2500 Jahren sind bei der Ausbreitung des Buddhismus in Asien viele neue kultische Elemente anderer Religionen in die buddhistische Lehre eingeflossen. Schon im frühen indischen Buddhismus erhielten Hindu-Götter beispielsweise eine neue Funktion.
Erleuchtung aus eigener Kraft
Der Buddha selbst lehnte die Verehrung von Göttern ab, weil er sie als erlösungsbedürftig ansah. Doch bald nach seinem Tod entstanden Legenden über das Erwachen des Buddha, in denen er als einziger unter Menschen und Göttern gerühmt wurde, der die Erleuchtung aus eigener Kraft erreichte. Der Hamburger Professor für Indologie, Michael Zimmermann, fasst die Erzählung zusammen:
"Der Buddha ist erwacht. Er beschließt, er hat das Erwachen gefunden, will sich jetzt zurückziehen. Und dann kommen zwei ganz wichtige Götter aus dem hinduistischen Pantheon und sagen: ‚Wart mal einen Moment. Willst du nicht doch noch lehren? Selbst wir, die wir so hohe Götter sind, verstehen nicht, wie man die Erlösung finden könnte. Und du bist derjenige, der uns das sagen könnte.‘ – Also, hier sieht man einen ganz raffinierten Schachzug des Buddhismus, indem man die etablierten Götterpersönlichkeiten des Hinduismus nimmt, seiner eigenen Religion irgendwie einordnet, in diesem Fall unterordnet und da auch auf gute Art und Weise einen gewissen Profit daraus bezieht."
Buddhisten als "Ich-Leugner"
Eine große Veränderung im Selbstverständnis des Buddhismus wurde im zweiten und dritten Jahrhundert in Indien eingeleitet. Es geht um den innersten Kern des Menschen. Vermutlich hatte der Buddha die Idee einer unsterblichen Seele abgelehnt, damit seine Schüler nicht am Ich und der Selbstsucht hängen bleiben. So wurden die Buddhisten damals von anderen Religionsgemeinschaften als "Ich-Leugner" bezeichnet – was zunächst ein Alleinstellungsmerkmal war, sagt Michael Zimmermann.
"Später allerdings, das können Sie in der Geschichte des Buddhismus immer wieder sehen, ist es dann doch schwierig geworden, diese Idee eines Nicht-Selbst aufrecht zu erhalten. Zum Beispiel in der Frage, wer wird dann oder was wird dann eigentlich wiedergeboren, wenn es nicht so einen Seelenkern gibt."
Auch das Konzept des Karma blieb schwer verständlich mit dieser Idee vom Nicht-Ich. Woran sollten die Folgen von den Taten in nachfolgenden Inkarnationen festgemacht werden?
"Alle Lebewesen habe die Buddha-Natur"
"Diese Fragen haben den Buddhismus noch über Jahrhunderte bis heute noch ständig geplagt. Insofern gab es immer wieder Methoden, bewusst oder unbewusst, wo so eine Art Seele, eine Art menschlicher Kern durch die Hintertür doch wieder auf die Bühne tritt. Eine dieser Möglichkeiten kann man sehen, im dritten Jahrhundert nachchristlicher Zeit, wo sich in Indien dann Schriften hervortun, die zu dem Thema Buddha-Natur dann Stellungen beziehen. Und dann auf sehr positive, gar nicht mehr seelen-leugnerische Art sagen: Ja, alle Lebewesen, Menschen, Tiere haben doch im Grund die Buddha-Natur. Sie haben einen essenziellen Teil in sich, der sich von dem Teil eines Buddhas nicht unterscheidet."
Diese Idee der Buddha-Natur, die allen Wesen gemeinsam sei, hat sich dann in Ostasien über China bis nach Tibet, Korea und Japan verbreitet. Übrigens hat der Buddhismus auch die Karma-Idee und die Vorstellung vom Kreislauf der Wiedergeburt aus den damals gängigen philosophischen Strömungen übernommen.
"Da geht man heute davon aus, dass Ideen wie Karman, Ideen wie die Wiedergeburt, dass das so eine Art panindisches Gedankengut geworden ist, die nicht von Buddha kreiert worden sind, die wahrscheinlich in der damaligen Zeit, wir sprechen über das vierte, fünfte Jahrhundert vor Christus, irgendwo gesamtindisches Erbe geworden ist."
Waschungen für heilige Statuen
Einige Entwicklungen liegen noch im Dunkeln. Warum die Lehre von der Buddha-Natur attraktiver war als die Lehre vom Nicht-Ich liegt auf der Hand. Die Betonung der Leerheit aller Dinge war eine schwere Kost für buddhistische Laienanhänger. Besonders in China und Japan hat sich daher die Lehre von der Buddha-Natur verbreitet - nicht durch Zufall, meint Michael Zimmermann.
"Anscheinend ist die Lehre von der Buddha-Natur in Ostasien auf ein viel fruchtbareres Substrat gefallen. Was wahrscheinlich damit zu tun hat, dass es ähnliche Denkansätze dort schon auch außerhalb des Buddhismus gab."
Eine besondere Symbiose aus alter japanischer Spiritualität und altindischer Verehrung des Bodhisattvas des Mitgefühls ist in Japan entstanden. Bodhisattvas sind vorbildliche, auf dem Erleuchtungsweg fortgeschrittene Wesen. Kannon heißt der Bodhisattva des Mitgefühls in Japan, wo er durchweg als weibliche Gestalt abgebildet wird. In einigen Tempeln des japanischen Buddhismus wird diese Kannon-Figur regelmäßig gewaschen. Und zwar reiben die Gläubigen die Figur an den Stellen mit einem Schwamm, wo sie selbst Schmerzen haben. Diese Tradition zur Schmerzlinderung wird auch Wasch-Kannon genannt, erläutert der Hamburger Religionswissenschaftler und Theologe Professor Ulrich Dehn.
"Auf japanisch: Arai-Kannon. Wobei Kannon eben die Japanisierung der Sanskrit-Gottheit oder des Sanskrit-Bodhisattva Avalokiteshvara ist, der in Tibet ja auch eine große Rolle spielt. Und diese Übernahme in den Arai-Kannon, in den Wasch-Kannon, ist eine Übernahme aus dem außerbuddhistischen Bereich, die wohl relativ früh passiert ist und es gibt in Tokio im Stadtteil Sugamo einen Tempel, der dem Wasch-Kannon gewidmet ist."
"Alle Aufgaben dieser Welt sind unlösbar"
Bis heute ist dieser Kult sehr beliebt. In dem Tokioer Tempel stehen die Leute Schlange, um die Bodhisattva-Figur an den betroffenen Körperstellen zu waschen. Ulrich Dehn vermutet, dass mit diesem Kult die Menschen damals Buddhisten sein und trotzdem ihren alten japanischen Riten treu bleiben konnten – ohne als Häretiker zu gelten.
"Das war ja die Möglichkeit, wie sich der Buddhismus überhaupt verbreitet hat, weil er alle diese Kulte einfach inkorporiert hat und die Leute konnten da machen, was sie vorher auch gemacht haben."
In Japan haben die Regierungen im 11., 12. und 13. Jahrhundert den Shinto-Kult mit dem Buddhismus regelrecht zusammengeführt. Auf Shinto-Heiligtümern wurde ein Buddha-Schrein errichtet und umgekehrt. Vermutlich ist Japan auch das Land, in dem sich der Buddhismus am stärksten verändert hat. Im Zen-Buddhismus, der Elemente des chinesischen Daoismus aufgreift, geht es so weit, dass man sich von der Erkenntnisebene verabschiedet, die einst das tragende Element war. Der Geist soll in der Meditation ganz leer werden.
"Es ist alles paradox. Das Einzige, was uns weiterbringen kann, ist eben die absolute Dekonstruktion sämtlicher Arten von Einsicht. Also: Keine Aufgaben lösen, sondern nur kapieren, dass alle Aufgaben dieser Welt unlösbar sind. Das war eben der Versuch des Zen-Buddhismus das Erleuchtungserlebnis zu beschreiben, um dann komplett leer zu werden. Und wenn er das schafft, dann ist die Erleuchtung da. Und Erleuchtung kann eben ganz plötzlich kommen. Das war ja der Unterschied zu anderen buddhistischen Schulen, die eher an das lebenslange Erarbeiten von Erleuchtung geglaubt haben."