Younn Locard und Florent Grouazel: "Éloi"
Aus dem Französischen von Annika Wisniewski
Avant Verlag, Berlin 2015
224 Seiten, 29,95 Euro
Spannungen auf hoher See
Die Graphic-Novel "Éloi" erzählt von der Verschleppung eines jungen Eingeborenen aus Neukaledonien nach Paris. Dort soll der Mann als eine Art Forschungsgegenstand vorgestellt werden. Schon bei der Überfahrt gibt es Konflikte.
Nachtblau und schwarz, eine dunkle Höhle, in der sich nur schwach Umrisse abzeichnen. Erst nach und nach tauchen Menschen in dieser Höhle auf, fast nackte Ureinwohner und Europäer, die zurückschrecken, als sie in der Höhle auf eine Ansammlung von Schädeln stoßen. Mit dieser wortlosen Szene beginnen Younn Locard und Florent Grouazel ihre Graphic Novel "Éloi" und setzen damit Motive, die das ganze Buch bestimmen: ein abgeschlossener Raum, die Begegnung mit dem Fremden, die Angst vor dem Unverstehbaren.
Das Buch führt nach Neukaledonien, eine Inselgruppe vor der australischen Ostküste. Im Jahr 1837 bricht die französische Fregatte "Renommée" von dort zu ihrer Rückreise nach Frankreich auf. Sie hat einen besonderen Passagier an Bord: Éloi, einen jungen Ureinwohner. Der mitreisende Naturforscher Delaunay hat darauf gedrängt, Éloi mit nach Paris zu nehmen, um ihn dort als herausragendes Ergebnis seiner Forschungen vorzustellen.
Delaunay ist ein zwiespältiger Charakter, er interessiert er sich sehr viel mehr als alle anderen für die Lebensweise und die Kultur der Ureinwohner, aber als Wissenschaftler hat er ein rein instrumentelles Interesse an ihnen. Als Anhänger der noch jungen Phrenologie will er beweisen, dass die "Wilden" unfähig sind zu Moral und Zivilisation, das sei an der Beschaffenheit ihrer Gehirne und an ihrer Schädelform ablesbar. Aus Delaunays Verhältnis zu seinem "Objekt" entsteht die schlimmste Gewalttat in dieser an Gewalt nicht gerade armen Geschichte.
Kammerspiel auf dem Schiff
Éloi wird an Bord unter die Matrosen eingereiht, die sich vor ihm, dem "Menschenfresser", fürchten. Ein brutaler Offizier versucht Éloi in die Disziplin an Bord zu zwängen, aber der akzeptiert diese Art von Autorität nicht. Ein Mann, der wie dieser Offizier nur schreien kann, der könnte bei ihm zuhause nie ein Anführer sein, erklärt Éloi einem anderen Matrosen. Die knapp skizzierte Freundschaft zwischen den beiden ist einer der Lichtblicke in dieser Geschichte, ein weiterer ist die Zuwendung des Schiffspaters Étienne, der im Gegensatz zum Wissenschaftler Delaunay an die Menschlichkeit von Éloi glaubt. Aber auch der Pater kann nicht verhindern, dass Éloi gegen das Regime an Bord rebelliert, dass er kein Opfer bleiben will, was auch immer danach mit ihm passiert.
"Éloi" ist das erste Buch der jungen französischen Autoren Younn Locard und Florent Grouazel. Beide haben gemeinsam die Geschichte entwickelt, Florent Grouazel hat die schwarz-weißen Bilder gezeichnet, blau kommt als einzige Farbe hinzu. Die Autoren konzentrieren das Geschehen ganz auf das Kammerspiel auf dem Schiff, beim langen Heimweg aus dem südlichen Pazifik nach Frankreich sind alle darauf gefangen. Gegen das dramatische Geschehen an Bord schneiden sie ruhigere Momente, beeindruckende Bildserien, die die Weite von Meer und Himmel zeigen und die Verlorenheit in dieser Kulisse. Dieses Schiff bringt die bis heute nicht ausgestandenen Konflikte der Europäer mit ihren "Entdeckungen" nach Hause.