Youtuber "Drachenlord" verurteilt
Youtuber "Drachenlord" musste sich wegen Körperverletzung vor Gericht verantworten. Zuvor war er jahrelang angefeindet und provoziert worden, im Internet - und vor der eigenen Haustür. © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Aber was ist mit seinen Hatern?
06:13 Minuten
Der Youtuber "Drachenlord" muss wegen Körperverletzung ins Gefängnis. "Hater", die ihn seit Jahren bedrohen und provozieren, brauchen wohl keine Strafe zu fürchten, so Juristin Josephine Ballon. Straftaten im Netz würden kaum verfolgt.
Seit Jahren ist Rainer Winkler im Internet der "Drachenlord". In breitestem Fränkisch kommentiert er den Alltag und politische Ereignisse. Er redet über Kosmetik und Computerspiele, gern auch mal frauenfeindlich oder sogar antisemitisch. Neben Fans hat der "Drachenlord" inzwischen weit mehr sogenannte "Hater": Winkler wird von Hass und Anfeindungen geradezu überschwemmt, und zwar längst auch diesseits der digitalen Welt.
Einschüchterung in der analogen Welt
Menschen pilgern in sein Dorf, versammeln sich vor seiner Wohnung, bewerfen sein Haus mit Eiern oder bestellen Gegenstände in seinem Namen. Eine junge Frau gaukelte ihm sogar Interesse an einer Beziehung vor, nur um ihn anschließend im Internet zu demütigen und öffentlich bloßzustellen. Nun wurde Rainer Winkler wegen Körperverletzung zu zwei Jahren Haft verurteilt. Aus seiner Sicht waren die Tätlichkeiten möglicherweise hilflose Versuche, sich gegen die übergroße tägliche Anfeindung und Bedrohung zur Wehr zu setzen.
Der Fall Winkler führe vor Augen, dass Anfeindungen im Internet "längst kein Einzelphänomen" mehr seien, "sondern eine Strategie, die auch mit gezielten Aktionen eingesetzt wird", sagt die Rechtsanwältin Josephine Ballon von der Organisation HateAid, einer Beratungsstelle für Betroffene von Hass im Netz. "Vor allem haben wir auch gesehen, wie der digitale Hass ganz schnell in analoge Gewalt umschlagen kann." Es sei "leider ein sehr beliebtes Mittel", dass Menschen bei solchen Angriffen persönliche Informationen wie die Anschrift einer Person missbrauchen, "um den Einschüchterungseffekt in die analoge Welt zu tragen", so Ballon.
Der Internet-Experte Sascha Lobo schrieb in seiner Kolumne auf "Spiegel online", Justiz, Medien und Gesellschaft hätten im Fall Winkler eklatant versagt. Niemand habe versucht, zu verhindern, dass der "Drachenlord" zur Zielscheibe einer "kollektiven Hassfolklore" wurde, und am Ende sei Winkler verurteilt worden, während diejenigen, die ihn jahrelang drangsaliert, belästigt und bedroht haben, wohl keine Strafe zu befürchten hätten.
Keine Verfolgung von Straftaten im Netz
"Wir sehen leider seit Jahren ein massives Verfolgungsdefizit, wenn es um Straftaten im Internet geht", bestätigt Josephine Ballon. Die Körperverletzungsdelikte, die Winkler nun vorgeworfen würden, seien sicherlich durch eine Situation motiviert gewesen, die mit dem digitalen Hass und der darauf folgenden analogen Gewalt, die ihm entgegenschlug, zu tun hatte. Doch die Personen, "die ihn im Netz diffamiert, beleidigt oder gar bedroht haben", würden dafür höchstwahrscheinlich nicht belangt, "weil man in den meisten Fällen ihre Identität nicht ausmachen kann".
Durch dieses Ungleichgewicht könne durchaus der Eindruck entstehen, dass im "Drachenlord"-Prozess "der Falsche verurteilt wurde", sagt Ballon. Es sei höchste Zeit, dass das Recht im Internet die gleiche Anwendung finde wie im analogen Leben.
Jede und jeder Zweite verstummt aus Angst vor Attacken
Rainer Winkler wurde unterdessen auch vorgeworfen, er habe sich als "Drachenlord" bewusst kontrovers inszeniert und Anfeindungen damit geradezu herausgefordert. Doch einen Anspruch auf Schutz der Persönlichkeitsrechte habe auch, wer sich im Netz provokativ darstelle, betont Josephine Ballon. In der Beratungsstelle zeige sich zudem immer wieder, dass digitale Gewalt gerade darauf abziele, "Menschen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen und dafür zu sorgen, dass sie sich nicht mehr äußern".
Und das mit erschreckendem Erfolg, sagt Ballon: "Wir wissen, das schon über die Hälfte der Internetnutzenden in Deutschland sich nicht mehr trauen, im Netz ihre politische Meinung zu sagen, wodurch diejenigen, die digitale Gewalt verbreiten, den Eindruck erwecken, dass hier sie die Mehrheitsmeinung widerspiegeln, und so den öffentlichen Diskurs verschieben. Und das ist genau das, was wir nicht wollen."