Yuval Noah Harari: "Homo Deus"

Warum der Mensch sein eigener Gott ist

Buchcover "Homo Deus" von Yuval Noah Harari. Im Hintergrund das Eizelllabor in einem Universitätsklinikum.
Buchcover "Homo Deus" von Yuval Noah Harari. Im Hintergrund das Eizelllabor in einem Universitätsklinikum. © C.H. Beck Verlag / dpa / Sebastian Kahnert
Von Susanne Billig |
Er ist gottgleich geworden: In "Homo Deus" beschreibt Yuval Noah Harari, wie der Mensch mithilfe von Wissenschaft und Technik seine Geschicke selbst lenkt. Folgerichtig sei der Humanismus zur neuen Religion erhoben worden, schreibt der israelische Univeralhistoriker.
"O Herr, mögest du Regen bringen, unserem Geschlecht Nachwuchs schenken und uns schützen bis ins hohe Alter." Das sind die Gebete von gestern, erklärt der Universalhistoriker Yuval Noah Harari in seinem neuen Buch "Homo Deus". Heute lebt er mitten unter uns, der Gott, der sich um die Bewässerung von Feldern kümmert, die menschliche Fortpflanzung im Griff hat und den Erdbewohnern zumindest in den Industrieländern ein Lebensalter beschert, von denen ihre Vorfahren nur träumen konnten.
Homo sapiens selbst ist gottgleich geworden, meint der Autor: Mithilfe von Wissenschaft und Technik hat er den sicheren Hafen religiösen Sinns gegen die Macht eingetauscht, seine Geschicke selbst zu lenken. Kriege und Krankheiten sind auf dem Rückzug, weltweit steigt die Lebensqualität. Selbst die Sache mit dem Sinn hat der Mensch in eigene Hände genommen und den Humanismus zur neuen Religion erhoben: Wo früher Gottes Gesetz für ein moralisches Reglement sorgte, tauscht der moderne Mensch sich so lange über seine Gefühle und Erfahrungen aus, bis er einen Weg gefunden hat, der zu ihm passt.

Das Leben der Zukunft als Datenstrom

Was nun fangen wir mit unserer göttlichen Macht an? Harari extrapoliert die sich abzeichnende Entwicklung in die Zukunft: Wir werden das Leben zunehmend als Datenstrom interpretieren. Mensch-Maschine-Hybriden und intelligente Computer werden demonstrieren, dass Intelligenz nicht an ein individuelles Bewusstsein gekoppelt sein muss – und wenn künstliche Intelligenz dem Menschen überlegen ist, können der alte Adam und die alte Eva nur hoffen, dass diese Intelligenz sie ein wenig freundlicher behandelt, als es der Mensch mit den Tieren tat. Sehr wahrscheinlich, sagt Harari, sei das nicht.
In seiner düster-optimistischen Wucht ähnelt "Homo Deus" dem Bestseller-Vorgänger "Eine kurze Geschichte der Menschheit". Wie in einem Actionfilm springt der Autor zwischen großen Vogelperspektive und beklemmenden Nahansichten hin und her. Ob Kunst, Medizin, Makroökonomie, Kriegstechnik oder Paarpsychologie – Harari kennt sich mit allem aus, hat alles durchdacht und weiß auf alles eine Antwort. Es ist dieser Gestus, der skeptisch macht. Zugegeben, sein Buch ist stilistisch fulminant geschrieben, doch ihm fehlt alles Suchende und Zögernde.

Umfassender Zugriff auf die Menschheitsgeschichte

Sein universalhistorischer Zugriff auf die Menschheitsgeschichte lässt so vieles unbeachtet – wer mit welchen Interessen politische Abläufe zu steuern versucht, wie viel Aufruhr und Protest sich im Laufe der Jahrhunderte gegen die Herrschaft der Stärkeren zur Wehr gesetzt hat und all die zahllosen Details, die Politologen, Soziologen und Historiker beschäftigen, wenn sie ihren Untersuchungsgegenstand aus großer Nähe betrachten. Mut zum illusionslosen Blick, die Fähigkeit, weit entfernte Themengebiete zu erstaunlichen Netzen zu verknüpfen und neu auszuwerfen, luzide Prognosen, von denen er hofft, dass sie dank seiner Erzählung nicht eintreffen werden – und doch auch viel heiße Luft: Das ist Yuval Noah Harari.

Yuval Noah Harari, Homo Deus. Eine kurze Geschichte von Morgen
Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Wirthensohn
C.H. Beck Verlag, München 2017
576 Seiten, 24,95 Euro

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