Yuval Rozman bringt Nahostkonflikt auf der Bühne

"Ich spiele mit dem Feuer und erzeuge Unbehagen"

09:52 Minuten
Hinter einer dreiköpfigen Band, die auf einer Bühne performt, hängt ein großer, aus Neonröhren zusammengesetzter Davidstern.
Zahlreiche Politiker instrumentalisierten den Mord an der Pariser Auschwitz-Überlebenden Mireille Knoll 2018 für ihre eigenen Zwecke. Das inspirierte Yuval Rozman zu seinem Theaterstück "The Jewish Hour". © Jeremie Bernaert
Von Bettina Kaps |
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Der Theatermacher Yuval Rozman hat Israel vor zehn Jahren verlassen. Er war mit der Politik von Benjamin Netanjahu nicht einverstanden. Seitdem lebt er in Frankreich. In seinen neuen Stücken "The Jewish Hour" geht es um den Nahostkonflikt.
Die Bühne als Radiostudio. Es befindet sich in der israelischen Küstenstadt Netanja, wo jeder dritte Einwohner Französisch spricht, so auch Stéphanie und Kevin. Die Geschwister strahlen ihre erste Live-Sendung aus, "The Jewish Hour", für Französinnen und Franzosen, die ebenfalls die Alija gemacht haben, also nach Israel eingewandert sind, oder aber davon träumen. "Willkommen in der herrlichen Welt des Judentums" ist das Motto ihrer Sendung. Die Zuschauer singen und klatschen mit.  
Yuval Rozman hat es umgekehrt gemacht. Der 38-jährige Autor und Theatermacher aus Israel lebt seit zehn Jahren in Frankreich. Hier treibt ihn die Frage um, was es bedeutet, Jude und Israeli zu sein, so auch im April 2018. Damals wurde die 85-jährige Mireille Knoll – sie hatte Auschwitz überlebt – in ihrer Pariser Wohnung ermordet.
"Ich bin zufällig in den Protestmarsch geraten, zwischen Platz der Nation und Republik", erzählt Rozman. "Es sollte ein Schweigemarsch sein, aber viele Politiker nutzten diese Demonstration, um ihre Positionen zu vertreten. Überall sah ich Plakate: für Israel und gegen Israel, für Zionismus und dagegen. Dabei ging es doch um einen antisemitischen Mord in Paris."

50.000 französische Juden ausgewandert

Dieses Erlebnis und die Tatsache, dass in den vergangenen Jahren etwa 50.000 französische Juden nach Israel ausgewandert sind, haben Rozman zu seinem jüngsten Stück inspiriert. Es beginnt scheinbar harmlos wie eine Komödie. Die charmant lächelnde Moderatorin witzelt und manch zweifelhafte Pointe geht in ihrem Wortschwall unter: "Ich freue mich sehr, Sie zur ersten Sendung zu begrüßen. The Jewish Hour -  nicht Shower, wie Dusche, sondern Hour mit H ..."
Zwei Bühnendarsteller reichend sich lachend die Hände. Die Kulisse suggeriert, dass sie sich in einem Aufnahmestudio befinden.
Im Theaterstück "The Jewish Hour" machen zwei Geschwister eine Radiosendung für Franzosen, die nach Israel eingewandert sind.© Jeremie Bernaert
In den anschließenden Kurz-Nachrichten zählt die junge Frau jüdische und israelische Erfolge auf. So auch, dass ein Jude aus Chicago den jüngsten Nobelpreis für Wirtschaft erhalten habe.
Von den zwölf Preisträgern des Jahres seien sogar vier jüdisch, frohlockt die Moderatorin. "Das heißt also: 33 Prozent der Nobelpreisträger, bei einer Weltbevölkerung von nur 0,2 Prozent Juden."

Mit Tabus jonglieren

Im gleichen Plauderton wirft sie Schlaglichter auf den Alltag in den Palästinensergebieten: Israel investiere fast 300 Millionen Dollar für neue Straßen im Westjordanland, damit Israelis die arabischen Städte umgehen könnten. Eine erneute Rakete aus Gaza habe kein Unheil angerichtet, aber die Armee habe mit einem Panzerangriff geantwortet. Der vergnügte Ton passt wenig zum Ernst der Themen. Zwischendurch ruft Stéphanie ihre Zuhörer beharrlich zu Spenden auf.
Der Autor Yuval Rozman jongliert gezielt mit Tabus und antisemitischen Stereotypen. "Ich spiele mit dem Feuer und erzeuge Unbehagen. Für mich ist das geradezu die Aufgabe von Theater und Kunst. Das Publikum muss sich den Zugang zu diesem Stück erarbeiten. Wir spielen nicht für, sondern mit den Zuschauern. Wenn auf der Bühne wirklich ein Feuer brennt und die Zuschauer schlimme oder sogar amoralische Dinge erleben – vielleicht wirkt sich das ja heilsam auf den Alltag aus." 
Rozman beruft sich oft auf seine Großmutter. Wie seine übrigen Großeltern hat auch sie Auschwitz überlebt. Ihr Sinn für Humor habe ihr dabei geholfen, aber den Glauben habe sie dort verloren.
Seine Eltern hingegen seien religiös gewesen und politisch links, sagt er. "Meine Großmutter hat in einem Geschäft für Badeanzüge gearbeitet. Dort hat sie die Witze ihrer Kunden gesammelt und am Schabbat-Abend, wenn mein Vater den Kiddusch sprechen wollte, hat sie immer mit ihren Scherzen dazwischengefunkt. Für mich ist Humor ein Verteidigungsmechanismus, der es ermöglicht, sehr komplexe Dinge anzusprechen."  

 Übertreibung, Nonsens, Wiederholungen

Auch die Armee hat Yuval Rozman geprägt, vor allem sein Dienst in den besetzten Palästinensergebieten. Nach 20 Monaten, er war damals in Gaza stationiert, ist er desertiert. Als Theatermacher in Israel hat er oft mit palästinensischen Schauspielern gearbeitet, außerdem hielt er nicht mit seiner Kritik an der damaligen Netanjahu-Regierung hinter dem Berg. Er hatte erste künstlerische Erfolge, aber das politische Klima lastete auf ihm. Deshalb ließ er sich 2013 in Frankreich nieder, obwohl er damals noch kein Französisch sprach. Heute schreibt er in der Fremdsprache.
Yuval Rozman bedient alle Facetten einer Komödie: Übertreibung, Nonsens, Wiederholungen, Verfolgungsjagden. Stéphanie wird sogar eine Sahnetorte ins Gesicht geklatscht. Ausgerechnet von ihrem Stargast, Bernard-Henri Lévy. Der Philosoph ist international bekannt und vor allem in Frankreich umstritten. Er wird hier als Autor des Buches "L'Esprit du judaïsme", Der Geist des Judentums, vorgestellt, in dem er schreibt: "Die Juden sind auf die Welt gekommen, nicht so sehr, um zu glauben, sondern um zu studieren und zu verstehen." Wie alle Beteiligten wird auch Lévy verulkt, er äußert aber auch Ernstes und Nachdenkliches.
Stéphanie befragt ihn zu Antisemitismus und zu Muslimen in Frankreich. Der Bühnen-Lévy wiegelt ab und bezeichnet Israel als Besatzungsmacht. Die israelischen Regierungspolitiker würden die jüdischen Werte pervertieren und den Antisemitismus ausnutzen, um die Opferrolle einzunehmen und das Volk hinter sich zu bringen. Der Ton wird schärfer, der Philosoph schreit nur noch, die Stimmung kippt.
Stéphanies Bruder Kevin hat bisher nur freundlich gelächelt und das Schaltpult für die Sendung bedient. Nun stürmt er auf die Bühne und streckt Lévy mit drei Schüssen nieder. Einen Moment lang herrscht verstörte Stille. Dann steht der Philosoph mit Blut beflecktem Hemd wieder auf und setzt das Gespräch mit der Moderatorin fort. Allerdings sprechen beide nun zögernd und gedrückt.

Mordanschlag auf Jitzchak Rabin

In Frankreich denkt man bei Attentaten unwillkürlich an Islamisten. Aber hier trägt der Mörder eine Kippa. "Ich habe exakt den Ablauf des Mordanschlags auf Jitzchak Rabin übernommen", sagt Yuval Rozman. "Kevins Figur basiert auf der Person von Jigal Amir. Dieser religiöse Extremist war ansonsten ein freundlicher und unauffälliger Mensch. Ich wollte an das Erdbeben erinnern, das Israel damals erschüttert hat, als ich ein Kind war."
Der israelische Premierminister ist 1995 in Tel Aviv ermordet worden, nachdem er auf einer großen Friedenskundgebung gesprochen hatte. Yuval Rozman war damals mit seinem Vater vor Ort.
"The Jewish Hour" ist das zweite von vier Stücken, in denen Rozman seinen inneren Zwiespalt gegenüber Israel, dem israelisch-palästinensischen Konflikt, aber auch mit Frankreich verarbeitet. Er konfrontiert die Zuschauer mit komplexen Fragen, bezieht aber keine Position.
Sehr wichtig ist ihm auch das Gespräch über seine Arbeit. Dazu geht er in Gefängnisse, in Krankenhäuser und vor allem in Schulen. "Damit die jungen Leute 'The Jewish Hour' sehen und mich persönlich kennenlernen können, einen Israeli. Ich war schon in vielen Banlieues, auch in Problem-Vierteln und in Klassen, wo fast alle Schüler muslimisch sind. Ich war beeindruckt, wie offen und neugierig sie sind. In meinem Stück geht es um Vorurteile, Verwechslungen und Vereinfachungen – darüber muss man reden."

Fortsetzung folgt

Yuval Rozman hat schon das nächste Stück geschrieben. Es geht um seinen Traum von Frankreich und wie dieser Sprünge bekommt. Weil sich sein Gastland nicht mehr wie früher als Vermittler im Nahost-Konflikt engagiere und weil die rechtsradikalen Strömungen hier so stark würden, dass es ihn ängstige. "Ahovi", das ist hebräisch für "Mein Geliebter", soll nächstes Jahr auf die Bühne kommen.
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