Zadie Smith: "Freiheiten. Essays"
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019
510 Seiten, 26 Euro
Für einen robusteren Umgang mit Empfindlichkeiten
05:18 Minuten
In ihrem neuen Essayband wird Zadie Smith persönlich – und politisch. In ruhigen, oft autobiografisch aufgehängten Betrachtungen beschreibt sie unter anderem das London ihrer Jugend, in dem Diversität glückte.
Es ist ein beiläufiger Tonfall, den Zadie Smith in ihren Essays anschlägt. Nie überkandidelt oder schrill, eher so, als würde sie am Cafétisch sitzen und ihre Gedanken schweifen lassen, um dann aber sehr stringent ihre Überzeugungen darzulegen.
Oft geht sie von einem konkreten Ereignis aus, einer autobiografischen Begebenheit, wie dem Besuch der Stadtbücherei von Willesden Green im rauen Nord-London, wo sie als Schülerin über Büchern brütete. An diesem Ort verdichtet sich für sie ihre eigene soziale Aufstiegsgeschichte. Ausgerechnet die Bücherei samt Buchladen, ein Hort des Gemeinwohls, wird zum Opfer von Immobilienspekulation.
Angenehme Grundruhe
Selbst bei starken Emotionen, die vor allem in den Texten über die politische Lage, den Brexit und den Klimawandel zu spüren sind, bewahrt die Schriftstellerin eine gewisse Grundruhe. Das macht die Lektüre so angenehm, zumal sie ihre Leser häufig direkt anspricht und miteinbezieht in ihre Erkundungsgänge, die ebenso gut Kunstwerke, Bücher, italienische Parks oder ihre eigene Geschichte betreffen können und auch Momentaufnahmen unserer Gegenwart bieten.
Entstanden zwischen 2009 und 2017, umfasst der neue Band mehr als 500 Seiten und ist in fünf Untergruppen gegliedert. Buchbesprechungen, Kinokritiken und Aufsätze über Fotografien oder Gemälde wechseln sich ab mit Texten über poetologische Fragen oder kleinen Reiseskizzen.
Wie kommt man von Joni Mitchell auf Kierkegaard?
Immer wieder stößt man auf Überraschendes. So dechiffriert Smith ihre plötzliche Begeisterung für Joni Mitchell mit Kierkegaard, erklärt, warum Hanif Kureishi für ihre literarische Initiation so wichtig war und vergleicht ihn mit Bellow, Philip Roth und Joyce, die ebenfalls als Außenseiter schrieben.
In einer Studie verschiedener Tanzstile – von Fred Astaire über Prince bis zu Nurejew – parallelisiert sie die Bewegungen des Körpers mit dem Schreibprozess. Die Autorin liefert Erkenntnisse über den Gebrauch der ersten Person Singular in einem Roman und erläutert, wie verführerisch das Maskenspiel mit einem vermeintlichen "Ich" ist. In einem ihrer schönsten Texte beschreibt sie das Gemälde "Alte Frau" von Balthasar Denner.
Am besten, wenn sie ihre Prägungen umkreist
Zadie Smith, Jahrgang 1975, eine der erfolgreichsten englischsprachigen Schriftstellerinnen, mittlerweile in New York zu Hause und im Nebenberuf Universitätsdozentin, nimmt emphatisch für ein demokratisches Bildungsideal Partei. Sie zeigt, wie ihr Vater, ein Arbeiter, der wegen seiner Kinder auf eigene künstlerische Pläne verzichtete, durch John Bergers beliebten TV-Kunstsendungen "Ways of seeing" das Sehen lernte. Während ihr eigener, akademisch geschulter und streberhafter Blick Smith den direkten Zugang verstellt, vermittelt ihr der weniger eingeschüchterte Vater, dass es um "Skepsis und Genuss" gehe.
Überhaupt sind dies ihre besten Momente: Wenn sie ihre Herkunft umkreist und auf die Prägungen durch ihr Elternhaus und die damals glückende Diversität Londons beschreibt. Zadie Smiths Essays sind eben auch ein Plädoyer für einen robusteren Umgang mit Empfindlichkeiten.