Zadie Smith: Swing Time
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017
628 Seiten, 24 Euro
Doppelte Geschichte über das Erwachsenwerden
Zadie Smiths "Swing Time" erzählt die Geschichte zweier britisch-jamaikanischer Mädchen, die über den Tanz der Benachteiligung durch Herkunft und Hautfarbe entkommen wollen. Hoch ambitioniert und streckenweise brillant - doch mit einem Hang zum Ausufern.
"Swing Time" ist Zadie Smiths fünfter Roman, ihr erster in Ich-Form. Er hat, wie zuvor schon, ihr eigenes Herkunftsmilieu zum Schauplatz und variiert die klassischen Themen der Schriftstellerin: Familie, Ethnie, Klasse, Hautfarbe, Identität, kulturelle Assimilation. Hybridität ist denn auch das Problem, das die beiden Protagonistinnen des neuen Romans umtreibt – die namenlose Ich-Erzählerin und deren Kindheitsfreundin Tracey. Beide haben wie auch die Autorin Zadie Smith selbst je einen weißen und einen farbigen Elternteil, zugewandert aus Jamaika. Und beide suchen der Benachteiligung durch Hautfarbe und Herkunft zu entkommen – auf unterschiedlichen Wegen.
Subtile Rangunterschiede in der ethnisch gemischten Mittelschicht
Anfangs scheint "Swing Time" vor allem darauf fokussiert, die Geschichte dieser innigen, aber krisengeschüttelten Mädchen-Freundschaft zu erzählen, die auf dem identischen braunen Hautton gründet, der die beiden Siebenjährigen im Ballett-Unterricht unter all den weißen Mädchen magnetisch zueinander zieht.
Doch mehr als die Ähnlichkeiten ihrer Kinderwelt interessieren Zadie Smith die subtilen Rang- und Klassenunterschiede innerhalb der ethnisch gemischten unteren Mittelschicht und die unterschiedlichen Wertvorstellungen der Mütter, die sich trennend zwischen die Mädchen schieben. Tracey besitzt ein natürliches Tanztalent, dazu Feuer, Energie und Sex Appeal. Sie macht eine professionelle Tanzkarriere, die allerdings nicht weiter als bis in die Chorus Line in Westend-Musicals führt. Die Ich-Erzählerin hingegen geht widerwillig aufs College, geschubst vom Bildungsehrgeiz ihrer jamaikanischen Mutter.
Zadie Smith entfaltet ihre ganze erzählerische Kunst in dieser doppelten Adoleszenzgeschichte. Man merkt: Die Autorin kennt das Milieu dieser farbigen Nordlondoner "Second Generation"-Fauna aus eigener Erfahrung sehr genau, und sie kann unterhaltsam beschreiben, wie Mädchenträume von den jeweils herrschenden Konsum- und Modediktaten geprägt werden, vom Spielzeug über Klamotten bis zur Frisur.
Wohlmeinend, aber fehlgeleitet: westliches Engagement in Afrika
Doch dann schwenkt der Roman auf eine dritte Protagonistin ein. Auftritt Aimee, ein Madonna-ähnlicher Pop-Megastar. Die Freundschaftsgeschichte mit Tracey tritt in den Hintergrund, die Ich-Erzählerin (die in ihrer schattenhaften Existenz auf leuchtende Leitsterne angewiesen und folgerichtig namenlos bleibt) driftet in eine neue aufreibende Beziehung: Sie wird Aimees persönliche Assistentin und damit Teil von deren hektischem Hofstaat und rasantem globalisierten Lebensstil zwischen London, New York und Westafrika.
Der Romantitel "Swing Time" bezieht sich auch auf Zadie Smiths Erzähltechnik, zwischen diesen beiden Zeitschienen hin und her zu schwingen, in synkopiertem Rhythmus. In den Afrika-Kapiteln entfaltet sie ein lebhaftes und eindrückliches Bild von einem traditionellen afrikanischen Dorf im Umbruch, heimgesucht von vielerlei, oft fehlgeleiteten westlichen Interventionen, von NGO-Profis bis zu wohlmeinenden Amateuren wie Aimee.
"Swing Time" ist ein hoch ambitionierter, streckenweise brillanter Roman mit einem Hang zum episodischen Überströmen und Ausufern in Nebenthemen. Zwischendurch verliert er sein Hauptgeschäft aus den Augen und droht zu verläppern. Am Ende fühlt sich Zadie Smith genötigt, ihre Erzählstränge recht gewaltsam zusammenzuführen und überdies ihrer ganz und gar pessimistischen Geschichte einen irgendwie positiven Ausblick anzukleben – ein Kleinmut, der bei dieser mutigen Autorin verwundert und enttäuscht.