Einwanderung gehört "einfach zu unserer Geschichte"
Zafer Senocak wünscht sich, dass Museen und andere Kulturinstitutionen das Thema Einwanderung stärker in vorhandene Programme integrieren. Er fände das noch wichtiger als die Idee eines Einwanderungsmuseums, sagte der Essayist türkischer Herkunft.
Nana Brink: Ein Fünftel der deutschen Bevölkerung hat das, was man einen Migrationshintergrund nennt. Längst in Deutschland weiß man, dass man ein Einwanderungsland ist, aber wir tun uns immer noch schwer mit dem Thema. Ganz anders als die meisten Amerikaner, die sind ja stolz darauf, eine polnische, irische, chinesische oder kubanische Großmutter zu haben. Einwanderung ist in den USA ein Thema, das die meisten, wie gesagt, stolz macht. Und eines, für das man ein Museum gebaut hat, das berühmte auf Ellis Island in New York. Und bei uns? In dieser Woche beschäftigen wir uns ja in loser Folge mit der Frage: Brauchen wir auch bei uns ein Einwanderungsmuseum? Der türkischstämmige Schriftsteller Zafer Senocak hat sich schon immer an der Einwanderungsdebatte beteiligt und das Buch "Deutschsein" geschrieben. Schönen guten Morgen!
Zafer Senocak: Guten Morgen!
Brink: Ist denn die Geschichte der Einwanderer und ihr Anteil an den wirtschaftlichen Erfolgen der Bundesrepublik überhaupt genügend erzählt bei uns?
Senocak: Ich finde, nicht. Wir sprechen zwar sehr viel über Einwanderung und die Probleme, die damit verbunden sind. Aber wenn Sie in hochkulturelle Einrichtungen gehen, Deutsches Historisches Museum und so weiter, ist eigentlich dieses Thema eher ein Randthema. Und das hat natürlich damit zu tun, dass wir in den 80er-, 90er-Jahren, als sich die Einwanderung bei uns sozusagen sichtbar gemacht hat durch Niederlassung der Menschen, die hergekommen sind, immer ein Randthema war. Wir haben ja immer gesagt, Deutschland ist kein Einwanderungsland, das hatte natürlich auch politische und kulturpolitische Folgen.
Brink: Es hat sich dann auch in die Denke der Menschen ja eingeprägt ...
Senocak: Richtig.
Brink: ... zu sagen, wir sind kein Einwanderungsland, sondern die gehen ja irgendwann wieder. Wäre jetzt die Idee eines zentralen Museums, ein Einwanderungsmuseum, wäre das jetzt wichtig und richtig?
Senocak: Das ist sicherlich auch zu begrüßen. Aber ich finde es wichtiger, wenn sozusagen dieses Thema in die bereits vorhandenen Institutionen stärker reinkommt. Das sind Kulturinstitutionen, die das aufnehmen können, das passiert ja hier und da immer stärker. Wenn Sie sich Opernprogramme sogar anschauen, dann werden Sie dort Programmveränderungen feststellen hier und da, zum Beispiel in der Frankfurter Oper, dann gibt es aber auch natürlich in den Museen, glaube ich, viele Gedanken darüber, wie man sozusagen andere kulturelle Hintergründe besser darstellt. Museen sind ja nicht mehr nur einfach nur Ausstellungen der Geschichte, sondern sie sind ja auch Orte des interaktiven Lernens und Begreifens. Insofern ist natürlich dieses Thema durchaus auch eins, was man museal bearbeiten muss. Im Übrigen bedeutet ja auch, dass man sich jetzt Gedanken darüber macht, dass das nicht nur ein Gegenwartsthema ist, sondern dass es einfach zu unserer Geschichte gehört.
Brink: Wäre dann das Museum nicht unbedingt die einzige zeitgemäße Form, wo man das darstellen kann?
Senocak: Absolut, es ist nicht die einzige zeitgemäße Form. Wichtig wäre eben auch, die gesamte gesellschaftliche Debatte in die historische Tiefe hineinzuführen. Das heißt, das Verhältnis des Deutschen zu seiner eigenen Wirklichkeit, Identität in Verbindung mit Einwanderung auch zu denken.
Brink: Können wir das vielleicht auch mal, weil das Beispiel einfach so naheliegt, im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft diskutieren? Hat sich denn die Wahrnehmung des Nationalen geändert? Also die alte Frage: Was oder wer ist deutsch, wenn man sich diese Mannschaft anguckt?
Senocak: Ich denke, schon, das sieht man am Fußball sehr deutlich, auch an der im Grunde genommen verbindenden Art und Weise, wie Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen etwas schaffen können. Und das ist ja unsere Gegenwart, das ist Deutschland. Und das hat eben auch eine Geschichte, diese Geschichte reicht zurück in die 50er-Jahre, in die 60er-Jahre, in die Aufbauzeit. Und das immer wieder zu erinnern, tut gut.
Brink: Habe ich Sie dann richtig verstanden, dass Sie vielleicht was wollen, was schon ähnlich passiert ist in der Emanzipationsdiskussion, also dass man gesagt hat, wir wollen nicht unbedingt ein Frauenmuseum – das wollen wir natürlich auch –, aber wir wollen das Anliegen der Frauen eigentlich in den Alltag, auf alle Ebenen tragen?
Senocak: Absolut richtig. Es geht auch um eine im Grunde genommen Eingewöhnung, dass etwas normal wird, dass das Absonderliche sozusagen nicht immer auf der Bühne steht, sondern eben im Leben, mitten im Leben.
Brink: Sie haben jetzt das Beispiel der Opernprogramme genannt. Geben Sie mir doch noch mal ein Beispiel, wo könnte das denn ganz praktisch funktionieren?
Senocak: Das funktioniert auch in den Schulen. Das heißt, es ist sehr wichtig, dass die Schulen auch Kultur aufnehmen, die nicht immer nur als deutsch tituliert wird, und dass auch Bereiche der deutschen Kultur – ich denke da zum Beispiel an Goethe, ein großer Schriftsteller, der aber gleichzeitig sich permanent mit anderen Kulturen, zum Beispiel auch mit der islamischen auseinandergesetzt hat –, dass diese Aspekte stärker herausgearbeitet werden.
Brink: Und umgekehrt auch? Also islamische Kultur und Literatur dann bei uns?
Senocak: Ist ja automatisch drin. Das ist ja das, was ich sage, es ist ein Teil der deutschen Literatur, ein Teil der deutschen Romantik, ein Teil von Goethe ist ja im Grunde genommen Übersetzung, Verstehen des anderen.
Brink: Der türkischstämmige Schriftsteller Zafer Senocak, schönen Dank für das Gespräch!
Senocak: Gern geschehen!
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