Zafer Senocak ist Autor und Publizist. Er wurde 1961 in Ankara geboren, seit 1970 lebt er in Deutschland. Senocak studierte Germanistik, Politik und Philosophie in München. Seit 1979 veröffentlicht er Gedichte, Essays und Prosa in deutscher Sprache. Er schreibt regelmäßig für die "tageszeitung" und andere Publikationen. Zuletzt erschien sein Buch "In deinen Worten: Mutmaßungen über den Glauben meines Vaters".
"Erdogan hat nicht die Herzen erobert"
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Die türkischen Kommunalwahlen haben Erdogans Partei in Istanbul und Ankara offenbar eine Schlappe beschert. Der AKP seien die wichtigen Themen abhanden gekommen, sagt der Publizist Zafer Senocak. Statt um Soziales und Wirtschaft gehe es nur noch um den Islam.
Die Kommunalwahlen in der Türkei bedeuten eine Niederlage für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seine Partei AKP: Demnach hat die oppositionelle CHP in den beiden Metropolen Istanbul und Ankara die Mehrheit errungen – allerdings nur mit knappem Vorsprung. Aber kündigt sich dadurch eine politische Trendwende an?
"Die Regierung hat eine dunkelgelbe Karte bekommen", sagt der Autor Zafer Senocak. Das habe nicht nur etwas mit den Großstädten zu tun, sondern auch mit der lahmenden Wirtschaft. Die AKP habe in den zurückliegenden Jahren sehr stark mit der Ankurbelung der Wirtschaft punkten können. In den armen Vororten hätten sich die Lebensverhältnisse deutlich gebessert. "Nun hat sich aber die AKP von der Sozialpolitik und von der Wirtschaftspolitik fast verabschiedet. Wenn man sich diesen Wahlkampf mal angeschaut hat – da ging es fast nur noch um den Angriff auf den Islam." Alles, was derzeit auf der Welt Muslimen widerfahre, sei von dem Raster "Wir und die anderen" bestimmt.
Die Jugend wünscht sich eine moderne Lebensweise
Über die kemalistische Oppositionspartei CHP sagt Senocak: "Auf jeden Fall steht sie für eine säkulare Türkei. Und um was geht es in den Großstädten? Ich glaube, dass die jungen Menschen, ob religiös oder weniger religiös, sich für eine moderne Lebensweise entschieden haben und in der Entwicklung des Landes voranschreiten wollen – und sich nicht um ideologische Dinge kümmern wollen, die dem Präsidenten so wichtig sind." Erdogan habe immer die Jugend gewinnen wollen. "Er wollte eine neue Türkei aufbauen, eine religiöse Türkei, eine islamischere Türkei. Er hat viele Moscheen gebaut – aber die Herzen hat er nicht erobert."
Senocak sagte weiter: Derzeit sei zu beobachten, wie die Kluft zwischen den Provinzen und den großen Städten immer größer werde. Auf dem Land verfange noch immer der Populismus und Nationalismus. Der Publizist vergleicht die Türkei mit Polen: Hier wie dort gebe es eine sehr starke konservative Ader - und in der Türkei bezeichneten sich 80 bis 90 Prozent der Menschen als gläubig. Das gebe es sonst nirgendwo in Europa.
(mkn)
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