Deutsche Zahnärzte auf Chios
Alexander und Ann Christin Schafigh behandeln einen Patienten in ihrer mobilen Zahnarztpraxis auf Chios: Die meist schlechte Ernährung während der Flucht schadet den Zähnen der Menschen. © Marius Reichert
Kariesbehandlung im Flüchtlingscamp
07:38 Minuten

Auf der griechischen Insel Chios leben rund 700 Menschen in einem Flüchtlingscamp. Die Zahnärzte Alexander und Ann Christin Schafigh haben dort eine mobile Praxis aufgebaut, um sie zu behandeln. Denn unter der Flucht leiden auch die Zähne.
Die ersten Patienten in seiner mobilen Praxis begrüßt Alexander Schafigh in voller Montur: Mundschutz, Spezialbrille, ein blauer steriler Anzug. Eigentlich ist es so wie immer, wenn der Zahnarzt aus Bornheim ins Behandlungszimmer tritt – nur, dass das Zimmer in einem weißen Container mit geriffelten Wänden steht; und die Menschen, die es aufsuchen, auf der Flucht sind. „In der Situation des Lagers zu leben, ist schon eine Katastrophe“, sagt er. „Wenn ich dann auch noch Zahnschmerzen habe, dann ist das eine Potenz oben drauf, die man nicht unbedingt haben muss.“
Drei Tage lang haben Alexander Schafigh und seine Tochter Ann Christin im Vorfeld geschleppt, aufgebaut, vorbereitet, sauber gemacht. Warum der ganze Stress? Noch vor dem Abflug aus Deutschland sagt Ann Christin Schafigh: „Es ist viel, was man da verarbeiten muss, aber die Dankbarkeit und die Offenheit der Menschen, das gibt einem so viel zurück.“
Ihr Vater erklärt, es sei immer noch ein gewisses Kribbeln da. „Ich glaube, dass das so schnell nicht weggeht. Weil: Man weiß nie, was einen erwartet. Und wir hoffen immer, dass unsere Mission gut gelingt.“
Equipment aus Spenden
Sechs Stunden später sind sie am Ziel: im Hinterland von Chios, dem Flüchtlingscamp Vial. Fast täglich kommen hier Boote mit Geflüchteten aus der Türkei an. Das Camp wurde zum Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung eröffnet. Zeitweise lebten 3000 Menschen in dem mit Stacheldraht gesicherten Camp – in Zelten. Heute sind es Container. Die medizinische und hygienische Situation hat sich verbessert.
Was bleibt, ist das Gefühl eines Hochsicherheitstraktes: Polizei überall – Soldaten, lokale Polizisten, private Sicherheitsleute patrouillieren im Gleichschritt. Griechenland überlässt hier nichts dem Zufall.
Der Container, in dem die Schafighs ihre mobile Praxis aufbauen, ist zehn Quadratmeter groß und Teil eines riesigen Containerdorfs, in dem Behörden und geduldete Hilfsorganisationen beraten, behandeln, begleiten. Ihre Hilfsorganisation haben Ann Christin Schafigh und ihr Vater selbst gegründet. Zehn Ehrenamtler unterstützen sie. Das Equipment kaufen sie von Spenden. Ein wichtiger Teil davon: ein Behandlungsstuhl, etwa 100 Kilo schwer. Der Aufbau kostet einige Mühe – trotz zusätzlicher Hände, die mit anfassen. Vor Chios haben die beiden Zahnärzte bereits im Flüchtlingslager auf Lesbos geholfen.
Auch die Zähne leiden unter der Flucht
Im Camp auf Chios leben aktuell rund 700 Menschen. Sie sind per Boot in der Türkei aufgebrochen, abgewiesen worden, haben es wieder probiert, und sind nun gestrandet im Hinterland von Chios. Es sind Geflüchtete aus Somalia, Palästina, Äthiopien. Sie alle hoffen auf ein neues Leben in Europa.
So wie Abdullah. Er floh aus dem Gazastreifen. „Es war eine sehr schwierige Reise. Wir wurden auf dem Wasser angehalten, unsere Handys wurden weggeworfen“, erzählt er. Sie seien zurückgeschickt worden. „Beim letzten Mal haben wir es geschafft, wir waren 20 Menschen, auch Kinder und Frauen auf dem Boot, und die Behörden haben uns nur durchgelassen, weil die Wellen sehr hoch waren.“ Dann seien sie ins Camp gekommen.
Der 28-Jährige ist der erste Patient in der kleinen Container-Zahnklinik, wie die Schafighs ihre Praxis auch nennen. Wenn die Menschen ins Camp kämen, hätten sie erst mal andere Sorgen als sich um ihre Zähne zu kümmern, sagt Alexander Schafigh. Aber irgendwann kämen die Schwierigkeiten: Karies, Abszesse, Entzündungen seien übliche Diagnosen. Auch bei Abdullahs Cousin Ihab macht sich die schlechte Ernährung während seiner Flucht bemerkbar: in Form von Karies.
Dankbarkeit als Motivation
Bis zu 16 Patienten behandeln die beiden Zahnärzte aus Bornheim an einem Tag. Und für beide steht fest: Sie wollen so oft sie können wiederkommen. „Wenn man von hier wieder nach Hause kommt, lernt man die kleinen Dinge besser zu schätzen“, sagt Ann Christin Schafigh. „Und man fragt sich, warum sich manche Leute über Sachen aufregen, wo man hier sehen kann, dass es anderen Leuten so viel schlechter gehen kann.“
Ihr Vater fügt hinzu: „Aufregen kann man sich über viele Sachen, und sagen, warum läuft das nicht. Aber das bringt nichts. Man muss selbst gucken, was man machen kann und das motiviert mich.“ Die Dankbarkeit der Menschen sei seine Motivation.