Zauber der Bäume

Rezensiert von Johannes Kaiser |
Den Menschen haben alte Bäume schon immer fasziniert. In allen Kulturen wurden sie hoch verehrt, besaßen bisweilen gottähnlichen Status. In Deutschland wurden Gerichtsverhandlungen unter Eichen abgehalten, unter Linden Feste gefeiert. Den Zauber der alten Riesen gibt der Bildband "Unsere ältesten Bäume" in prächtigen Fotos wieder.
Je unwirtlicher die Lebensbedingungen, desto älter werden die Grannenkiefern in den Rocky Mountains. Ihr Holz ist extrem widerstandsfähig. Auf 4700 Jahre schätzt man das älteste derzeit bekannte Exemplar, Methusalem-Baum getauft. Immerhin hat er schon zu biblischen Zeiten gelebt, war zu Jesu Geburt bereits ein uralter Mann.

Angesichts dieser Bäume wirkt das Leben der Menschen kurz bemessen, wie uns die beiden Autoren Anna Lewington und Edward Parker in ihrem prächtigen, großformatigen Farbbildband "Unsere ältesten Bäume" anschaulich vor Augen führen.

Als die Autoren mit ihren Recherchen auf allen fünf Kontinenten begannen, waren sie noch davon ausgegangen, dass es rund 24 Baumarten weltweit gibt, die über 1000 Jahre alt werden können. Inzwischen ist ihre Liste auf über 100 Arten angewachsen und noch lange nicht abgeschlossen. Das liegt nicht zuletzt auch an den Schwierigkeiten, das Alter zu bestimmen.

"Die am häufigsten angewendeten Verfahren sind das Zählen der Jahresringe und die Radiokohlenstoffdatierung, bei der aus dem ältesten Teil des Baumes entnommenes Material untersucht wird. In beiden Fällen wird der Baum jedoch mehr oder weniger stark geschädigt... Dazu kommt, dass viele Bäume mit zunehmendem Alter hohl werden, sodass beide Methoden nicht anwendbar sind. Selbst das relativ einfache Zählen der Jahresringe ist nicht so sicher, wie es vielleicht scheint, da die Ringe oft ungleichmäßig ausgebildet sind und in manchen Jahren oder unter bestimmten Bedingungen überhaupt keine gebildet werden."

Das Alter der ältesten Bäume übersteigt auf alle Fälle jedes menschliche Zeitmaß und das hat sicherlich mit dazu geführt, dass alle Völker rund um die Erde in den widerstandsfähigen, zähen Gesellen göttliche Gesandte sahen, mystische Wesen, die es zu umwerben galt, denen man opferte, um sie einem gewogen zu stimmen, die man verehrte, zumal sie bis in den Himmel ragten und mit dem Göttlichen in Kontakt zu stehen schienen.

"Eine solche Verehrung wurde in längst vergangenen Zeiten offenbar auch einer der Baumarten Europas zuteil, der Eibe. Die mysteriöse Fähigkeit dieses Baumes, das Stadium offensichtlichen Verfalls durch erneute Verjüngung zu überwinden, und die hochgiftigen, aber immergrünen Blätter trugen dazu bei, dass die Eibe den Ruf der Unsterblichkeit erlangte und Mittelpunkt eines mit dem Leben nach dem Tod verbundenen heiligen Kultes wurde. Das heute noch sichtbarste Zeichen dafür ist die große Zahl alter Eiben, die Friedhöfen in ganz Nordeuropa eine eindrucksvolle, mystische Aura verleihen."

Die Magie der alten Bäume hat Edward Parker im Großformat und in satten, warmen Farben eingefangen. 18 Baumarten von der chilenischen Araukarie über Baobab, Ginko und Mammutbaum bis zur libanesischen Zeder haben die Autoren exemplarisch ausgewählt, um die verblüffende Vielfalt und die unterschiedlichen Lebensbedingungen vorzuführen.

In klirrender Kälte und glühender Hitze, in schwammigen Sümpfen und auf steinernen Berghängen, mitten in Städten und einsam in Savannen wachsen die Jahrtausende alten Bäume. Zu den größten und imposantesten gehören die kalifornischen Mammutbäume, die Redwoods , die mit bis zu 110 Metern Höhe so manchen Kirchturm unter sich lassen. Den Indianern waren die feuerresistenten Riesen heilig.

Ganz klein, ganz mickrig, völlig unscheinbar, als eine bizarre Kuriosität präsentiert sich dagegen die Welwitschie aus der Namib-Wüste im Süden Afrikas, die über 2000 Jahre alt wird. Ihr Stamm ist fast vollständig im Sand eingegraben. Aus dem Wüstenboden ragt nur eine ein bis eineinhalb Meter hohe struppige Krone, die ein einziges Paar ledriger Blätter hervorbringt. Die werden im Verlauf der Jahrhunderte vom Wind zu einem wilden Knäuel halbtoter schmaler grün-brauner Streifen zerrissen.

Vertraut sind uns in Europa und Deutschland Eichen und Linden, Edelkastanien und Ölbäume, Eiben und Feigen. Auch sie erreichen durchaus biblisches Alter. In einer Eiche im Sherwood Forrest soll sich angeblich Robin Hood mit seinen Mannen verborgen haben. In Schenklengsfeld in Hessen steht eine mächtige, mindestens 1240 Jahre alte Tanzlinde, in der früher auf einer Holzplattform die Dorfbewohner das Lindenblütenfest feierten.

Warum Anna Lewington und Edward Parker diese Artenauswahl aus den ältesten Bäumen der Welt trafen, das verschweigen sie uns. Auch über die Autoren selbst erfährt man leider nichts. Doch das schmälert das enorme Vergnügen kaum, in dem Augen betörenden Bildband "Unsere ältesten Bäume" zu schmökern.

Rasch liest man sich fest, staunt immer wieder über die kleine und großen Geheimnisse und Besonderheiten dieser Zeugen der Menschheitsgeschichte. Wer schon einmal vor einem dieser alten Riesen gestanden hat, wird auch beim Lesen des Baumbuches ein Stück jener Ehrfurcht spüren, die den Menschen seit alters her vor den mächtigen Greisen ergriffen hat.


Anna Lewington/Edward Parker: Unsere Ältesten Bäume, Naturdenkmäler aus aller Welt
Kosmos Verlag Stuttgart 2005,
192 Seiten, EUR 19,90