Zauberlehrling oder Technikfreak

Von Michael Böhm · 19.04.2010
Wir brauchen wieder ein kritischeres Verhältnis zur Technik. Heute haben wir zu vielen Gegenständen keinen intuitiven Zugang mehr und es verschwindet immer mehr das, was Heidegger einmal "Zuhandenheit" nannte: nämlich Dinge, die im Wortsinne zur Hand gehen und sich durch praktischen Umgang dem Dasein erschließen.
Digitalkameras, DVD-Player oder Computer starten wir heute durch Knopfdruck, Mausklick oder Sensoren, durch unspezifische Handlungen, die überhaupt keinen Rückschluss mehr auf das erlauben, was sie in Gang setzen. Uns umgeben in wachsenden Maße "Black Boxes", hochkomplexe "schwarze Schachteln", von denen nur noch Spezialisten sagen können, wie sie funktionieren.

Hatten wir in früheren Jahren zumindest noch eine vage Vorstellung davon, wie ein Fotoapparat arbeitet, sahen wir, wie auf der Schreibmaschine der Buchstabe auf das Blaupapier schnellte, hörten wir, wie die Diamantnadel auf der Schallplatte im Lautsprecher zu einem Ton wurde, so verdammen uns die miniaturgleichen elektronischen Apparate von heute zu oberflächlichen Betrachtern.

Nicht allein, dass wir in sie kaum mehr selber eingreifen können, wir akzeptieren sogar, nicht mehr zu wissen, was in ihnen vorgeht. So gebrauchen wir sie nicht mehr souverän und begeben uns als Nutzer in freiwillige Knechtschaft: Um sie zu gebrauchen, unterwerfen wir uns dem, was wir nicht begreifen und wie in Politik und Wirtschaft sind wir mit Dingen einverstanden, statt sie zu verstehen.

Aber so vergessen wir auch, das was uns früher das Leben erleichtert hat – ja es läuft darauf hinaus, dass wir unsere Überlebenstechniken verlieren. Denn wer kann sein Auto noch reparieren, wenn er kein Fachmann ist, wer vermag noch Lebensmittel zu kühlen, wenn er keinen Kühlschrank hat, wer weiß noch, wie man Obst in Gläsern einkocht, um es im Winter zu essen? Ganz zu schweigen von grundlegenden Dingen aus der vormodernen, agrikulturellen Zeit: Davon, wie man ertragreich einen Gemüsegarten bestellt oder Haustiere züchtet, wie man sie schlachtet, ausnimmt und zubereitet für den Verzehr?

Trete all das ein, was uns die Wissenschaft prophezeit: die Klima Veränderung, die nicht nur mehr Unwetter, Stürme und Fluten brächten, sondern auch Erträge von Nutzpflanzen minderten, ja ganze Nahrungskreisläufe veränderten und zerstörten – würde all das und anderes nicht wieder bedeutsam oder lebensnotwendig werden?

Aber am meisten beunruhigt, dass uns das gar nicht bewusst zu werden scheint, andernfalls hätten wir dafür ein geläufiges Bild, an das wir unsere Ängste delegieren könnten.

Zauberlehrling, Frankenstein, die Horrorvisionen des modernen Kinos, in denen menschliche Roboter herrschen: Diese Parabeln richten ihren Blick nur bang nach vorn, darauf, dass die Technik in ein Eigenleben verfallen und uns bedrohen könnte; es gibt jedoch kein Gleichnis, das uns zurückschauen lässt und zeigt, was wir vergessen und verloren haben.

Mehr noch: Die heutige Technik scheint alles daran zu setzen, genau diese Gefahr zu verdunkeln. Nach den Wellen der Fortschritts- und Technikskepsis im 20. Jahrhundert versucht vor allem der Computer unseren wachsenden Gleichmut in neuerliches Zutrauen umzumünzen: Nicht schlimm sei es, so signalisiert er uns, die Technik nicht zu verstehen, wie wir es noch in früheren Epochen taten, er lädt ein, sie überhaupt zu vergessen: "Benutzerfreundlich", das ist die Losung, mit der die Industrie heute einen Computer verkauft.

Schalten wir Bildschirm oder Display ein, empfängt uns nicht der verwirrende Abgrund des Digitalen, sondern eine schmuck gestaltete Oberfläche mit bekannten Icons – es ist genau das, was uns glauben machen soll, noch wie in früheren Zeiten zu agieren. So verspricht der Computer uns Sicherheit und Weltvertrauen, so besteht seine vielgerühmte Intelligenz gerade darin, seine komplizierten Mechanismen zu verstecken, so nimmt uns ein Design die Angst vor der Technik und verführt dazu, mit ihr umzugehen, wie es Kinder schon am Nintendo verführt.

Aber so vollzieht der Computer auch weiter seine Schritte vom Konkreten zum Abstrakten, vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, von der Aufklärung zur Religion – und so arbeitet er weiter daran, alte Techniken vergessen zu machen. Gewiss, wir können diese Entwicklung nicht verhindern, denn das "Immer-weiter-voran", was technischer Fortschritt heißt, gehorcht schon längst einem faustischen Unendlichkeitsdrang. So werden wir uns auch in Zukunft weiter von dem entfremden, was uns früher überleben ließ, doch ist es mittlerweile Zeit geworden, uns das bewusst, uns davon ein Bild zu machen.

Michael Böhm, Publizist, geboren 1969 in Dresden, studierte Politikwissenschaft in Berlin und Lille und lebt als freier Publizist in Berlin. Er schreibt für verschiedene Zeitschriften, so unter anderem für "Du – Das europäische Kulturmagazin". Sein letztes Buch "Alain de Benoist – Denker der Nouvelle Droite" erschien 2008 in der Edition Antaios.
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