Illegale Leihmutterschaft als Thriller-Plot
11:55 Minuten
In der ZDF-Serie „Unbroken“ wird eine schwangere Kommissarin entführt und sie wacht ohne ihr Kind im Mutterleib wieder auf. Die Drehbuchautoren und Ideengeber Marc O. Seng und Andreas Linke wollten eine Krimi-Serie möglichst ohne Klischees schreiben.
Patrick Wellinski: In der neuen ZDFneo-Serie "Unbroken" geht es sehr turbulent zur Sache. Es geht um eine junge Kommissarin, Alexandra, sie ist hochschwanger und wird eines Tages betäubt, entführt und erwacht ohne ihr Kind im Wald. Mit unglaublicher Kraft und viel Energie zeigt die Serie, wie sich Alexandra zunächst zurück in den Job, dann ihre Beziehung zurückkämpft, um dann schließlich auch das große Rätsel ihres Lebens zu lösen.
Wellinski: Hinter der Serie stehen die Drehbuchautoren und Ideengeber Marc O. Seng und Andreas Linke. Ich konnte mit beiden vor der Sendung sprechen und wollte zunächst von Marc O. Seng wissen, wie sie beide auf die Idee zu "Unbroken" überhaupt gekommen sind.
Marc O. Seng: Wir hatten ein Gespräch mit unserer Produzentin, der Susanne Flor, und dass ZDFneo gerne eine Serie entwickeln würde mit einer jungen Kommissarin als Hauptfigur, die auch Mutter ist. Da haben wir uns eben einfach überlegt, was interessiert uns daran, was sind die Themen, die auch was, was man eben kennt aus dem Freundeskreis, aus der eigenen Familie, was junge Frauen bewegt, die Familie und Beruf irgendwie miteinander vereinbaren müssen, und haben dann uns überlegt, was kann für eine spannende Krimi- oder Thriller-Serie eine starke Grundidee sein. Da war der Weg relativ simpel, zu sagen, was kann wohl das Allerallerschlimmste sein, was so einer jungen Frau und werdenden Mutter passieren kann. Dadurch sind wir auf die Idee gekommen, und dann hat sich eigentlich die Geschichte fast von selbst geschrieben, aber nicht ganz.
"Wir haben, glaube ich, nicht diese Klischeevorstellung"
Wellinski: Solche Kopffiguren assoziiert man vor allem aus dem amerikanischen Serienbetrieb erst mal so mit Männerfiguren, die dann rausgeworfen werden und sich irgendwie wieder zurückfighten müssen. Hier haben wir halt eine Fighterin. Wie sehr bestimmt das denn so einen Schreibprozess? Greift man dann so auf Ideen zurück, die immer funktionieren, oder muss man, wenn man die Hauptfigur als weibliche Kommissarin setzt, anders schreiben, anders denken, anders plotten?
Andreas Linke: Es ist erst mal so, dass man sich natürlich in diese Figur hereindenken muss, und da Marc und ich ja beide Männer sind, ist es erst mal eine Herausforderung, und die nächste ist halt natürlich, sich vorzustellen, wie könnte man agieren, wenn einem so etwas Schreckliches passiert. Was sind die Fragen, die auftauchen, was sind die Hoffnungen, wie geht es mit dem Leben weiter, all diese Punkte haben wir versucht miteinander so zu verbinden, dass man eine spannende Geschichte erzählen kann, in der es Hoffnung gibt, aber in der es auch ein ganz großes Schreckensszenario gibt.
Seng: Ich glaube, das macht für so eine Geschichte keinen großen Unterschied, ob man als Mann eine Frau schreibt. Ich glaube, Frauen können hier genauso Männer schreiben – auch die tollsten Autorinnen haben schon die tollsten Männerfiguren geschrieben, ich glaube, das macht keinen Unterschied. Ich glaube, es ist gerade, wenn man so eine klassische, sag ich mal, Antiheldenfigur entwirft, da schreckt man dann oft zurück, dass man sagt, na ja, ist diese Frau dann noch sympathisch oder ist sie noch nahbar für den Zuschauer, verzeiht man einer Frau so ein Handeln als Zuschauer weniger, als wenn es ein Mann machen würde.
Da haben wir uns eben gesagt, nee, genau das wollen wir eben nicht, wir wollen quasi uns so in diese Figur reinfühlen und die auch so nah erzählen und so erlebbar machen für den Zuschauer, dass wir das alles mitgehen können, was sie erlebt. Ich glaube, da macht dann das Schreiben keinen Unterschied. Wir haben, glaube ich, nicht diese Klischeevorstellung von was dürfen Männer- und was dürfen Frauenfiguren in Filmen machen und was dürfen sie nicht. Ich glaube, solange der Mensch, den man erzählt, nahbar ist und das Schicksal einen berührt und man es emotional nachvollziehen kann, egal, in welche Extreme die Figur immer geht, da spielt es, glaube ich, keine Rolle.
"Kinder aus dem Mutterleib entführt"
Wellinski: Es gibt ja auch so einen spannenden Dualismus, von dem ich denke, dass die Serie dadurch sehr geprägt ist – zum einen natürlich die Idee der Mutterschaft, das sind ja so Assoziationen von Weiblichkeit, Weichheit, Wärme, und auf der anderen Seite der Beruf der Kommissarin oder des Kommissars, das ist ja egal, den man assoziiert mit Härte, mit Toughness, mit Kälte. Sie arbeiten schon mit diesen Ideen, das führt ja auch die Figur und letztendlich auch ihren Konflikt überhaupt erst durch diese sechs Episoden.
Seng: Ich glaube, was wir auch nicht machen wollten, so eine klassische Fernsehkommissarin erzählen, die quasi einfach professionell und anständig ihren Job tut, sondern wir wollten einfach im Endeffekt eine Frau erzählen und einen Menschen, die in diese Situation gebracht wird und die diesen Beruf, den sie hat, dazu nutzt, gegen das persönliche Schicksal zu kämpfen, dass sie da eben dann am Ende alles andere ist als das, was man aus normalen Fernsehkrimis kennt. Das war irgendwie so ein bisschen der Anreiz auch für uns, diese Geschichte zu erzählen.
Linke: Das hat natürlich sehr gut darüber funktioniert, dass sie quasi in dem ersten Fall, in dem sie ermittelt, gleich einen Ansatzpunkt findet, der sie zu ihrer eigenen Geschichte quasi bringt, und diese beiden Ebenen dann miteinander zu verweben – hat uns das, glaube ich, möglich gemacht, dass die Figur Alex halt über Grenzen gehen kann, die man aber trotzdem verzeiht.
Wellinski: Es ist ja auch so, dass es in der Serie durchaus in einem Parallelfall um illegale Leihmutterschaft geht. Wie sehr haben Sie dafür recherchiert, wie sehr ist das dann doch fiktionalisiert, wie sah der Rückgriff auf die Realität dabei aus?
Linke: Wir waren erst mal, als wir mit der Recherche angefangen haben, auch fast erschrocken, als wir festgestellt haben, dass es tatsächlich solche Fälle gibt, in denen ungeborene Kinder aus dem Mutterleib entführt werden, aus was für Gründen auch immer. Und gleichermaßen ist die andere Seite natürlich auch eine sehr düstere, nämlich dass Frauen Kinder auf die Welt bringen und sich dann nicht um sie kümmern. Das hat uns, glaube ich, sehr erschrocken, und in dem Bereich der Leihmutterschaft, da haben wir einfach den richtigen Weg gefunden, um diese beiden Ebenen miteinander verknüpfen zu können.
Seng: Es ist ja auch für ein eigentliches fortschrittliches und modernes Land wie Deutschland, finde ich – ganz persönlich finde ich es immer noch sehr verwunderlich, dass das in Deutschland einfach nicht möglich ist, Leihmutterschaft, und dass Menschen, die einfach gerade in der Gesellschaft, in der Eltern immer später Kinder bekommen, es immer schwieriger wird, dass es einfach nicht möglich ist, da einen legalen Weg zu finden, und die Menschen dadurch gezwungen sind, wenn sie das möchten, ins Ausland zu gehen. Das ist, glaube ich, so eine Grauzone, die, finde ich, also wirklich meine ganz persönliche Meinung, die es vielen Menschen, die sich in Deutschland Kinder wünschen, sehr schwer macht zum einen, diesen Kinderwunsch zu erfüllen, und zum anderen eben auch die Tür offenlässt für diverse illegale, dunkle Aktivitäten. Aber da wäre vielleicht eine fortschrittlichere legale Lösung das Beste für alle.
"Sehr stark in das persönliche Drama gehen"
Wellinski: Die Idee des Fernsehkommissars ist in Deutschland sehr stark geprägt mit der Konnotation "Tatort"-Kommissar, es ist einfach so. Ich glaube, bei Redakteuren und Produzenten ist es schon stark so gesetzt letztendlich. Das ist ja eine ganz spezifische Form von Serienfigur. Es macht schon Spaß, auch dem Mal zu entkommen, hab ich das richtig verstanden, also auch mal den Kommissar oder die Kommissarin anders anzulegen, in einer wesentlich anderen Erzählart. Also das ist auch dann der Spaß am Schreiben so eines Stoffs, hab ich das richtig verstanden?
Seng: Ja, absolut. Es ist vor allem, glaube ich, auch das Fernsehklischee, dass immer ein Kommissarenduo von Tatort zu Tatort fährt, um dann den Mörder zu fangen, das hat ja auch mit der wirklichen Polizeiwirklichkeit, mit dem wirklichen Polizeialltag nichts zu tun, sondern so wie wir das auch dann immer recherchiert haben, ist es ja so, dass wirklich im Kommissariat immer ein Team arbeitet. Das funktioniert ganz anders als im Fernsehen. Die "Tatort"-Fernsehrealität ist eine ganz andere als die Polizeirealität in Deutschland. Deswegen haben wir versucht, eher danach zu gehen, also auch, wie erzählen wir dieses Revier, wie erzählen wir sozusagen die Zusammenarbeit, immer in unterschiedlichen Konstellationen als Teams losziehen und sich auch die Aufgaben anders aufteilen.
Linke: Wir standen auch nicht unter dem Zwang, jetzt einen Fall innerhalb von 90 Minuten erzählen und lösen zu müssen, sondern wir konnten sehr stark in das persönliche Drama gehen und die Thrillerebene erzählen und durch die verschiedenen Ermittlungen, die da eigentlich stattfinden, die wir miteinander verwoben haben, so eine große Dichte erzeugen. Das hat uns, glaube ich, beiden sehr viel Spaß gemacht.
"Das war eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe"
Wellinski: Wie sieht eigentlich bei Ihnen die Arbeitsaufteilung aus? Ich meine, wenn einer sich hinsetzt und so eine Serie schreibt, kann man sich das gut vorstellen, aber zu zweit, wie stark muss man erst im Schreibprozess miteinander kommunizieren, und auf der zweiten Ebene, wann hört Ihre Arbeit eigentlich auf? Oder waren Sie, wie dieses neue Showrunner-Prinzip das so ein bisschen nahebringt, auch am Set dabei und im Schnitt dabei und begleiten quasi dieses Projekt vom Anfang bis zum Ende?
Linke: Ich sag mal, wir hatten den großen Vorteil, dass wir uns ein Büro geteilt haben in der Zeit, in der wir die Serie geschrieben haben, und der Entwicklungsprozess, da waren wir einfach persönlich immer im selben Raum. Wir haben uns erst viel Zeit dafür genommen, unsere ganzen Ideen zu sortieren, die Geschichte zu plotten, in die einzelnen Folgen aufzuteilen und zu gucken, wo führt uns welche Idee hin. Und dann haben wir eigentlich die Drehbücher aufgeteilt, abwechselnd geschrieben und sie uns dann immer hin und her geschickt, damit der andere auch noch seine Ideen einbringen kann, Sachen korrigieren kann, Sachen verbessern kann.
Während des gesamten Prozesses konnte man sich auch immer so spontane Einfälle, die man halt gerade hatte, hin und her schieben und einfach mal einwerfen und dann beim Mittagessen diskutieren. Ja, es war eine sehr lange und intensive Zusammenarbeit, dieser ganze Prozess. Und natürlich verändert sich der Prozess, wenn dann die anderen kreativen Beteiligten – Regisseur Andreas Senn, die Hauptdarstellerin Aylin Tezel – in das Projekt halt dazukommen. Da ist es jetzt nicht so gewesen, dass wir tatsächlich irgendwie jeden Tag am Set gewesen sind, aber wir hatten sowohl mit der Produzentin Susanne Flor als auch mit Andreas Senn und Aylin eine sehr enge Zusammenarbeit und haben uns über die entscheidenden Punkte immer austauschen können und unsere Meinung einbringen können.
Seng: Das war wirklich toll, weil das war eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Ich glaube, dass man aus so einem Projekt auch nur so wirklich das Beste rausholen kann, anders geht das, glaube ich, gar nicht. Jeder respektiert die Meinung und die Arbeit des anderen, und man kann sich da einfach nur gegenseitig befruchten. Wir waren auch im Schneideraum eingeladen, haben den Schnitt gesehen, immer noch kommentiert und mit Andreas Senn, dem Regisseur, auch noch da lange zusammengearbeitet. Ich glaube, je mehr kluge Köpfe da mitsprechen, und wenn das auf eine respektvolle Art passiert, glaube ich, kann das dem Endprodukt nur guttun.
Wellinski: Aber wie ist das mit diesem Konzept des Writers‘ Rooms oder der Showrunners, dieser amerikanischen Konzepte, die auch hier diskutiert werden? Spielt das für Sie eine Rolle, oder ist das dann doch, so wie ich es jetzt gehört habe, so ein recht klassischer deutscher Weg, eine Serie zu produzieren, meines Erachtens nach. Ist das okay so, kann man noch was lernen von den amerikanischen Prinzipien, wie sehen Sie das als Showrunner, Drehbuchautoren, Ideengeber?
Seng: Das, was man, glaube ich, von den Amerikanern lernen kann, ist, dass man einfach offen und professionell miteinander über alles redet und dass man die wichtigen Entscheidungen gemeinsam trifft und sich gemeinsam in der Vision einig ist. Ich glaube, dass es in Deutschland sehr lange so ein Machtkampf war zwischen den einzelnen Gewerken, zwischen Produktion und Autoren und Regisseuren und wahrscheinlich auch der Redaktion. Ich glaube, je mehr man da sich von so einem ziemlich altmodischen Prinzip von Machtkampf löst und einfach gemeinsam an der Sache arbeitet, kommt man zum besten Ergebnis. Ich glaube, das ist auch eine Generationenfrage in Deutschland.
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