Zechenstreik

Aus dem Stollen auf die Barrikaden

von Frank Kempe · 14.05.2014
Es galt als Privileg, als Kumpel im Dienste des Staates arbeiten zu dürfen. Ende des 19. Jahrhunderts trieben Forderungen nach mehr Arbeitsschutz und höhere Löhne die Bergleute im "Kohlenpott" auf die Barrikaden. Eine Audienz bei Kaiser Wilhelm dem Zweiten sollte die Ruhe wieder herstellen.
"Glückauf Kameraden durch Nacht zum Licht
uns sollen die Feinde nicht kümmern
Wir hatten so manche verzweifelte Schicht
und sahen die Sonne nicht schimmern
Nur einig, einig müssen wir sein
so fest und geschlossen wie Erz und Gestein."
Heinrich Kämpchen, Arbeiterdichter und Streikführer aus Bochum, schrieb dieses Gedicht im Frühjahr 1889. Er gehörte mit seinen Kollegen von der Zeche "Hasenwinkel" zu den ersten Bergarbeitern, die in den Ausstand getreten waren: 15 Prozent mehr Lohn forderten sie von den Zechenbesitzern, außerdem die Rückkehr zur Acht-Stunden-Schicht und besseren Arbeitsschutz. Von einem Flächenbrand spricht der Historiker Stefan Berger von der Ruhr-Universität Bochum:
„Schließlich und letztendlich nahmen fast 90 Prozent aller Bergarbeiter im Ruhrgebiet – an dem Ausstand teil. Also man kann mit ca. 90.000 Streikenden rechnen."
Organisiert hatte den bis dahin größten Arbeitskampf im so genannten "Kohlenpott" ein zentrales Streikkomitee, bestehend aus gewählten Arbeitern aller Zechen. Eine Gewerkschaft gab es noch nicht. Denn lange Zeit galten die Bergleute als privilegierter Stand im Dienste des Staates, vergleichbar fast mit Beamten. Doch seitdem Preußen das Bergrecht liberalisiert hatte, diktierten private Unternehmer die Arbeitsbedingungen und die Löhne – Professor Stefan Berger:
"In dieser Liberalisierung sahen die Bergarbeiter eben einen Rückschritt im Vergleich zu ihrem sehr geschützten Status im eigentlichen preußischen Bergrecht. Von daher war es im Prinzip eben auch der Versuch zu einer idealisierten Vergangenheit zurückzukehren."
Der Ruhrgebiets-Bergmann – meist katholisch, konservativ und obrigkeitstreu – ging auf die Barrikaden. Die Grubenbesitzer wiederum riefen den Staat zu Hilfe - und der schickte Soldaten: 14 Tote, die blutige Bilanz. Dann beschloss das Streikkomitee, den Kaiser um eine Audienz zu bitten.
Audienz bei Kaiser Wilhelm dem Zweiten
Am 14. Mai 1889 empfing Wilhelm der Zweite in Berlin drei Abgesandte der Streikenden. Für gerade einmal zehn Minuten, aber die Zeitungen berichteten wohlwollend und zitierten eifrig aus der Petition:
"Wir überbringen Eurer Majestät die Grüße von hunderttausend Bergleuten, und diese bitten um Eure Gnade: Sprechen Eure Majestät ein kaiserliches Wort, so wird die Ruhe wieder hergestellt und Millionen von Tränen werden getrocknet."
Der Kaiser warnte die Streikenden eindringlich vor Kontakten zur Sozialdemokratie. Sollten diese – so wörtlich - "vaterlandslosen Gesellen" die Bergarbeiterbewegung unterwandern, werde er alles über den Haufen schießen lassen. Gleichwohl sah der junge Monarch wieder eine Gelegenheit, sich als "Arbeiterkaiser" zu präsentieren – eine Rolle, in der er sich gefiel:
"Er war dezidiert gegen die Verlängerung der Sozialistengesetze und er warf seinem Kanzler Bismarck vor, dass er nicht genug für die Arbeiter tun würde, damit sie sozusagen eben von der Sozialdemokratie wegkämen."
Im Auftrag von Wilhelm dem Zweiten gab es auch Verhandlungen mit dem Verband der Bergwerksunternehmer. Ergebnis war das so genannte "Berliner Protokoll", das Zugeständnisse enthielt, aber unverbindlich war - und so hielten sich die Kohlenbarone im Revier einfach nicht an die Zusagen. Der Streik und das Hungern zehntausender Bergarbeiterfamilien gingen deshalb weiter. Doch nach einer Verhaftungswelle Ende Mai 1889 brach der Aufstand zusammen.
"Insgesamt muss man sagen, dass der Streik in seinen zentralen Forderungen nicht erfolgreich war. Der eigentliche Erfolg des Streikes beruht eben in der Gründung einer dauerhaften Gewerkschaftsbewegung in der Form des Alten Verbandes."
Der Alte Verband, im August 1889 von 200 Zechen-Delegierten in Dorstfeld bei Dortmund ins Leben gerufen, wurde eine der einflussreichsten Gewerkschaften Deutschlands mit zeitweise 400.000 Mitgliedern. Die Forderungen von 1889 blieben dennoch lange unerfüllt. Gewerkschafter der ersten Stunde wie Heinrich Kämpchen wurden entlassen und bekamen Anfahrverbot auf Lebenszeit: Kämpchen musste bis zu seinem Tod von einer kargen Invalidenrente leben und von den Zeitungshonoraren für seine kämpferischen Gedichte:
"Glückauf Kameraden durch Nacht zum Licht,
Seid brüderlich alle umschlungen
Gelobt es: Wir wollen nicht enden die Schicht
Bis dass den Sieg wir errungen!"