Brandstifter im Land der Nettigkeit
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Zehn Jahre nach dem Attentat von Utøya und Oslo gibt es in der norwegischen Gesellschaft noch immer blinde Flecken, also Dinge, über die nicht gesprochen werde, sagt die Künstlerin Hanan Benammar. Wohin dies führt, erlebte sie selbst nach einem Theaterstück.
Am 22. Juli jährt sich zum zehnten Mal der rechte Anschlag von Oslo und Utøya, bei dem 77 Menschen ermordet wurden. In Norwegen wird dieser Tage der Ereignisse gedacht. Trotzdem gebe es in dem skandinavischen Land viele blinde Flecken, mit denen sich die Gesellschaft nicht auseinandersetzen wolle, sagt die Theatermacherin Hanan Benammar.
Dazu gehörten die Kolonialgeschichte, die Geschichte der Sklaverei sowie Rassismus. Stattdessen herrsche das Selbstbild, "dass Norwegen irgendwie ein besserer Ort ist als andere, dass Norweger bessere Menschen sind als andere, das Norweger nett sind", sagt die Künstlerin.
Theorie vom Einzeltäter
Die Weigerung, sich mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen, betreffe auch die Anschläge von 2011, erläutert Benammar. So werde der Attentäter als verrückter Einzeltäter dargestellt und dessen rassistische und faschistische Ideologie außenvorgelassen. Doch: "Von dieser Ideologie kann man einzelne Tropfen ihres Giftes im ganzen gesellschaftlichen Spektrum finden", so die Theaterfrau.
In dem Stück "Ways of Seeing", an dem Benammar mitwirkte, wurde die Ideologie des Attentäters ebenso thematisiert wie die Verflechtungen der extremen Rechten mit der Politik. Aufgeführt wurde das Werk im November 2018 im Black-Box-Theater in Oslo, einem Ort der experimentellen Szene.
Die Reaktionen auf das Stück haben deutlich gemacht, wie groß der Einfluss der extremen Rechten in Norwegen ist und wozu sie in der Lage ist, wenn es darum geht, ihre Gegner zu attackieren. So wurde den Theatermachern vorgeworfen, für angebliche Anschläge auf rechte Politiker verantwortlich zu sein.
Verbreitet wurden solche Anschuldigungen, die zu Morddrohungen führten, von den Mainstreammedien, wie Benammar berichtet. Es sei verstörend gewesen, wie die Medien "kritiklos die Narrative der extremen Rechten akzeptierten".
Kein Vertrauen in westliche Intellektuelle
Doch stellte sich schließlich heraus, dass die vermeintlichen Angriffe von der Frau des norwegischen Justizministers fingiert worden waren. Obwohl der Skandal zum Rücktritt des Ministers führte, wurde sich nicht bei den Theaterleuten entschuldigt, kritisiert Benammar.
Aus den Ereignissen habe sie für sich gelernt, "niemals westlichen Intellektuellen zu vertrauen", so die Künstlerin. "Wenn wir denken, wir sind immer die netten Leute, dass die Linken die Lieben sind und so weiter, dann verstehen wir selbst nicht, wie Ideologie funktioniert und wie sich Ideen verbreiten. Wir müssen immer auf der Suche nach blinden Flecken bei uns selber sein und dürfen nichts als gegeben hinnehmen, auch nicht davon ausgehen, dass einmal erkämpfte Rechte immer da sein werden."
Außerdem habe sie "das großartige Potenzial" der Kunst erkannt, "die Realität zu zeigen und gleichzeitig fiktive Momente zu kreieren, um die Realität noch stärker wirken zu lassen und Menschen zum Reagieren und Interagieren, zum Nachdenken und zur Veränderung zu bewegen", so Benammar. Dadurch seien Veränderungen möglich. Das werde zwar nicht von allen Künstlern so wahrgenommen, aber sie habe erlebt, dass es möglich ist, und zwar mit sehr geringen Mitteln.
(rzr)