Zehn Jahre Aufstand in Syrien

Der gute und schlechte Einfluss von Facebook auf die Revolution

04:27 Minuten
Protestierende in Idlib halten am 15. März 2021 eine 10 in die Höhe zum 10. Jubiläum des Ausbruchs der syrischen Revolution
Der syrische Lehrer und Journalist Khalid Alaboud blickt zurück auf zehn Jahre Revolution in seinem Heimatland - und die Rolle von Facebook dabei. © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Juma Mohammed
Ein Kommentar von Khalid Alaboud · 05.05.2021
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"Facebook-Revolution" - mit diesem Begriff versuchte das syrische Regime den Aufstand im Land zu verniedlichen. Tatsächlich spielten die sozialen Medien eine große Rolle, sagt der syrische Lehrer und Journalist Khalid Alaboud. Nicht nur im Guten.
Ich erinnere mich noch an diese Nacht im April, an das Geräusch von Panzern, die laut auf den Asphaltstraßen vorbeifuhren, sowie an einzelne Schüsse, Tack Tack, als Warnung wohl. Die Leute sollten sich nicht aus ihren Häusern trauen, nicht beobachten, was geschah. Zehn Jahre ist das her.
Kurz zuvor, hatte es bei uns in Deraa, im Süden von Syrien die ersten Demonstrationen gegen das Regime gegeben. Hier nahm die Revolution ihren Anfang und die Regierung reagierte hart.
Am Morgen sah ich vom Balkon meines Hauses Rauchsäulen aufsteigen. Die Straßen waren leer. Dem Regime reichte das aber noch nicht: In der ganzen Stadt und den umliegenden Dörfern kappten sie Strom, Internet und alle Kommunikationsmöglichkeiten. Wir sollten keine Chance haben zu berichten, was geschah.
Einige fuhren über die nahegelegene Grenze nach Jordanien und posteten ihre Berichte und Bilder von dort. Facebook war ihre Rettung: Hier konnten sie veröffentlichen, was passierte, sie konnten sich informieren, was ihre Aktionen in anderen Städten auslösten. Vielerorts gab es Solidaritätsaktionen. Das war der Anfang der Revolution in Syrien.

Begriff "Facebook-Revolution" sollte Aufstand verniedlichen

"Facebook-Revolution", so nannten das syrische Regime und seine Verteidiger, darunter auch Schriftsteller, Analysten und Journalisten die Bewegung. Sie versuchten den Aufstand zu verniedlichen und abzuwerten, zu zeigen, dass er in der echten Welt keine Macht hat.
Tatsächlich spielten die sozialen Medien zu dieser Zeit eine große Rolle. Sie waren sowohl Mittel zur Vernetzung als auch zur Meinungsäußerung.
Facebook kam erst spät nach Syrien. Lange war die App verboten. Vielleicht ärgert sich das syrische Regime im Nachhinein, das Verbot der Social-Media-App Ende 2010 aufgehoben zu haben. Denn klar ist: Vielleicht hätte es auch ohne Facebook einen Aufstand in Syrien gegeben – Gründe dafür gab es genug. Auf jeden Fall aber wäre der Protest anders verlaufen.

Technische Naivität der Regierung

Es entstanden zwei parallele Erzählebenen: Auf der einen Seite die Geschichte, die die Regierung erzählen ließ durch die offiziellen Medien und durch seine Beamten. Auf der anderen Seite die Geschichte der Aktivisten. Sie filmten die Proteste und posteten Bilder auf Facebook.
Dies veranlasste das Regime Kampagnen gegen die Benutzer der Website zu starten. Das hatte auch lustige Seiten. In ihrer technischen Naivität dachten die Sicherheitskräfte, die an den Kontrollpunkten standen, Facebook sei ein Gerät, das man in der Tasche trägt. Und durchsuchten Verdächtige nach ihrem Facebook.

Einziger Kommunikationskanal der Revolutionäre

Jetzt, zehn Jahre nach dem Beginn der syrischen Revolution und angesichts der Ausbreitung der Coronapandemie, ist Facebook sogar zur einzigen Arena für die Revolutionäre geworden. Nur hier können sie noch Veranstaltungen organisieren oder überhaupt kommunizieren.
Man kann also sagen, dass die Revolution in Syrien tatsächlich eine Facebook-Revolution ist und immer stärker dazu wird. Zum Glück und Leider. Denn auch bei uns spielt Facebook nicht nur eine positive Rolle. Es gibt auch dunkle Seiten. Fake-News und Hatespeech.
Für den Aufstand in Syrien spielen und spielten sie eine besonders hässliche Rolle. Alle Seiten verbreiteten falsche Nachrichten, nutzen die Postings, um Hass und Sektierertum zu verbreiten und Facebook spielte es in die Timelines der Menschen.

Algorithmus vertieft gesellschaftliche Spaltung

Nicht zuletzt sorgt der Algorithmus von Facebook dafür, dass Spaltungen in einem ohnehin schon gespaltenen Land tiefer werden. Jeder lebt in seiner Bubble, in seinem Dorf in seiner politischen oder ethnischen Gruppe.
Man kann also sagen, Facebook hat eine wichtige Rolle gespielt, um die Revolution in Syrien in Gang zu bringen. Ohne Social Media wäre der Aufstand anders verlaufen – er wäre aber auch mit Sicherheit nicht so grausam und blutig geworden.

Khalid Alaboud hat an der Universität von Damaskus arabische Literatur studiert. Er arbeitete als Lehrer in seiner Heimatstadt Deraa und war Redakteur einer Jugendzeitschrift. Nach seiner Flucht arbeitete er in Jordanien für die Radiosender Rozana und al-Balad. Seit 2014 ist er in Berlin und engagiert sich beim Storytelling-Projekt "House of Syrian Stories".

© Ahmed Kalaji
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