Die Griechen hätten früh auf Corona reagiert, sodass sich die Zahl der Infizierten hier in Grenzen hält, erzählt unser Korrespondent Thomas Bormann in Athen. Und die Griechen seien diszipliniert im Umgang mit der strengen Ausgangssperre. Vor dem Interview konnte sich Bormann trotzdem noch schnell einen Kaffee auf der Straße holen. Der Verkäufer sei in den Zeiten des "Hausarrests" schon zu seinem guten Bekannten geworden.
Und jetzt mit Corona zurück auf Anfang?
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Griechenland war gerade dabei, sich von der Pleite von vor zehn Jahren und dem folgenden Sparzwang zu erholen. Die Coronakrise wirft das Land weit zurück. Doch die krisengestählten Griechen hoffen, die Coronarezession werde nur kurz andauern.
Giorgos Papandreou hatte sich eine idyllische Kulisse ausgesucht, um seinem Volk die Schreckensnachricht zu übermitteln. Der damalige Ministerpräsident Griechenlands war in den äußersten südöstlichen Zipfel seines Landes gereist, auf die Insel Kastellorizo. Papandreou stand an jenem sonnigen 23. April 2010 am Hafenbecken der Insel, hinter ihm leuchtete türkisblau das Meer und Fischerboote tuckerten vorbei, als er eine Art Offenbarungseid leistete:
"Wir sind auf einem Boot, das am Sinken ist", sagte er, gab der Vorgängerregierung die Schuld für die leere Staatskasse und stellte klar: Die einzig mögliche Rettung sei Finanzhilfe der europäischen Partner. Papandreou war klar, dass die Milliardenkredite an strenge Sparauflagen geknüpft sind: "Wir stehen vor einem schwierigen Weg, einer neuen Odyssee für die Hellenen."
Interview mit Korrespondent Thomas Bormann zur Coronakrise in Griechenland:
Eine neue Odyssee. König Odysseus musste auf seiner Irrfahrt einst zehn Jahre lang gegen Stürme ansegeln, gegen einäugige Riesen oder gegen menschenfressende Völker kämpfen, ehe er seine Heimat Ithaka wiedererreichte, so erzählt es die antike Überlieferung.
"Sie machen alles kaputt"
In der neuen Odyssee der 2010er-Jahre mussten die Griechen gegen Feinde ankämpfen, die ihnen ebenso unberechenbar und grausam erscheinen. Sie heißen: Massenentlassungen, Lohnkürzungen, Steuererhöhungen. Immer wieder protestierten damals Zehntausende Griechen auf den Straßen gegen die Sparpolitik: Staatsbedienstete wurden entlassen, Renten um zehn oder 20 Prozent gekürzt. Dass trieb in den Jahren 2010, 2011 und 2012 auch 70-Jährige auf die Straße:
"Ich kann mir meine Medikamente nicht mehr leisten. Was kann ich für 400 Euro Rente im Monat schon bekommen? Wie soll ich da Steuern zahlen? Ich rede ja nicht nur über mich. Das ganze Land geht unter, nicht nur ich. Ich bin alt und werde eines Tages nicht mehr da sein. Aber was ist mit den Kindern? Sie machen alles kaputt!"
Von all den Milliardenkrediten kommt kein Cent bei den griechischen Bürgern an. Nein, mit den Krediten müssen alte griechische Staatsschulden bei Banken abbezahlt werden. Und damit Griechenland nicht zu viele neue Schulden macht, muss das Land sparen, sparen, sparen.
"Syriza ist die Lösung für ein anderes Europa", verspricht Alexis Tsipras von der griechischen Linkspartei Syriza. Und er verspricht noch mehr: Entlassene wieder einstellen, Löhne erhöhen. Doch als neuer Ministerpräsident kann er all die Versprechen nicht halten. Auch Tsipras muss Renten senken und somit seine Wähler verprellen:
"Die linke Regierung hat uns verarscht, unser Leben wurde in Fetzen gerissen. Wir können nicht mal unseren Kindern helfen. Wir sind mit einer ehrwürdigen Pension in den Ruhestand gegangen und haben geglaubt, davon auch gut leben zu können. Aber leider will die Regierung, dass wir möglichst früher sterben."
Eine moderne Odyssee ist überstanden
Doch Tsipras bleibt auf Sparkurs, drei Jahre lang, und schafft es tatsächlich ins Ziel: Griechenland hat wieder einen ausgeglichenen Staatshaushalt, ist nicht mehr auf neue Hilfskredite und Sparprogramme angewiesen. Zwar wird Griechenland noch Jahrzehnte lang die Raten für alle die Milliardenkredite abstottern müssen, aber das Schlimmste scheint an jenem 21. August 2018 überwunden. Für seine Ansprache ans Volk wählt Ministerpräsident Tsipras wiederum einen symbolträchtigen Ort aus der Antike: die Insel Ithaka – der Legende nach die Heimat des Königs Odysseus, Odysseus kam dort einst nach zehn Jahren Irrfahrt an. Die moderne Odyssee haben die Griechen in acht-einhalb Jahren bewältigt. Wir haben sie überstanden, sagt Tsipras in der sengenden Hitze auf Ithaka im August 2018:
"Griechinnen und Griechen! Heute, ist der Tag der Erlösung. Es ist aber auch der Beginn einer neuen Ära. Unser Land bekommt sein Recht zurück, über seine Zukunft selbst zu bestimmen. Griechenland ist wieder ein ganz normales, europäisches Land", so Alexis Tsipras.
Ironie der Geschichte: Der linke Ministerpräsident Alexis Tsipras führt Griechenland aus der Krise, ordnet die Staatsfinanzen und spart sogar ein Polster von 30 Milliarden Euro an. Die Wahl im Sommer 2019 aber verliert er gegen seinen Herausforder Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Nea Demokratia.
Mitsotakis gewinnt die Wahl mit dem Versprechen: Starkes Wachstum für alle Griechen. Leichtes Wachstum hatte es ja auch schon unter der Vorgängerregierung gegeben. Mitsotakis wollte jetzt so richtig loslegen, die Ärmel hochkrempeln, Investoren ins Land holen. Doch dann bricht die Bedrohung durch das Coronavirus herein und erstickt alle Pläne für Wachstum und Wohlstand. Tavernen und Geschäfte schließen. Hotels machen dicht. Hunderttausende Griechen verlieren von heute auf morgen ihre Arbeit. Über Nacht ist die Krise wieder da und die griechische Wirtschaft rutscht wieder ab.
"Die Rezession im Jahr 2020 wird groß sein", sagt Regierungschef Mitsotakis. "Aber der Aufschwung im Jahr 2021 kann dafür umso größer werden", verspricht der Regierungschef.
Corona trifft Griechenland besonders hart
Corona trifft Griechenland besonders hart. Denn mehr als ein Fünftel seiner Wirtschaftsleistung erzielt Griechenland aus dem Tourismus.
"Der Tourismus ist jetzt auf Null", sagt Alexandros Vassilikos, Chef des griechischen Hotel-Verbands, "die Hotels senden SOS". Alexandros Vassilikos begann seine Video-Pressekonferenz mit der Bemerkung, eine Nachricht aus Brüssel habe ihn wie ein Stich getroffen. Als nämlich die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Europäern riet, wegen der Coronakrise noch keinen Sommerurlaub zu buchen. Das zeige: Nichts ist klar. Die 10.000 Hoteliers in Griechenland stehen vor dem Ruin.
"Wir brauchen heute eine Soforthilfe vom Staat, damit wir nicht in die Pleite rutschen und damit wir morgen wieder auf eigenen Beinen stehen können. Dann werden wir wieder unseren Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten können. Dann werden wir wieder Arbeitsplätze schaffen. Dann werden wir wieder unseren wichtigen Beitrag für diese Gesellschaft leisten."
Der Tourismus war immer der Motor der griechischen Wirtschaft. Sogar während der Finanzkrise war die Zahl der Griechenland-Touristen von Jahr zu Jahr gestiegen. Im vergangenen Jahr kamen mehr als 30 Millionen Menschen zum Urlaub machen nach Griechenland, doppelt soviele wie zehn Jahre zuvor. Überall Touristen aus aller Welt, überall buntes Leben bis in die Nacht: So sieht es normalerweise im April im Athener Altstadt-Viertel Plaka mit seinen vielen Tavernen und Cafés aus. Und so klingt es in diesem April: Totenstille, es sei denn die Stadtreinigung kommt mit dem Hochdruckreiniger zum Desinfizieren.
Aus welchen Ländern werden wieder Touristen kommen?
Hier hat auch Kostas Panagopoulos seinen Souvenirladen. Er verkauft T-Shirt mit Akropolis-Motiv, Postkarten, kleine Statuen von griechischen Göttern. Er holt tief Luft und seufzt: Ja, wir hatten die große Krise gerade überstanden.
"Und jetzt werden unsere Läden vom Coronavirus lahmgelegt. Der Tourismus ist halt eine empfindliche Branche. Ich fürchte, wir werden um viele Jahre zurückgeworfen und landen in dem Schlamassel, in dem wir 2014 oder 2015 waren."
Alle Tavernen, Cafés und Restaurants in Griechenland sind seit dem 14. März geschlossen. Souvenirläden seit Ende März. Die Hotels haben nur noch mit Stornierungen zu tun. Alexandros Vassilikos vom Hotel-Verband:
"Wir wissen im Moment nichts, wir können überhaupt nicht planen. Wird es Buchungen im August geben? Welche Flüge wird es geben? Aus welchen Ländern werden wieder Touristen kommen? Wir wissen nichts. Wir ahnen aber, dass der Tourismus nur sehr langsam und qualvoll wieder in Gang kommen wird."
Schnell einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise finden
18 Milliarden Euro haben ausländische Touristen im vergangenen Jahr in Griechenland ausgegeben. Wie viel wird es in diesem Jahr sein? Das Ziel waren 20 Milliarden, es werden wohl höchstens fünf werden, wenn überhaupt. Ja, die Coronakrise wird heftig sein, sagt der Athener Wirtschaftsprofessor Panagiotis Petrakis. Aber sie wird nicht lang dauern. Da ist er optimistisch.
"Wir haben große Erfahrungen damit, wie man mit wirtschaftlichen Krisen umgeht. Wenn wir also die Epidemie-Krise lösen können und die Coronakrankheit im Griff haben, dann werden wir sehr schnell auch einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise finden."
Auch Regierungschef Mitsotakis plant schon für die Zeit nach Corona. Er präsentiert sich gern als Macher, der in jeder Krise auch eine Chance sieht.
"Griechenland nach der Pandemie wird ein erneuertes Griechenland sein. Die Krise hat uns einen Hieb versetzt. Sie hat uns aber auch wertvolle Lehren erteilt, damit wir einen starken, modernen Staat aufbauen. Wir haben Dienstleistungen digitalisiert. Wir können den Bürger leichter und schneller bedienen, können Bescheinigungen elektronisch ausgeben. Die Angestellten machen sich mit der Technologie vertraut. Das alles sind Instrumente für einen dauerhaften Fortschritt."
Masken und Schutzbrillen aus dem 3D-Drucker
Noch vor wenigen Jahren gab es etliche Amtsstuben in Griechenland ohne einen einzigen Computer. Es waren ja genug Beamte da, um Belege in Akten abzuheften und Formulare per Hand auszufüllen. Hinter all den Aktenbergen konnten auch Korruption und Steuerhinterziehung gedeihen. Doch auch griechische Behörden kommen allmählich im 21. Jahrhundert an. Sie arbeiten nicht nur schneller, sondern auch transparenter: Wenn Baugenehmigungen online erteilt werden oder wenn die Steuererklärungen elektronisch erfasst werden, dann lassen sich die Vorgänge leichter kontrollieren. Die Korruption in Griechenland geht zurück.
Haris Geremtzes, ein junger Computeringenieur aus Thessaloniki, steht für das moderne Griechenland, das mit High-Tech-Produkten auf dem internationalen Markt mithält. Als die Coronakrise ausbrach und die Ärzte in Thessaloniki beklagten, dass sie nirgendwo Gesichtsmasken bestellen können, entwickelte der 25-Jährige kurzerhand solche Masken und Schutzbrillen an seinem 3D-Drucke.:
"Wir haben hier an unserem 3D-Drucker einen Prototyp für eine Gesichtsmaske aus Kunststoff entwickelt – eine durchsichtige, stabile Folie, die auch die Augen schützt. Die lassen wir jetzt in einer anderen Firma in großer Stückzahl herstellen. Mit einem 3D-Drucker kann man sehr schnell einen Prototyp bauen, die Drucker sind aber nicht für die Massenfertigung gedacht."
Mit ihren 3D-Druckern entwickeln er und seine Kollegen üblicherweise maßgeschneiderte orthopädische Hilfsmittel, zum Beispiel Schienen für Patienten mit Knochenbrüchen. Die Schienen aus dem 3D-Drucker der Start-Up-Firma aus Thessaloniki sind sechs Mal leichter als herkömmliche Schienen und sogar wasserfest, heißt es auf der Internetseite der Firma mit dem Namen "AidPlex". Doch jetzt hat er die Gesichtsmasken für Ärzte und Pflegepersonal entwickelt, die nun in einem anderen Start-Up-Unternehmen in Thessaloniki massenhaft hergestellt werden. Der 33-jährige Ingenieur Theodoros Marioglu: "Da gibt es im Moment große Nachfrage. Wir tun unser Bestes, um alle Kunden zu bedienen."
"Du merkst, du hast das Unmögliche geschafft"
Theodoros Marioglu und Haris Geremtzes haben gerade jetzt, während der Coronakrise, viel zu tun. Sie hoffen, ihre Start-Up-Firmen werden auch langfristig Erfolg am Markt haben und sie können sich eine Existenz aufbauen in Griechenland. Selbstbewusst genug sind sie jedenfalls: "Am Anfang machst du, was nötig ist. Dann machst du alles, was möglich ist. Und am Ende merkst du, du hast das Unmögliche geschafft."
Stolze Firmengründer in Griechenland. Viele ihrer gut ausgebildeten Altersgenossen aber haben nach dem Studium weniger Erfolg gehabt. Sie haben keine Arbeit in Griechenland gefunden. Tausende sind ins Ausland abgewandert. Andere schlagen sich als Kellner oder Nachhilfelehrer durch. Eine ganze Generation junger Griechinnen und Griechen hat in der Heimat kaum Chancen auf einen Arbeitsplatz im erlernten Beruf. Die junge Museumspädagogin Daphne Dionysopóulou gehört zu dieser Generation. Ab und zu verkauft sie selbst gemachten Schmuck, aber ihr eigentliches Lebensziel, als Museumspädagogin zu arbeiten, scheint unerreichbar. Sie sagt, wonach sich ihre Generation sehnt:
"Ich träume davon, dass irgendwann mal Normalität in Griechenland herrscht. Dass du Arbeit hast und dafür auch gut bezahlt wirst. Und dass du nicht nur ständig Steuern zahlst, ohne etwas zurückzubekommen. Ich hoffe, dass wenigstens meine Kinder diese Normalität erleben werden."
Diese Normalität scheint wegen der Coronakrise nun wieder ein Stück in die Ferne gerückt. Und eines ist für ihre Kinder und sogar ihre Enkel auch gewiss, selbst wenn die Coronakrise überwunden sein wird: Sie müssen noch mindestens bis zum Jahr 2060 all die Milliardenkredite zurückzahlen, die Griechenland wegen der Finanzkrise aufnehmen musste. Die Krise, die vor zehn Jahren begann, lässt die Griechen noch lange nicht los.