Das lebendige Tanzerbe
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Vor zehn Jahren starb die weltberühmte Choreographin Pina Bausch. Über den schwierigen Umgang mit ihrem Erbe sagte die Tanzkritikerin Wiebke Hüster, es sei richtig gewesen, die Kompanie in Wuppertal bestehen zu lassen.
Pina Bauschs plötzlicher Tod vor zehn Jahren, am 30. Juni 2009, erschütterte nicht nur die Welt des Tanzes. Ihr Sohn Salomon Bausch gründete danach die Pina Bausch Foundation, die seither das künstlerische Erbe bewahrt und archiviert. Das Theater und dessen Truppe erlebten allerdings einige Krisen.
"Das war schon richtig, die Kompanie bestehen zu lassen", sagte die Tanzkritikerin Wiebke Hüster im Deutschlandfunk Kultur. Aber es sei unglaublich schwierig gewesen, eine passende Nachfolgedirektorin zu finden. Hüster hofft auf weitere Aufführungen auch an anderen Bühnen, die Choreographien von Pina Bausch wieder zum Leben erwecken. Das Bayerische Staatsschauspiel habe gezeigt, dass dies gelingen könne.
Im Herbst erinnert das Tanztheater Wuppertal in einigen Gedenkveranstaltungen an die Künstlerin.
(gem)
Das Interview im Wortlaut:
Shanli Anwar: Es war ein Schock für die Theaterwelt, als Pina Bausch unerwartet starb, morgen jährt sich der Todestag zum zehnten Mal. Den Posten als Ballettdirektorin Wuppertal hat Pina Bausch 1973, ja, eher widerwillig angenommen.
Pina Bausch: Ich wollte überhaupt nie an ein Theater gehen, ich wollte keine Routine, ich wollte alle diese Sachen gar nicht. Ich fand viel schöner eine freie Arbeit. Ich konnte mir das gar nicht vorstellen. Also ich wollte das überhaupt nicht, aber der hat einfach nicht aufgegeben, der hat so lange gefragt, bis ich dann irgendwann sagte: Ja, ich probiere das mal so.
Anwar: Mit "der" ist der damalige Intendant der Wuppertaler Bühnen gemeint, und weil Arno Wüstenhöfer damals so hartnäckig geblieben ist, hat sich das Tanztheater Wuppertal unter Pina Bausch entwickelt und es auch zu Weltruhm gebracht. Wir sprechen zum anstehenden Todestag mit der Tanzkritikerin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Wiebke Hüster. Guten Morgen!
Wiebke Hüster: Guten Morgen!
Anwar: Was haben Sie eigentlich für eine persönliche Erinnerung an Pina Bausch, Frau Hüster?
Hüster: Also großen, großen Respekt, ich war sehr, sehr jung, als ich das erste Mal nach Wuppertal kam. Ich komme ja aus Bremen und kannte am Tanztheater die Kollegin von Pina Bausch, nämlich Reinhild Hoffmann, und ich habe ja damals das Stück "Callas" gesehen und viele große andere Abende von Reinhild Hoffmann. Johann Kresnik war mir auch ein Begriff.
Aber dann erst kam ich nach Wuppertal und sah eben, was das bedeutete, Pina Bauschs Tanztheater Wuppertal, denn das war ja das erste, was sie gemacht hat dann. Sie wollte ja keine Ballettdirektorin sein, weil das war ja genau der Stil, die Technik, in der zwar ihre Tänzer ausgebildet waren, aber die sie ja nicht mehr wollte.
Sie wollte ja eine neue Theaterform entwickeln, und darum haben die das dann auch Tanztheater genannt. Und ich sah dann also Werke wie "Two Cigarettes in the Dark" oder wie "Nelken", wo die ganzen Tänzer in so einem Nelkenfeld, einem Blumenfeld auf der Bühne stehen. Das war ja auch schon mal das Großartige daran, diese Bühnenbilder, so was hatte man ja vorher nie gesehen – ein Aquarium auf der Bühne, in dem die Tänzer baden gehen, also das war unglaublich.
Szenische Lösungen
Anwar: Abgesehen vom Bühnenbild, was war so das Besondere an der Tanzästhetik von Pina Bausch, wofür steht sie?
Hüster: Das Besondere war, die Tänzer waren fantastisch ausgebildet, aber die wollten keine klassischen Tänzer sein, und Pina Bausch wollte das auch nicht. Sie kam ja aus der deutschen Tradition, sie war ja bei Kurt Jooss ausgebildet worden. Kurt Jooss ist der, der den Grünen Tisch geschaffen hat, das erste 1933 große Anti-Kriegsballett, also wirklich ganz frühes Tanztheater aus dem Ausdruckstanz kommend.
Und das hat Pina Bausch als ihr Ethos begriffen, dass es nämlich darum gehen muss, was Menschen bewegt, hat sie auch mal gesagt, nicht, wie sie sich bewegen, sondern was sie bewegt, das interessiert sie. Und dann hat sie angefangen, Stücke zu machen, die von ihnen und mir handelten, also wo es darum ging, wie ist das Verhältnis von Männern und Frauen, was passiert mit einem Tänzer, wenn er durch diese unglaubliche Disziplin verlangende Ausbildung gegangen ist. Dann gab es solche Szenen, die haben sich aus dem Probenablauf entwickelt. Sie stellte Fragen und die Tänzer boten szenische Lösungen, szenische Antworten an.
Und dann kam es zu so Bildern wie dem, wo Jan Minarik, werde ich nie vergessen, eine Partnerin auf der Bühne im Arm hält, und mit ihr so ganz sanft hin und her tanzt, ich glaube, sogar in einem Bademantel. Hinter ihrem Rücken liest der Typ ein Buch. Ja, jetzt frage ich Sie, welches bessere Bild kann man finden für eine Beziehung, wo man einerseits noch Nähe empfindet, aber andererseits so denkt, ah ja, der Partner ist gegeben, ich beschäftige mich eigentlich mit was Wichtigerem?
Anwar: Also Mann-Frau-Beziehungen zum Beispiel, eher so universelle Themen. Kann man sagen, dass das der Grund ist, warum Pina Bausch auch heute noch so aktuell wirkt und auch heute noch weltweit ihre Tänze von Tanzkompanien umgesetzt werden?
Hüster: Ja, das ist sicherlich so. Die Leute sehen sich, die finden sich in diesen Stücken wieder. Das ist ganz bestimmt so. Später hat sie das dann ja verschoben. Sie begann dann, weite Reisen zu unternehmen, sie tourte weltweit, und sie machte dann auch Stücke, die Kooperationen waren. Dann ging es um Rom oder es ging um noch fernere Länder und sie brachte Bilder mit, große Filme, große Fotografien, und es wurde projiziert, also dann verschob sich das thematisch.
Aber in der Tat, das Problem ist, was Sie richtig ansprechen: Wird das weltweit von anderen Kompanien getanzt, wie das ja bei anderen Choreografen so ist, wenn die sterben, dann geht das Erbe vielleicht in eine Mutterkompanie über, also die Kompanie bleibt bestehen, das ist ja hier auch der Fall. Aber dann können auch andere Kompanien vielleicht diese Werke einstudieren.
Wiederaufführungen von Pina Bausch
Anwar: Wie ist das jetzt bei Pina Bausch?
Hüster: Ja, das ist das Riesenproblem. Also das Bayerische Staatsballett ist da der Vorreiter gewesen und hat vor ein paar Jahren das Stück "Für die Kinder von Gestern, heute und morgen", komplizierter Titel, gespielt. Das hat überragend gut funktioniert, ich fand es fantastisch. Niemand hatte das geglaubt vorher, dass das so gut sein würde, wenn es nicht die Wuppertaler Tänzer selbst machen.
Anwar: Also ihr Erbe von Pina Bausch durch diesen überraschenden Tod war nicht klar geregelt. Hat man damals vielleicht, vor zehn Jahren, Entscheidungen getroffen, die nicht richtig waren?
Hüster: Das glaube ich nicht, das war schon richtig, die Kompanie bestehen zu lassen. Aber wie Sie sich vorstellen können, und das haben die letzten Jahre gezeigt: Es ist unglaublich schwierig, dann eine Nachfolgedirektorin zu finden, die nicht selbst choreografieren soll, also das kann ja sowieso dann niemand so in diesem Stil, so toll machen wie Pina Bausch selber, das geht ja gar nicht, aber die das irgendwie versteht, das zu verwalten, die vielleicht auch mal junge Choreografen da hin holt, die gut mit diesem Ensemble arbeiten.
Das war die letzten Jahre nicht so besonders glücklich. Jetzt hat man sich nach dem Rauswurf von Adolphe Binder, dem meiner Meinung nach total berechtigten Rauswurf, hat man sich für Bettina Wagner-Bergelt entschieden, die ehemalige stellvertretende Ballettdirektorin von München.
Anwar: Sie ist jetzt die neue Intendantin in Wuppertal.
Hüster: Nun muss man mal abwarten, wie glücklich das dann wird. Der wichtige Anteil der Erbeverwaltung ist das, was ihr Sohn Rolf Salomon-Bausch macht, nämlich, dieses Pina-Bausch-Archiv zu verwalten, …
Anwar: Bei der Foundation.
Hüster: … genau, wo alles digitalisiert wird und zugänglich gemacht wird für die Welt.
Anwar: Ganz kurz zu den Gedenkveranstaltungen, die eher jetzt im Oktober angesiedelt sind im Tanztheater Wuppertal, da wird das letzte Stück von Pina Bausch wiederaufgeführt. Was gibt es noch für Gedenkveranstaltungen?
Hüster: Es wird sicherlich viele Aufsätze geben zu diesem Thema, das Archiv wird seine Arbeit noch mal präsentieren und vorstellen. Das ist sehr wichtig, dass diese Arbeit international so zugänglich gemacht wird, dass sich andere Kompanien auch trauen, diese Werke zu spielen, denn nur so kann das lebendig werden und auch an die nächsten Generationen von Choreografen und Tänzern so weitergegeben werden, dass es lebt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.