Was ist aus der "Charta der Vielfalt" geworden?
Die Charta der Vielfalt für Anerkennung, Wertschätzung und die Beseitigung von Vorurteilen am Arbeitsplatz wurde 2006 von deutschen Großunternehmen ins Leben gerufen. Mehr als 2200 Unterzeichner gibt es bis heute. Doch wie steht es zehn Jahre danach um die großen Ziele?
"Bei mir ist der Almamy Soumah und der Ismail Ivanov, die werden heute lernen, wie man einen Teppich reinigen kann..."
Dirk Block, Ausbildungsleiter bei Gegenbauer, zeigt dem Azubi Almamy Soumah aus Guinea und dem Schülerpraktikanten Ismail Ivanov aus Bulgarien in der Berliner Filiale Prenzlauer Berg, die Kniffe der Textilsäuberung. Hausverwaltung und Reinigung gehören zum Kerngeschäft von Gegenbauer. Der Dienstleistungskonzern beschäftigt bundesweit gut 15.000 Menschen. Eine große und – darauf legt Personaldirektor Claus Kohls wert – eine diverse Belegschaft.
"Vielfalt bei Gegenbauer hat eine lange Tradition. Die Wirtschaftlichkeit spielte in den 70er-Jahren eine besondere Rolle, in dem die Unternehmen keine Mitarbeiter mehr fanden, die bestimmte Tätigkeiten ausübten. Insofern ist das der Grundstein der Vielfalt der Kulturen, die sich in diesen Jahren entwickelt haben, in dem wir viele Mitarbeiter aus Südeuropa, aus Asien für uns rekrutiert haben."
Das Unternehmen gehört zu den frühen Unterzeichnern der "Charta der Vielfalt", eine Art Kodex, der vor zehn Jahren unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin verfasst wurde. Rund 2300 Firmen, Institutionen und Behörden mit acht Millionen Beschäftigten haben ihn bis heute unterzeichnet.
Zitator: "Wir können wirtschaftlich nur erfolgreich sein, wenn wir die vorhandene Vielfalt erkennen und nutzen.
Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen Wertschätzung erfahren – unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität. Die Anerkennung und Förderung dieser vielfältigen Potenziale schafft wirtschaftliche Vorteile für unsere Organisation."
Ein Plädoyer das nach Universitätsseminar oder Bürgerrechtsgruppe klingt. Gestartet haben die Initiative aber Daimler, BP, Deutsche Bank und Deutsche Telekom.
Das Engagement für Vielfalt soll allen Beschäftigten neue berufliche Chance eröffnen – und so die Qualität des Personals steigern. Die "Charta der Vielfalt" setzt auf Bildung und Information, auf Workshops, Websites, Praxisbeispiele, Veranstaltungen und den bundesweiten Diversity Tag, der die beschworene Vielfalt in Betrieb und Büro zeigen und fördern soll. Fast 900 Unternehmen nahmen 2015 daran teil. Auch Arbeitsministerin Andrea Nahles:
Sprecher: "Herzlich Willkommen zum deutschen Diversity Tag ... 2015. - Nahles: Ich bin dem Verein 'Charta der Vielfalt' für sein Engagement sehr dankbar: Das Motto dieses Diversity Tages: Vielfalt Unternehmen ... packen wir‘s an."
Verdi hat "Charta der Vielfalt" noch nicht unterzeichnet
Auch Schauspieler des Berliner Gorki Theaters arbeiten hier am Abbau von Vorurteilen mit. Die Prominenz aus Wirtschaft und Politik reagiert begeistert. Eher reserviert zeigt sich hingegen einer der wichtigsten Vertreter der Beschäftigten: Die Gewerkschaft Verdi hat die Charta noch nicht unterzeichnet. Eva Welskop Deffaa, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand.
"Die Charta steht in der Tradition einer solchen ökonomischen Diversity Mangament Ausrichtung. Man darf ihn auch auf keinen Fall verabsolutieren, nur ökonomisch, nur vom Nützlichkeitsgedanken her zu argumentieren, würde dem Menschenrechtsanspruch des Themas Vielfalt nicht entsprechen. Wir als Gewerkschaften stehen da natürlich in dieser menschenrechtlichen Tradition. Völlig unbestritten hat die Charta der Vielfalt auch nicht argumentiert mit den besonders Benachteiligten, sondern sie hat argumentiert mit den Potenzialen. Und von daher gibt es diese gegenseitigen Vorbehalte.Es ist jetzt nicht so, als würden alle unsere Funktionäre und Funktionärinnen sagen, das Wichtigste was wir tun müssen, um unsere Belange zu unterstützen, ist die Charta zu unterzeichnen."
"Schalt die Maschine an, wir wollen Briefe heut erfassen, wir wollen sortieren um die Wette, ohne Rast und ohne Ruh ..."
Auch so klingt der Diversity Tag. Hier singt die internationale Belegschaft des privaten Augsburger Briefzustellers LMF das hohes Lied auf die eigene Produktivität.
"Wir befinden uns gerade in unseren neuen Bürowelten hier in Bonn, in der dritten Etage ..."
Alexandra Mies, Managerin für vielfältige Personalentwicklung bei der deutschen Telekom, präsentiert in der Bonner Zentrale ein neues Bürokonzept.
"Ich finde auch gerade die Gestaltung der Möbel, wenn wir uns hier mal umschauen, sehr futuristisch, sehr bunt, sehr vielfältig. So dass jeder ein Möbelstück finden kann, wo er sich wohl fühlt und ideal arbeiten kann. Ich weiß nicht, ob ..."
Das ästhetische Konzept dieses Etagentreffpunkts scheint in der maximalen Schrillheit zu liegen. Auf dem Boden liegt ein klassischer Perserteppich mit türkisfarbener Mitte, darauf stehen 60er-Jahre Bürostühle, daneben eine Kabeltrommel und hölzerne Barhocker. Eine silberne Sitzkugel aus den 70er-Jahren schwankt vor einem Regal, in dem sich Immanuel Kants Schrift "Kritik der praktischen Vernunft" findet wie Bilder von treuherzigen Bassets. Es gehe, so die Personalmanagerin Alexandra Mies, darum durch den Mix eine persönliche Note zu schaffen. Ein Ambiente, das möglicherweise auch gegen Büroroutine gerichtet ist. Vielfalt soll die neue Bürowelt prägen. Warum will die Telekom dazu auch noch eine größere Personalvielfalt?
"Weil es ist ganz, ganz klar, und belegen immer mehr Studien, wenn ich eine diverse Workforce habe, Menschen unterschiedlicher Nationen, Hintergründe, Männer, Frauen, alles was man sich so vorstellen kann, die Vielfalt, wenn ich die nutze, wenn ich dieser Vielfalt einen Platz gebe, habe ich die sehr, sehr große Chance zu besten Innovationen zu kommen. Und auch einer der besten Player am Markt zu sein. Und wenn ich diese Chance nicht nutze, und immer die gleichen Menschen auswähle, dann haben alle den gleichen blinden Fleck und es wird zu einer Stagnation kommen. Und das ist eben nichts Altruistisches, und nichts was nur nice to have is, sondern es ist ein ganz klarer wirtschaftlicher Faktor, der da mit hereinspielt."
Immer härtere Konkurrenz um angehende Spitzenkräfte
Durch einen gesellschaftlichen Wandel wird Andersartigkeit sichtbar. So können jetzt auch Lesben und Schwule ihre Andersartigkeit zeigen. Immerhin sind das zehn Prozent der verfügbaren Talente.
Und die Unternehmen müssen immer härter um die angehenden Spitzenkräfte konkurrieren. Die Telekom setzt die Schwerpunkte ihrer Vielfaltsinitiative vor allem in den Bereichen Interkulturalität und Geschlecht. Dazu gehören ein Rückkehrrecht auf den Vollzeitarbeitsplatz, Hilfen bei der Kinderbetreuung und der Pflege von Angehörigen. Über die Entwicklung der Dinge wird regelmäßig Bericht erstattet. 2010 hatte sich die Telekom das Ziel gesetzt bis zum Jahr 2015 auf der gesamten Führungsebene einen Frauenanteil von 30 Prozent zu erreichen:
"Ja, wir haben auf jeden Fall eine deutliche Steigerung, over all, können wir sagen, dass wir bei 19 und etwas gestartet sind und jetzt bei knapp unter 26 liegen. Es ist eine gute Entwicklung. Wir haben auf den mittlerer Managementebenen eine stärkere Entwicklung als ganz, ganz oben."
Das Resultat der Förderung: Gut ein Viertel der rund 10.000 Mitarbeiter mit Leitungsfunktionen sind Frauen. Das hält auch der Konzernbetriebsrat von Verdi für eine gute Initiative und lobt insbesondere die Frauenförderprogramme im technischen Bereich.
"Ich bin zur deutschen Telekom gegangen, weil die Telekom ein internationaler Konzern war. Da musste ich aber schon im Vorstellungsgespräch feststellen, dass es ein sehr deutsches Unternehmen war. Und das es eigentlich keine Willkommenskultur gibt, sondern du musst dich anpassen, wenn du hier bleiben möchtest. Das hab ich auch gemacht."
Ende der 90er-Jahre ist Sanja Panfilov aus Jugoslawien geflohen. Die ausgebildete Wirtschaftswissenschaftlerin war fasziniert von Hochtechnologie – und bewarb sich bei der Telekom:
"Mein Glück damals war, dass mein erster Chef ein Brite war. Von daher herrschte in der Abteilung schon eine andere Atmosphäre, und die Kollegen und die Projekte waren sehr international. Also, hab ich mich von Anfang an sehr wohl gefühlt. Und von Anfang an, konnte ich meinen internationalen Background, Sprachkenntnisse und Wissen aus anderen Ländern anwenden.
In der Arbeitskultur, also wenn ich irgendwo fünf Minuten zu spät ankam, war das nicht okay. Ach, typisch, typisch Balkan. Wenn ein deutscher Kollege zehn Minuten zu spät kam, war das okay. Der hat sich verspätet."
Aber gleichzeitig hatte Sie als Projektmanagerin schon das Gefühl, dass ihr Anderssein der Telekom nutzte.
"Es ist ganz wichtig, wenn man das im Geschäft schon einsetzen kann. Und wenn sie schon nach kurzer Zeit sagen können, okay jetzt funktioniert die Beziehung zu einer Auslandstocher besser, weil ich mich mit diesen Menschen schneller und einfacher unterhalten kann. Wenn man einfach nur etwas Anderes versucht, als eigene Kultur mit harten Bandagen durchzusetzen. Die Mitarbeiter, die aus anderen Ländern kommen, die fühlen sich einfach wohl."
Sanja Panfilov fühlt sich bei der Telekom sehr wohl. Und tatsächlich fällt der Konzern durch besondere Maßnahmen auf, etwa durch eine konsequent gleiche Bezahlung von Männer und Frauen, was die Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Jahr 2014 ausdrücklich bestätigte. Trotzdem fällt eines auf – die Telekom wird im Jahr 2006 zur Mitbegründerin der "Charta der Vielfalt". Zu einer Zeit in der der Konzern umgebaut wird und bis heute knapp gut ein Drittel seiner rund 140.000 Arbeitsstellen in Deutschland abbaut.
Bislang hat die "Charta der Vielfalt" keine Bilanz vorgelegt
Die Telekom betont, wie "sozialverträglich" der Arbeitsplatzabbau abläuft: Auf betriebsbedingte Kündigungen werde verzichtet, die Betroffenen würden immer unterstützt. Die Gewerkschaft Verdi kritisiert, dass die Erfolge des Konzerns – Zitat - "auf Kosten der Belegschaft" durch Stellenabbau und steigende Arbeitsverdichtung erreicht worden seien.
"Alle Konzerne haben immer wieder Umbau und Umstrukturierung. Ich glaube, das ist bei der Veränderung, die es draußen gibt absolut total normal. Ich glaube nicht, dass das der Grund war, warum wir mit Diversity gestartet haben. Manchmal sagt man, man soll Diversity machen, obwohl man umstrukturiert, ich sage auf jeden Fall, es ist ganz wichtig, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden können, wo sie ihr volles Potenzial zeigen können. Und das ist ja das, woran der Arbeitgeber ja auch ein großes Interesse hat."
Verdi hat 2013 die Unzufriedenheit von Telekombeschäftigten dokumentiert: Rund 60 Prozent bewerten der Gewerkschaft zufolge ihre Arbeitsbedingungen als schlecht, die Unzufriedenheit sei größer als im Durchschnitt der Gesamtwirtschaft. Besonders kritisch sähen die Befragten die hohe Arbeitsintensität und die geringe Arbeitsplatzsicherheit. Dagegen betont die Telekom, ihre Mitarbeiterbefragungen ergäben Zufriedenheitswerte auf einem "guten bis sehr guten Niveau", verbessert habe sich insbesondere die "Akzeptanz der Veränderungen im Konzern".
Der Verdi-Konzernbetriebsrat der Telekom reagiert eher zögerlich auf Nachfragen zum Diversity Management. Man sähe die Vielfaltsinitiative des Konzerns generell positiv, betont aber, dass nicht jede gut gemeinte Maßnahme auch bei allen Beschäftigten ankomme.
Manche Unternehmen, wie zum Beispiel die Telekom, dokumentieren ihre Bemühungen um Frauenförderung und mehr Vielfalt. Die Initiative "Charta der Vielfalt" selbst hat in den zehn Jahren ihres Bestehens keine Bilanz vorgelegt. Das kritisiert auch Aydan Özoğuz, Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration:
"Und was jetzt auf uns zukommt, ist das Ganze auch ein Stück weit zu evaluieren, also genauer zu schauen, was hat sich denn in den Betrieben wirklich verändert, das ist die Fragestellung, die ich jetzt an die Charta gerichtet habe, doch noch mal genauer in den einzelnen Unternehmen nachzufragen, was hat diese Charta wirklich für euch bedeutet. Ich hab das auch ein bisschen vermisst, als ich nun kam und diese Charta gesehen hab."
Die "Charta der Vielfalt" will auch die Chancengleichheit für Frauen verbessern. Zehn Jahren nach Gründung der Initiative, trotz der rund 2300 unterstützenden Unternehmen und Institutionen, sind jedoch zentrale Forderungen noch unerfüllt. Gerade in Deutschland, erklärt Bernhard Franke von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, ist die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen, der sogenannte Pay Gap, größer als im europäischen Durchschnitt.
"Also, Ausgangspunkt, ist ja, dass der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Männern im Jahr 2014 bei 20,20 Euro und der von Frauen nur bei 15,83 Euro lag. Und dies entspricht einem prozentualen Unterschied von 22 Prozent, und ist damit deutlich höher als im Durchschnitt der EU, da liegt der Pay Gap etwa bei 18 Prozent."
Christina Klenner, Referatsleiterin Gender und Gleichstellung am WSI, dem wirtschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Gewerkschaften, sieht hier die Bundesregierung in der Pflicht. Schließlich ist die Kanzlerin Schirmherrin der Charta der Vielfalt.
"Wir haben aber doch eine ziemliche Zurückhaltung, Arbeitgeber zu verpflichten, gleich zu bezahlen. Das ist ja eigentlich jetzt erst in diesem Koalitionsvertrag, der zurzeit noch läuft geschehen, dass man sich jetzt darauf geeinigt hat, es müssen gesetzliche Maßnahmen zur Entgeltgleichheit her. Wir haben natürlich seit 2006 das Antidiskriminierungsgesetz, da ist Entgelt nicht ausdrücklich erwähnt. Da wurde ein Stück weniger getan, als es die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie schon zu dem Zeitpunkt vorsah."
Erfolge bei Gleichstellung für hochqualifizierte Frauen
Christina Klenner sieht die Gründe für die schlechtere Bezahlung von Frauen, darin dass Frauen häufiger in Teilzeit, Mini-Jobs und dem Niedriglohn-Bereichen arbeiten: Gerade typische Frauenberufe im Sozialen seien unterbezahlt. Trotzdem sei in den vergangenen zehn Jahren viel Positives im Sinne der Gleichstellung passiert. Aber eben eher für hochqualifizierte Frauen.
Ein Pulk von Parcoursläufern und Freeclimbern stürmt ein hypermodernes Firmengebäude. Halb Ninjatruppe, halb Sonderkommando jagen sie durch die Räume … und … säubern Büros und Fenster...
Kino-Spot Unternehmen Gegenbauer: "Ich mach gern was mit Gebäuden ... zum Beispiel Karriere ... Wir machen's möglich ... Facility Management ... Jetzt Karriere starten."
Mit diesem martialischen Kino Spot wirbt das Unternehmen Gegenbauer um Nachwuchs für die Gebäudebetreuung. Hausmeister oder Putzfrau war früher…
Auch Aysel Karatas arbeitet für Gegenbauer. Und zwar als Leiterin des Reinigungsobjektes Technische Universität Berlin. Nach Deutschland gekommen ist sie Mitte der 70er-Jahre, zuvor lebte sie in der Türkei als Grundschullehrerin. In Deutschland arbeitete sie dann fast nur für Gegenbauer. Für sie – ein besonderes Unternehmen:
"Ich hatte mich schon mal eingesetzt für junge Leute. Na, zum Beispiel wenn jemand im Büro arbeiten möchte, die Firma fördert das auch noch, die sagen nicht, du bist ein Ausländer, du bist ausländischer Herkunft. Und die Möglichkeit hat man ja nicht überall. Bestes Beispiel bin ich, als Raumpflegerin angefangen, und jetzt geht ich auf Rente zu. Was ich schätze, wenn man ordentlich arbeitet und ehrlich arbeitet, das man dann jahrelang bis zum Rentenalter arbeiten kann, da ist keiner, der sagt jetzt musst du raus ... Ich bin immer sehr zufrieden, also eine andere Arbeitsstelle würde ich nicht suchen."
Das Unternehmen Gegenbauer hat, wie alle Reinigungsfirmen, Schwierigkeiten Arbeitskräfte zu finden. Ausbildungsleiter Dirk Block ist froh gerade mit dem 24-jährigen Almamy Soumah aus Guinea einen Ausbildungsvertrag zum Gebäudereiniger abgeschlossen zu haben.
Block: "Jetzt kommen wir zu unserem Sprühextraktionsgerät ... Was ist das? - Soumah: Das ist nach meiner Meinung, das bedeutet, den Schmutz zu nehmen, alles was schmutzig ist, was ist nicht gut für die Gesundheit ..."
Almamy Soumah ist 24 Jahre alt, komm aus Guinea. Zunächst habe er in Deutschland studiert, dann aber gejobbt, weil sein Ebola kranker Vater ihn nicht habe weiter unterstützen können, erzählt er. Jobben bringe ihn aber nicht weiter, darum beginne er jetzt eine Ausbildung.
"Dieser Beruf gefällt mir, weil ich habe ein Ziel. Mein Ziel ist, jetzt ich bin in Deutschland. Ich kann nicht in Deutschland leben ohne Abschluss. Ich muss erstmal ein Abschluss haben. In Zukunft ich kann mit diesem Abschluss eine Projekt aufbauen. Und dann selbstständig auch arbeiten. Oder entweder mit Gegenbauer weitergehen. Bis Rentner. Es könnte sein ..." (lacht)
Die Gewerkschaft IG Bau schätzt Gegenbauer als einen der besseren Arbeitgeber ein. Die Reinigungswirtschaft in Deutschland ist ein hartes Gewerbe – die Auftraggeber wollen weniger zahlen, die Beschäftigten müssen mehr arbeiten. Trotzdem bleibt gerade die Reinigungsbranche ein Problemfall: Zwar liegt der Tariflohn bei fast zehn Euro – aber die Gewerkschaft IG Bau kämpft gegen das sogenannte Turboputzen.
Ein Gebäudereiniger, der anonym bleiben will, schätzt dass sich die Putzflächen in den letzten fünf Jahren um die Hälfte vergrößert hätten. Außerdem sei der Acht-Stunden-Tag verschwunden: Morgens zwei Stunden, abends drei Stunden putzen – das sei der Alltag.
"Wenn die Preise runter gehen, Quadratmeterpreise, Monatspreise, dass sie mehr zu tun haben, das ist klar. Es ist grundsätzlich falsch, dass die reichen Leute immer reicher werden, ich hab nichts dagegen, dass die ihr Geld verdienen. Aber arbeitendes Volk, dass die immer weniger haben, das ist falsch."
Piketty: Einkommensungleichheit wie "nie zuvor explodiert"
Aysel Karatas kritisiert Mehrarbeit und schrumpfende Einkommen durch die Steuer. Der Reinigungsberuf verliert so weiter an Attraktivität. Der Personaldirektor von Gegenbauer, Claus Kohls, spricht sogar von der Putzbranche als Dienstleitungsproletariat, ein Image, das bei den Beschäftigten keinen Berufsstolz aufkommen lässt und auch deren Leistungsfähigkeit reduziere.
Unternehmen müssen sich was einfallen lassen um neue Arbeitskräfte anzuwerben.
Zitator:"Seit den 1970er-Jahren hat die Ungleichheit in den reichen Ländern wieder stark zugenommen, insbesondere in den Vereinigten Staaten, wo die Konzentration der Einkommen in den Jahren 2000 bis 2010 wieder das Rekordniveau der Jahre 1919 bis 1920 erreicht hat – oder sogar leicht überstiegen – hat."
Der französische Wirtschaftsprofessor Thomas Piketty beschreibt in seinem Weltbestseller "Das Kapital im 21. Jahrhundert" die Entwicklung der Einkommensungleichheit in den Vereinigten Staaten sei seit den 70er-Jahren – Zitat: – wie "nie zuvor explodiert": Die oberen zehn Prozent der Einkommenspyramide haben sich zulasten der unteren Schichten rund 15 Prozent des Einkommens angeeignet.
Der Mindestlohn betrug laut Piketty 1968 inflationsbereinigt 10,10 Dollar, sank in den 80er-Jahren auf 3,35 Dollar um Anfang 2013 bei gut 7 Dollar zu liegen. Das waren knapp 6 Euro.
Während die Einkommensungleichheit in den USA seit den 70er-Jahren sehr stark zunimmt, werden die Vereinigten Staaten das Vorzeigeland des Diversity Managements, das die Vielfalt der Belegschaften steigert. Verglichen mit Deutschland förderten im Jahr 2007 laut Bertelsmann Stiftung gut doppelt so viele amerikanische Großunternehmen die kulturelle Vielfalt der Beschäftigten.
Amerikanische Großkonzerne, die auch Standorte in Deutschland haben, importierten den Vielfaltsgedanken in die Bundesrepublik …
… heißt es in einer Publikation der "Charta der Vielfalt" und es stellt sich die Frage ob mit dem Import des amerikanischen Vielfaltsmanagements auch die größere Einkommensungleichheit und schwächere Stellung der Gewerkschaften importiert wird – zugunsten von gerechter verteilten individuellen Aufstiegsmöglichkeiten?
Dorothee Spannagel vom WSI, dem wirtschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Gewerkschaften, sieht zumindest die Tendenz der wachsenden Ungleichheit in Deutschland:
"Also, wir hatten noch bis Mitte, Ende der 90er-Jahre hinein, ein moderates Wachstum der Einkommensungleichheit in Deutschland. Da war das auch im europäischen Vergleich auf der Seite der etwas gleicheren Gesellschaften. Und wir haben ab Ende der 90er-Jahre einen ganz, ganz starken Anstieg der Einkommensungleichheit in Deutschland, der auch tatsächlich in diesen Jahren so stark ausfällt wie in keinem anderen europäischen Land. Wir haben nach 2005 in der bis 2010 die Einkommensungleichheit stagniert, sie nimmt nicht zu, sie nimmt aber auch nicht deutlich ab. In den letzten Jahren ab 2010 steigt die Einkommensungleichheit wieder."
Gleichzeitig schrumpft auch die Einkommensmobilität, die Chance beruflich und finanziell aufzusteigen.
"Die Möglichkeit im Verlauf des eigenen Lebens Einkommensmobilität zu verwirklichen, also Einkommensaufstiege, werden tendenziell immer seltener, wir haben da seit den 90er-Jahren eine starke Verfestigung, die kurz zusammengefasst darauf hinausläuft: Wer einmal arm ist, arm bleibt. Während gleichzeitig in der unteren Mittelschicht auch das Risiko steigt, nach unten abzusteigen. Und das ist natürlich für Menschen die an der Spitze der Einkommenspyramide stehen schön, für jemand der unten ist und einfach nicht rauskommt ist das desaströs."
Diese Einschätzung findet sich auch in einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft aus dem April 2013.
Mehr Aufstiegschancen zwischen Schichten wünschenswert
Die Bundesrepublik Deutschland folgt somit Trends aus den Vereinigten Staaten. Während die Abstände zwischen den Gesellschaftsschichten zunehmen, steigen Chancen auf individuelle Karrieren, die eben auch das Diversity Management ermöglicht. Die Unternehmensberatung Ernst und Young hat zurzeit den Vorstands-Vorsitz der "Charta der Vielfalt". Eva Voß, Diversity Managerin bei Ernst und Young, glaubt, dass die USA für Deutschland auch ein Vorbild sein können:
"Ich glaube nicht, dass wir von einer ähnlichen Ausgangsbasis sprechen können, dieses Typische vom Tellerwäscher zum Millionär, jeder unabhängig vom Alter, der Herkunft, des Geschlechts. Ich glaube, hier ist es auch etwas stärker vorprogrammiert, das sagen auch Studien, das Akademikerkinder eher so eine Laufbahn einschlagen, als Kinder, deren Eltern Arbeiter sind. Das macht es schwer, diese Vielfalt, die wir in unserer Gesellschaft haben, zu heben. Das ist etwas, was uns von den USA unterscheidet: Wenn man da möchte und genug Unterstützung in Anspruch nimmt, dann kann man auch sehr weit kommen. Es ist unabhängig, von dem was uns in den Geburtspass geschrieben ist. Das würde ich mir auch für hier wünschen."
Die "Charta der Vielfalt" wirkt im Rahmen einer gesellschaftlichen Umwälzung: Der sogenannte "rheinische Kapitalismus" mit sozialer Marktwirtschaft und mehr Aufstiegschancen zwischen den Schichten verändert sich tendenziell in die Richtung des US-amerikanischen Modells, mit wachsenden Unterschieden zwischen den Gesellschaftsschichten – aber mehr individuellen Karrierechancen für besonders leistungsfähige und –willige Beschäftige – egal welcher Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft oder sexueller Orientierung
Veranstaltung Reederei Riedel: "Bevor wir ins Thema einsteigen, freue ich mich sehr, dass der Gastgeber unseres heutigen Tages, von der Reederei Riedel, Herr Lutz Freise uns begrüßen wird! Herr Freise kommen sie zu uns auf die Kapitänsbrücke …"
Im Terminkalender der Charta der Vielfalt findet sich auch die Veranstaltung "Verstand plus Herz". Berliner Unternehmen erfahren hier, wie sie asylsuchende und eingewanderte Menschen beschäftigen können. Gastgeber ist Lutz Freise von der Reederei Riedel, die mit 16 Fahrgast-Schiffen die Hauptstadt erkundet.
"Wir haben zehn Prozent an Mitarbeitern aus dem europäischen Ausland, wir arbeiten daran, dass dieser Prozentsatz wächst, wir haben beispielsweise den ersten und jüngsten türkischen Schiffsführer qualifiziert, der mittlerweile fast zehn Jahre bei uns im Hause tätig ist."
"Ich bereite das Schiff vor fürs nächste Jahr, schleif es ab, das es schön aus sieht ... Ja, ich bin der Imdat, arbeite bei der Reederei Riedel, und mir macht‘s Spaß ..."
Mit 23 Jahren war Imdat der erste türkische Schiffsführer in Berlin, für ihn war das zunächst nichts Besonderes. Aber für seine Kollegen schon.
"Und da hab ich hier angefangen, als Toilettenputze, kann man wirklich sagen. Und dann habe ich mich hochgearbeitet, circa fünf Jahre gebraucht zum Schiffsführer. Diese Schiffsführer waren wirklich in der Mehrheit deutschstämmige Leute, viele auch vom Osten. Für die war ich am Anfang: Der bleibt eh nicht lange. Am Anfang war es schwer, muss ich ehrlich sagen, ganz schwer, erstmal diesen Respekt zu erlangen. Zu zeigen, ich mach meine Arbeit, ich tu etwas mehr als ich muss. Und irgendwann waren die Leute auch stolz auf mich, dass ich es gepackt habe.
Wenn man halt in Deutschland lebt, dann muss man ein bisschen auch die Sprache lernen, wenn man Deutsch geredet hat mit Kollegen, mit irgendwelchen Kunden, die haben einen angekuckt, so ein gebrochenes Deutsch, das gefällt nicht jedem, wenn man in irgendeinem Beruf anfangen möchte. Man sollte fließende Deutschkenntnisse haben. Dadurch schafft man sich mehr Freunde, auch unter den Kollegen.
Ich habe ja einen Spitznamen in der Reederei: Paule. Weil damals mein erster Schiffsführer sich mein Namen nicht merken konnte, hat er mich Paule getauft. Aber es ist normal in der Schifffahrt, hier gibt es ganz ganz viele kuriose Spitznamen: Häschen, Brain ist ziemlich lustig."