Bollwerk gegen den Kapitalismus
Vor zehn Jahren übergab Fidel Castro auf Kuba den Stab an seinen Bruder Raul. Der fiel bereits vorher und auch seither als Pragmatiker auf. Dennoch wolle Kuba kein zweites China werden, sagt der ehemalige Botschafter Deutschlands in Kuba, Bernd Wulffen.
Am 31. Juli 2006 verlas der Privatsekretär von Fidel Castro im kubanischen Fernsehen einen Brief des Maximo Lider, in dem dieser mitteilte, die Amtsgeschäfte vorläufig an seinen Bruder zu übergeben. Schon einen Tag später, genau vor 10 Jahren, wurde Raul Castro dann offiziell sein Nachfolger. Seit einer Dekade regiert Raul nun den Inselstaat – Zeit, Bilanz zu ziehen.
Der ehemalige Botschafter Deutschlands in Kuba, Bernd Wulffen, beschrieb Raul Castro im Deutschlandradio Kultur als "kleinen Bruder", der immer im Schatten von Fidel gestanden habe – es aber auch schaffte, sich zu behaupten. Raul sei "ein Mann mit gewissen Qualitäten", ein Pragmatiker, der zwar nicht so charismatisch wie Fidel sei, aber dennoch die Interessen der Kubaner im Blick hat. "Gebt den Menschen zu essen", sei sein Motto gewesen.
Kuba will laut Wulffen – trotz der zuletzt vollzogenen Annäherung an die USA und die EU – kein zweites China werden. "Sie wollen keinen Kapitalismus in ihrem Land", sagte der ehemalige deutsche Botschafter. Dafür bringe das Land viele Opfer. Bereits in zwei Jahren will Raul Castro zurücktreten und die Macht übergeben. Wer wird dann herrschen? Wahrscheinlich eine Gruppe von Militärs, meint Wulffen. Als neue Führungsfigur böte sich derzeit der älteste Sohn von Raul Castro an – die Insel würde so in der Hand der Castro-Familie bleiben.
Das Gespräch im Wortlaut:
Dieter Kassel: Als Raúl Castro vor genau zehn Jahren zum Nachfolger seines Bruders Fidel wurde, ich erinnere mich noch daran, da gab es weltweit zwei sehr unterschiedliche Erwartungen: Die einen sagten, es würde sich vermutlich gar nichts ändern, es sei nur der kleine Bruder und Fidel würde ohnehin im Hintergrund noch irgendwie alles entscheiden. Offiziell war er auch fast anderthalb Jahre lang der vorübergehende Nachfolger.
Die anderen aber sagten schon damals: Nein, nach fast 50 Jahren Fidel-Regierung sei das jetzt doch möglicherweise eine Zeitenwende und vieles würde sich verändern.
Im Prinzip haben Letztere natürlich recht behalten, es ist eine Menge passiert in den zehn Jahren, nicht zuletzt in den letzten Jahren die Annäherung an die USA, aber wie viel davon hat wirklich mit Raúl Castro zu tun, was hat er wirklich tatsächlich anders gemacht als sein Bruder und Vorgänger?
Darüber möchten wir jetzt mit Bernd Wulffen reden, er war von 2001 bis 2005 der Botschafter der Bundesrepublik in Kuba, hat über diese Zeit ein Buch geschrieben, ist aber vor allem nicht zuletzt auch Autor des Buches "Kuba im Umbruch. Von Fidel zu Raúl Castro". Schönen guten Morgen, Herr Wulffen!
Bernd Wulffen: Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Hat denn Raúl Castro tatsächlich von Anfang an schon ganz anders regiert als sein Bruder?
Raul stand immer im Schatten des großen Fidel
Wulffen: Ja, da gab es auch schon eine Entwicklung in diese Richtung. Ich möchte zwei Stichworte nennen, erstens mal die Betriebe der Militärs. Er ist ja seit 1959 Verteidigungsminister, hat also militärische Betriebe vor allen Dingen im "Periodo especial", also in einer Zeit nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, wo es Kuba überhaupt nicht gut ging, hat er diese Betriebe gefördert und dadurch eben auch sehr viele Arbeitsplätze geschaffen, aber auch Wirtschaftskraft generiert.
Und hinzu kamen noch die sogenannten Bauernmärkte. Für ihn war es wichtig, dass die Menschen zu essen haben, dass niemand verhungert. Und über die Bauernmärkte sollten eben die Menschen preiswert zu qualitätsmäßig guten Waren kommen.
Kassel: Ist es ihm denn damit auch schnell gelungen, bei der Bevölkerung wirklich beliebt zu werden, oder haben die ihn lange tatsächlich nur als den kleinen Bruder des großen Leader gesehen?
Wulffen: Also, Raúl Castro hat immer ein Problem gehabt, war eben immer der kleine Bruder, der im Schatten des anderen stand, schon in der Zeit des Krieges in der Sierra Maestra musste er sich behaupten. Und er hat sich auch behauptet, und zwar dadurch, dass er die zweite Front damals eröffnet hat in der Sierra Cristal, also im Norden von Kuba, und auch gezeigt hat, dass er also verwalten kann, dass er organisieren kann.
Und das hat sich dann doch herumgesprochen, dass das also ein Mann ist, der gewisse Qualitäten hat. Wobei er eben nicht so charismatisch aufgetreten ist wie sein Bruder Fidel, das liegt ihm nicht. Also, dieses Aus-sich-Herausgehen und das freundliche Zugehen auf Menschen, das ja eine Stärke von Fidel Castro ist, das ist bei ihm weniger entwickelt. Er ist eher trocken und ein bisschen hölzern manchmal.
Kassel: Vielleicht war das ein Freudscher Versprecher gerade bei Ihnen, denn vielleicht kann man tatsächlich sagen: Er ist nicht charismatisch, aber pragmatisch schon. Also, hat er von Anfang an quasi gesagt, wenn ich das so flapsig formulieren darf: Kommunismus hin oder her, wir müssen jetzt an einigen Schrauben drehen, damit es den Menschen wieder besser geht.
Gebt den Menschen zu essen!
Wulffen: So ist es. Gebt den Menschen zu essen, das ist wichtig, dass die Menschen auch zufrieden sind. Bei den niedrigen Löhnen übrigens, die wir in Kuba haben, die sind immer noch sehr niedrig und das zwingt eben sehr viele Menschen auch dazu, immer noch die Flucht zu ergreifen und ein besseres, wirtschaftlich besseres Leben irgendwo anders zu suchen.
Kassel: Nun höre ich aber auch immer wieder aus Kuba, auch noch in letzter Zeit, politisch habe sich aber relativ wenig verändert, also was Fragen wie Meinungsfreiheit, Demokratie gar angeht. Da habe ich natürlich die Idee: Geht das langsam so in Richtung chinesisches Modell? Ich meine, die Chinesen und eigentlich genauso auch die Vietnamesen, haben uns ja bewiesen: Kapitalismus und Kommunismus sind vereinbar. Ist das die Richtung, in die Kuba jetzt auch geht?
Wulffen: Ich glaube nicht. Ich glaube nicht, dass Kuba das chinesische Modell sucht. Wir haben ja öfters darüber mit den Kubanern diskutiert, sie wollen keinen Kapitalismus in ihrem Land haben. Also, sie haben die Befürchtung, dass – so wie das in China zum Teil der Fall ist – eben dann wieder Kapitalisten entstehen, Korruption entsteht im großen Stil, und das möchten sie nicht. Und bringen auch dafür viele Opfer. Nur meine ich, dass das kubanische Modell eigentlich im Grunde gescheitert ist. Es hat also nicht das gebracht, was sich diejenigen, die das ausgedacht haben, vorgestellt haben.
Kassel: International werden vermutlich viele als größten Verdienst von Raúl Castro die Wiederannäherung an die USA sehen. Symbolisiert natürlich durch die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen, aber es hängt ja noch mehr dran. Aber wenn man das jetzt mal beobachtet, die Entwicklungen der letzten wenigen Jahre ja nur: Ist denn das eher die Schuld im positiven Sinne von Raúl Castro oder eher von Barack Obama gewesen?
Wulffen: Also, ich erinnere mich noch an die große Rede, die Raúl Castro 2008, als er dann endgültig die Macht übernahm – er war ja gewählt worden dann vom Parlament in Havanna zum neuen Präsidenten – dass er damals schon sagte: Und ich möchte gerne eine Annäherung, ein Gespräch mit den USA auf gleicher Augenhöhe. Und das hat er dann noch zweimal wiederholt. Also, ich denke schon, dass das auch sehr in seinem eigenen Interesse war und dass das eben von Obama aufgegriffen worden ist.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es parallel dazu ja auch eine Annäherung zur Europäischen Union gab. Es wird immer nur von den USA gesprochen und ich bin der Meinung, dass es ganz wichtig ist, die Europäische Union zu erwähnen, die mehrere Anläufe vorher gemacht hatte, das geht schon zurück bis ins Jahr 1998/99, mit Kuba zu einer Normalisierung zu kommen.
Da gab es also verschiedene Reisen, die da gemacht worden sind, Begegnungen. Das hat aber leider nicht geklappt. Aber jetzt, 2014, hat diese Annäherung Früchte getragen und führte dann auch zu einer Kooperation, zu einem Abkommen.
Was passiert nach Raul Castro?
Kassel: Raúl Castro hat ja angekündigt wiederholte Male, dass er 2018 zurücktreten will. Also, er will jetzt nicht ähnlich wie sein Bruder – das geht ja auch biologisch nicht – 50 Jahre regieren. Nehmen wir mal an, er macht diese Ankündigung wahr, ob nun genau 2018 oder nicht, was glauben Sie, was passiert dann in Kuba?
Wulffen: Ja, es gibt ja einen Stellvertreter von Raúl Castro, das ist Díaz-Canel, der ist also erster stellvertretender Staatspräsident. Die Frage ist, ob das dann in einer Art Automatismus so sein wird. Da habe ich meine Zweifel.
Ich glaube eher, dass in Kuba eine Art Militärdiktatur entstehen wird, also eine Gruppe von Militärs, die ja auch jetzt schon weitgehend das Sagen haben, dann eben die Macht übernimmt, aber nicht durch einen Putsch, wie das in Lateinamerika oft üblich ist, sondern eben organisch sich entwickelt aus dem Regime heraus. Also, das könnte ich mir vorstellen.
Und da wird immer wieder der Name des ältesten Sohnes von Raúl Castro genannt, Alejandro, der eine wichtige Funktion hat, dem Betriebe unterstehen und der offenbar ein guter Manager ist.
Kassel: Man muss sich offenbar in Kuba nicht an neue Nachnamen gewöhnen in Zukunft, wenn es denn so kommt. Ich verspreche Ihnen jetzt schon, 2018, wenn Raúl wirklich dann aufhört, spätestens dann sprechen wir uns wieder!
Wulffen: Gerne!
Kassel: Danke schön, danke Ihnen, danke fürs Kommen! Bernd Wulffen war das, ehemaliger deutscher Botschafter in Kuba und unter anderem auch Autor des Buches "Kuba im Umbruch. Von Fidel zu Raúl Castro". Und dieser Wechsel von Fidel zu Raúl, der fand ja vor genau zehn Jahren statt, deshalb haben wir darüber jetzt gesprochen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.