Der Begründer der "Négritude"-Literatur
Aimé Césaire trat in Gedichten, Theaterstücken und Essays für die kulturelle Selbstbehauptung der Kolonisierten und "Unterdrückten der Erde" ein. Heute vor zehn Jahren starb der Begründer der "Négritude"-Literatur.
Schüler am renommierten Gymnasium Louis-le-Grand, 1938 erfolgreicher Absolvent der französischen Elitehochschule Ecole normale supérieure - Aimé Césaire hätte in Paris Karriere machen können. Wären da nicht Herkunft und Hautfarbe gewesen: 1913 geboren, kam er aus Martinique, einer armseligen Kolonie - und er war ein Schwarzer. Aber statt den Weg bedingungsloser Anpassung, der Assimilation an die Gepflogenheiten der Kolonialherren zu wählen, hatte er 1934 die Gruppe "L’Etudiant noir", "der schwarze Student" gegründet. Ihrem Kampf für die Wertschätzung einer eigenen Kultur schwarzer Menschen gab Césaire notgedrungen einen französischen Namen:
"Négritude – der Begriff ist nicht sehr glücklich gewählt, aber wir haben kein anderes Wort gefunden. Es geht um eine literarische Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Probleme der schwarzen Menschen zu artikulieren und einen Erkenntnisprozess über ihre tatsächlichen Lebensbedingungen auszulösen."
"Hexenmeister der französischen Sprache"
In seinen Gedichten malte Césaire, der 1938 als Gymnasiallehrer auf die Antillen zurückgekehrt war, die Qualen und Erniedrigungen der Sklaverei aus. Er konfrontierte die Schreckensbilder des Kolonialismus mit Glanzlichtern afrikanischer Geschichte und Kultur. Und zwar mit einer poetischen Kraft, die dem Kreolen den Titel "Hexenmeister der französischen Sprache" eintrug. Aber als Schriftsteller wahrgenommen wurde Césaire erst, nachdem André Breton, der führende Kopf der Surrealisten, 1941 auf Martinique Station gemacht hatte:
"Breton hat das berühmte lange Gedicht von Césaire – cahiers d’un retour au pays natal – entdeckt und als eine der großen dichterischen Leistungen überhaupt gepriesen."
Der Afrikahistoriker Andreas Eckert zeichnet die Geistesgeschichte der "Négritude" nach. In Pariser Intellektuellenzirkeln feierte Jean-Paul Sartre 1948 mit seinem Essay "Der schwarze Orpheus" den militanten "anti-rassistischen Rassismus". Und löste bei Césaire im fernen Fort-de France heftigen Widerspruch aus:
"Sartre hat die Négritude als Rassismus, wenn auch als antirassistischen Rassismus charakterisiert. Aber zu den zutiefst afrikanischen Traditionen zählt der Humanismus. Allein deshalb wäre jede Form des Rassismus Verrat an der Négritude."
Abgeordneter, aber nie Berufspolitiker
Humanismus als eine nicht allein europäische Geisteshaltung, das zeichnete die Vordenker der "Négritude" aus – und trieb sie zum politischen Engagement. Neben Césaire setzte sich Leopold Senghor für die Befreiung von der Kolonialherrschaft ein. Nach 1945 waren die ehemaligen Studenten wieder in Paris, diesmal im Parlament.
"Beide, Césaire und Senghor, waren Vertreter in der französischen Nationalversammlung, als nach dem Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal auch die Partizipation aus den Kolonien möglich war. Während Senghor bei den Sozialisten beheimatet war, ist Césaire lange Zeit auf dem Ticket der Kommunistischen Partei gefahren."
Bis 1993 blieb Césaire Abgeordneter im französischen Parlament, doch er wurde nie zum bloßen Berufspolitiker.
Antikolonialistische Essays aus den Fünfzigerjahren erschienen in Deutschland 1968 - als Schlüsseltexte der Studentenbewegung. Aimé Césaire brachte angesichts von insgesamt 150 Millionen Schwarzen, die Opfer der Sklaverei wurden, Kolonialismus und den Völkermord des 20. Jahrhunderts in einen Zusammenhang.
"Eine polemische, zugespitzte, aber durchaus sehr interessante These: die Verknüpfung von Kolonialismus und Genozid. Das ist ja eine Debatte, die es auch in den letzten Jahren in Deutschland gibt, wenn wir jetzt an den Herero-Genozid denken. Da hat dieser Text, da hat Césaire eine neue Aktualität bekommen."
Mit Erfolg hatte der Politiker und Poet, Denker und Dramatiker, der am 17. April 2008 im Alter von 94 Jahren auf Martinique starb, seine Stimme erhoben. Nicht für sich, sondern stellvertretend für seine Vorfahren und seine Heimat, für Afrika und die Karibik.