Zeigt her Eure Zähne!
Wer heute nach Büchern sucht, in denen der Vampir eine tragende Rolle spielt, dem wird schnell auffallen, dass darin zumeist Liebesgeschichten verhandelt werden. Vampirismus hat heute viele Seiten und die Fangemeinde zieht sich durch alle Alterstufen und Bildungsschichten.
(Zitat aus dem Dracula-Hörspiel vom WDR nach Bram Stoker in einer Übersetzung von Hubert von Bechtolsheim)
Junger Mann aus der Vampirszene: "Ein Stück Land in Transsilvanien kann man offiziell kaufen für einige Euro."
Junge Frau aus der Vampirszene: "Also Nichts, wo man irgendwie ein Haus bauen könnte".
Junger Mann: "Ein kleines Stück Land war ein Geschenk an meine Freundin."
Junge Frau: "Man darf dann offiziell den Titel verwenden."
Junger Mann: "Zu zeigen, dass ich sie liebe, schenke ich ihr einen Titel."
Junge Frau: "Das ist dann Bojerita de la Transsilvania."
Junger Mann: "Bojar de la Transsilvania, das ist ein transsilvanischer Landadel und heißt eigentlich nur übersetzt: Bojar: besitzt Land."
Junger Mann: "Das Thema Vampire gehört zu meinem Leben, das bin ich, das gehört dazu. Ich kriege einen schwärmerischen Gesichtsausdruck, wenn ich einen Blutfleck irgendwo sehe, das erzieht man sich selbst an. Man hat sich dann früher eingeritzt, hat das ein bisschen aufgefangen, das hat man halt getrunken. Es ist nicht wirklich lecker, nein. Früher ja, aber nein, nicht zu empfehlen."
Junge Frau: "Es ist für mich einfach eine andere Möglichkeit, das Leben zu betrachten, dass man sich einfach sagt, OK, es existieren noch Sachen zwischen Himmel und Erde, die man nicht einfach definieren und klassifizieren kann, aber ich glaube daran."
Junger Mann: "Das sieht man an der Büchersammlung, wenn ich Deko kaufe für einen Kuchen, zum Beispiel, dann gucke ich, gibt es irgendwo kleine Fledermäuschen oder lässt man sich mal Lebensmittelfarbe in Schwarz mitbringen. Das ist eine Vollzeitbeschäftigung, das ist mein Leben."
Junge Frau: "Und es findet sich eben in allem wieder, womit man sich beschäftigt, sei es jetzt Musik oder Literatur oder wenn man sich eben zu Rollenspielen trifft oder wenn man sich mit Freunden trifft und man sagt, ach leg’ doch mal die Vampir-CD auf, weil es einfach von den Texten her teilweise Gefühle widerspiegelt oder Interessen eben."
"Mein Name ist Julia Bertschik. Ich bin Privatdozentin am Institut für deutsche Philologie der Freien Universität Berlin und habe mich auch mit diesem Phänomen des Vampirismus beschäftigt."
"Ich bin Mark Benecke, Kriminalbiologe und außerdem auch noch der Deutschlandvorsitzende der Transsilvanian Society of Dracula."
Hans Meurer (Autor und Historiker):"Ich erlebe immer wieder, wenn es heißt, ja, was machst denn du, dann sage ich, ich beschäftige mich mit diesen Vampiren. Dann kommt immer die erste Frage: Glaubst du da dran? Und wenn ich dann sage, nein, dann höre ich doch immer, dann kann man ja mit dem Menschen weiterreden."
Bertschik: "Ich glaube, dass diese Figur des Vampirs faszinierend ist, wie er verschiedene, ja, menschliche Grundbedürfnisse, kann man sagen, abdeckt."
Benecke: "In einem Land, in einem EU-Land wohlgemerkt, ist so ein Fall mal neulich passiert - da bekam ich eine SMS, dass ich da sofort mir das mal angucken soll – dass die Leute angefangen haben, die Leiche auszugraben aus der Erde und haben erzählt, wie sie das Herz da raus genommen haben. Den Kopf haben sie dran gelassen, den haben sie nicht abgehackt. Und interessant dabei war, dass da ein Vampirzeichen zu sehen war, was gar kein ursprüngliches Vampirzeichen ist, nämlich dem läuft Blut aus dem Mund, das sieht man auch deutlich. Das greift ein Hollywoodvampirzeichen auf, dass der Blut gesoffen haben soll. Das ist also sehr lustig eigentlich, wie sie das dann da auf einmal vermischt."
Meurer: "Wir sind alle auch in irgendeiner Form abergläubisch, haben also Rest all dieser Dinge in uns, und die werden geweckt durch solche Figuren."
Bertschik: "Zunächst mal geht es ja vor allem um Blut. Das heißt, Blut ist ja sozusagen der Lebenssaft. Energie absaugen, Energie bekommen, aber eben auch um solche Dinge wie eine Umkehrung von so einem christlichen Glauben des Abendmahls, was ja auch mit Blut zu tun hat, mit so einer Übertragung von Energie, von Heiligkeit auch und so eine Teilnahme an so einer spezifischen Gemeinschaft. Ich denke, damit haben auch die Blutspiele dieser Gothik-Szene zu tun: Eine Aufnahme und Umkehrung dieses christlichen Abendmahlsgedanken. Dann diese Fragen nach Unsterblichkeit, was passiert nach dem Tod, dann vor allem dieser große Bereich der Sexualität, der sehr stark gepaart ist mit Aggressivität, mit Tod."
Meurer: "Einfach ausgedrückt, der Vampir ist eine gelungen Projektionsfigur unserer Urängste vor Sexualität und Tod. Der erste Vampir nach der christlichen Überlieferung war selbstverständlich eine Frau, diejenige, die den Mann verführt, sich wider der Natur hinzugeben, die erste Frau Adams, die die Dämonen in die Welt gebracht hat, damit auch die Vampire. Die katholischen Vampire heißen Incubus und Socubus: Der Untenliegende und der Obenliegende."
Bertschik: "Die These ist ja, dass der Vampirglaube zu Beginn des 18. Jahrhunderts den Hexenglauben abgelöst habe, dass im Zeitalter der Aufklärung und der Rationalität diese Figur des Vampirs sehr viel faszinierender war. Zunächst mal in medizinischen Diskursen und Auseinandersetzungen man sich gefragt hat, was passiert mit dem Körper nach dem Tod? Sich das aber eben nicht erklären konnte."
Benecke: "Dieses ganze Mysterium, wie überhaupt Leben funktioniert, was Tod ist, war sehr schwer beschreibbar wissenschaftlich. Damals glaubte man, dass Lebende bereits den bösen Blick haben können, wenn die später ein Strigoi, also ein Nachzehrer, was wir Vampir nennen würden, später werden. Und da sieht man auch schon die Verwandtschaft zwischen Hexern - weil Strigoi heißt zum Beispiel einfach "Hexe", da fließt alles zusammen, der Böse Blick, das Energierauben, was später dann auch Vampire machen, das spätere Untodsein, was sich vorher schon dadurch ankündigt, dass der schon zu Lebzeiten den bösen Blick hat."
Bertschik: "Dieses Motiv des Bisses und der Zähne geht durchaus schon auf diese Grabfunde zurück, verbindet sich mit einem ähnlichen Motiv dieses sogenannten Nachzehrers, der eben an Leichentüchern knabbert und damit Menschen zu sich ins Grab holt."
Benecke:"Es gibt Erscheinungen, die auch als Vampirzeichen gelten, wenn man die Leiche hoch hebt und die noch frisch ist, dann stöhnt die. Dann denkt man: Wer stöhnt, der muss ja wohl leben und leidet an irgendwas. Und mit den Fingernägeln und mit den Haaren, die scheinbar wachsen, das sind alles Zeichen gewesen, die die Leute kannten. Dann dachten die sich, na ja, wer weiß? Vielleicht ist der ja doch nicht so ganz tot."
(Zitate Hörspiel. Dracula im Wechsel mit Experten)
Bertschik: "Diese Figur des Vampirs ermöglicht, Irrationales mit rationalem Denken Anfang des 18. Jahrhunderts zu kombinieren."
Benecke: "Das Problem entstand erst dann, als die Leute angefangen haben, die Leute wirklich auszugraben aus der Erde. Und der Grund dafür war, dass die lebende Familie krank wurde. Also die lebende Familie wurde jetzt auf einmal geschwächt. Dass die Leute gedacht haben, jetzt haben wir Beweise dafür, das sind Untote, müssen wir den Kopf abhacken und das Herz rausnehmen.
1732 ist ein Buch erschienen von Calmé, also einem sehr bekannten Mönch. Der hat gesagt, Vamipre gibt’s nicht, Gott würde das nicht zulassen, Ende der Diskussion.
Die Leute haben das aber trotzdem geglaubt, weil, wenn sie Leichen ausgegraben haben von Verwandten, haben sie gesehen, dass die seltsame Erscheinungen hatten: Scheinbar lief denen Blut aus dem Mund, scheinbar sind die fett geworden, obwohl sie vorher schlank waren, scheinbar sind die Hände nicht mehr gefaltet zum Gebet gewesen. Das wurde dann zur gleichen Zeit auch untersucht von der K. und K. Regierung und da sind auch Leichen ausgegraben worden.
Die Informationen sind an den Hofarzt Glase in Wien weitergeleitet worden vom Pflückinger. Das war damals der Feldscherer, der konnte alles, Zähne ausreißen, Beine absägen, alles. Und jetzt war es natürlich offiziell. Jetzt hat also der Hofarzt Glaser, der ein sehr einflussreicher Arzt war und auch noch der Feldscherer, der Pflückinger, jetzt haben die alle gesagt, das gibt’s, scheinbar. Haben sie zwar gar nicht, aber so wurde das offiziell."
Bertschik: "Ich denke jetzt mal in Osteuropa, wo das herkommt, Serbien auch, da ist das wirklich so etwas, was so tradiert wird, was sich erzählt wird von Generation zu Generation, so, wie man sich auch Märchen erzählt, als diesen Aberglauben, was es ja sogar bis heute in so abgelegenen Dörfern in Rumänien oder Serbien geben soll – das dass natürlich eine große Rolle spielt."
Benecke: "Es ist auf jeden Fall richtig, dass das Bemühen um Aufklärung dazu führte, dass der Inhalt dessen, was man aufklären möchte, dass der dadurch verbreitet wird. Die örtliche Bevölkerung hatte Angst vor den Vampiren, hat es dem örtlichen militärischen Leiter gesagt, der hat es weitergeleitet, zack, war es im System. Und dann haben die Leute damals natürlich auch gesagt, wenn die sich alle damit beschäftigen, die Behörden, dann muss es ja wohl was Realistisches sein."
(Zitate Hörspiel. Dracula)
Junge Frau: "Ich habe mich sowohl mit literarischen Themen beschäftigt. Also zum Beispiel, Goethe hat ja das Vampirthema aufgegriffen, dann verschiedene andere Autoren aus der Zeit: Dann habe ich mich mit Bram Stoker beschäftigt, mit irischer Mythologie und dann eben auch andere Sachen, so Übernatürliches."
Meurer: "Ein Mythos wandelt sich immer mit den soziologischen und psychologischen Gegebenheiten der jeweiligen Gesellschaft."
Bertschik: "Ja, zunächst mal diese typische Figur der Romantik, dieser Aristokrat, der uns da begegnet, ist ein Sprung von diesen medizinischen Funden. Um Neunzehhundert wechselt das zunächst mal wieder das Geschlecht, da spielen dann auch wieder Frauen eine große Rolle als Vampirinnen."
Meurer: "Der Vampir hat es ja geschafft, mitzuwachsen. Das liegt daran, dass er sehr nah am Menschen dran ist, seine Attribute sehr menschlich sind und dadurch auch diese Verformung mitmachen kann."
Bertschik:" Das allererste Beispiel, wo das Wort Vampir und auch ganz angedeutet so eine Vampirfigur vorkommt, ist eine Ballade: "Mein liebes Mädchen glaube", das ist von Mitte des 18. Jahrhunderts. Also das ist noch vor Goethes Ballade. Diese Goethe-Ballade: "Die Braut von Korinth", Ende des 18. Jahrhunderts, die dieses Motiv der Totenbraut aufnimmt, was es auch vorher schon gegeben hat, jetzt aber ins Vampirische und damit Dämonische und Unheimlich-Aggressive umdeutet.
Sehr viel bekannter ist diese Geschichte "The Vampire", von zunächst ursprünglich Lord Byron zugeschrieben, aber eigentlich von seinem Leibarzt, William Pollidori, verfasst. Das ist zum ersten Mal dann diese Figur des männlichen Vampirs, der sich ganz wesentlich von diesen Grabfunden in Serbien unterscheidet, weil er ist jetzt der attraktive, adlige Mann, der sowohl auf Männer wie auch auf Frauen eine sexuelle Attraktivität ausübt und dadurch auch seine Opfer akquirieren kann."
Benecke: "Da bekam das diesen Lebenszerstörenden Charakter, der aber gleichzeitig etwas gibt, nämlich dass man dadurch dann auch unsterblich werden kann. Oder aber, wenn der Vampir das nicht möchte und eben den letzten Tropfen Blut aussaugt, dann stirbt man, aber wenn er das nicht macht, dann wird man unsterblich dadurch. Da sieht man, das bezieht sich sehr stark auf Liebe und Partnerschaft. Mit den Toten hat das auf der Interpretationsebene nicht mehr so viel zu tun wie vorher, dass man eben was tun soll. Zum Beispiel: Kopf abhacken, Pfahl durchs Herz gab es natürlich auch, wenn man das Herz nicht rausnehmen konnte – das ist ja sehr viel Arbeit, das Herz rauszunehmen – konnte man auch einen Pfahl durchtreiben, teilweise auch Nägel, geht auch."
Bertschik: "So dass man eigentlich sagen kann, dass diese Figur des Vampirs – also diese Art von Männertypus geht ja dann auch in Bram Stokers "Dracula" ein – eigentlich ein Erzeugnis der Literatur ist."
Meurer: "Ende des 19. Jahrhunderts hat ja ein Mann alle Vampire sozusagen vom Tisch gewischt, das war Graf Dracula, weil Dracula alle anderen Figuren besiegt hat."
Junger Mann: "Ich fand das toll, dass da einer ist, der einfach so ist wie er ist, losgelöst von seinen menschlichen Grenzen, sich sagen kann, OK, das mache ich, weil ich so bin. Das sind meine Bedürfnisse, das sind meine Leidenschaften, die will ich ausleben."
(Zitat Hörspiel. Dracula)
Benecke: "In der Viktorianischen Zeit, also mit Bram Stoker, ging das in den sexuellen Kontext rein, dass einem das sexuelle Energie raubt, aber die ist dann gut für immer, also durch das Öffnen der Grenzen, Hautgrenze in dem Fall, durch das Beißen, wird jetzt eine Grenze geöffnet, die normalerweise nicht geöffnet ist, die Körpergrenze, symbolisch dafür die seelische Grenze sich dann öffnen wird – allumfassende Liebe…
(Zitat Hörspiel Dracula)
Meurer: "Wenn sie den Dracula-Roman richtig lesen, dann gibt es sehr interessante pornographische Stellen. Insbesondere wo Jonathan Harker mit den drei Vampirinnen umgeht. Das ist, wenn man richtig ließt, nichts anderes als Pornographie."
Bertschik: "Das Besondere und auch der Unterschied zu diesen Totenbräuten der Romantik, wenn sie da als Frauen, als weibliche Vampire vorkommen, verbindet sich das um Neunzehnhundert mit dieser für diese Zeit und für die Kunst und Literatur typischen Imagination der femme fatale, also der Männer verschlingenden Frau, die Frau, die den Mann sexuell aussaugt, die natürlich auch gut aussieht, häufig – da kommt dann auch wieder auch so ein bisschen dieser Hexenglaube hinein – rothaarig ist."
Meurer: "Die Sünde war immer schon verführerischer als die Keuschheit."
Bertschik: "Und vor dem Hintergrund dieses viktorianischen, prüden, tabubeladenen Zeitalters eine Möglichkeit gibt, überhaupt Sexualität zu thematisieren ohne diese direkt anzusprechen, kann man Situationen des Beischlafs anspielen, ohne dass man jetzt direkt darauf festgelegt werden würde."
Meurer: "Je erotischer, je verführerischer der Vampir oder die Vampirin ist, desto eher ist verständlich, dass man sich dieser Sache hingibt. Deswegen ist ja auch dieser Mantel des Vampirs so wichtig. Wenn er den Mantel ausbreitet, können wir all unsere bösen Gedanken, Sehnsüchte, Ängste und Wünsche da unterbringen. Deswegen funktioniert der Vampir ja auch im Film und auf der Bühne so gut, weil er nicht unbedingt darstellt, sondern weil er Phantasien freien Lauf lässt."
(Zitate Hsp. Dracula im Wechsel)
Bertschik: "Es ist sehr populär auch gerade in der Bildenden Kunst der Jahrhundertwende und ist, denke ich, eine Reaktion auf die seit Mitte des Jahrhunderts auftretenden Emanzipationsbestrebungen von Frauen auch. Und das möglicherweise auch wieder Ängste erzeugt hat, die sich dann wieder auf den Bereich des Sexuellen verlagert haben."
Meurer: "Je nachdem wie repressiv die Sexualmoral einer Gesellschaft, je erotischer das Vampirmotiv, je verstörter eine Gesellschaft in anderen Bereichen, desto mehr gibt der Vampir auf diese Dinge Antwort. Zum Beispiel, er wird brutaler, wenn die Gesellschaft brutaler wird.
Bertschik: "Der Vampir als politische Metapher, das findet auch schon relativ früh statt. Eines der frühesten Zeugnisse findet man bei Voltaire. Das wäre dann auch im 18. Jahrhundert, wo überhaupt diese Figur des Vampirs überhaupt auftaucht. Er meinte das im Sinne von wirtschaftlichen, im weitesten Sinne kapitalistischen Blutsaugern, die er damit brandmarken und kritisieren wollte und das ist ein Aspekt, der dann vor allem im metaphorischen Bereich dann auch von Karl Marx aufgenommen worden ist, also der kapitalistische Blutsauger. Das hat sich dann im Zuge des Nationalsozialismus in diskriminierender Weise auf Juden konzentriert, also der Stereotyp des jüdischen Blutsaugers.
Wobei man sagen muss, dass es im Nationalsozialismus ambivalent ist, weil die Nationalsozialisten ja selbst so eine Art von Blutfetischismus praktiziert haben durch ihre Spezifizierung und Abgrenzung auch von arischem Blut, von fremdem Blut, auch immer vor Ansteckungsgefahren usw. immer gewarnt haben, sich selber eigentlich in so einem politisch metaphorisierten Bereich von Vampirismus sich selber bewegt haben. Da gibt es quasi beide Facetten, sowohl diese Ablehnung in der Figur des Juden wie auch die Annahme von blutfetischistischen Dingen, die auch mit dem Vampir zu tun haben für sich selbst.
Junger Mann: "Als ich noch mehr weggegangen bin, hat man Vampirfans halt daran erkannt, dass sie mehr darauf geachtet haben, anders zu sein, kühler zu sein, distanzierter zu sein, arroganter zu wirken."
Junge Frau: "Ich würde eher sagen, dass diese Personen sich primär darüber definieren, über den Hang zum Übernatürlichen, dass man sich sagt, OK, ich akzeptiere, dass es neben den Menschen noch verschiedene andere Lebensformen geben kann, ich interessiere mich dafür, ich beschäftige mich mit Mythologie und Ähnlichem und deswegen finden die Leute auch einen Platz in unserer Szene."
Junger Mann: "Ich glaube, einige Vampirfans kann man an dem Ank erkennen. Das Ank ist die ägyptische Lebensschleife, so geformt wie Vampirflügel, Fledermausflügel. Dann kann man schon sagen, OK, ist eher jemand der auf Vampire stehen wird."
Junge Frau: "Man sieht es daran, dass Leute, die sich für Vampire interessieren, meistens elegant gekleidet sind oder eben schon in Richtung Vergangenes, in Richtung Renaissance oder Barock."
Junger Mann: "Gesichtfarbe bleich. Es gibt Zahnärzte, die machen richtige Kronen. Es gibt Kronen zum Aufsetzen, die man wieder rausnehmen kann."
Junge Frau: "Na, das geht dann schon mehr in die Richtung, ich will was sein, was ich nicht bin. Ich finde es schon fast lächerlich. Wenn man wirklich daran glaubt, dann könnte es ja sein, dass man selbst irgendwann ein Vampir werden würde, dann braucht man ja solche Requisiten nicht."
Junger Mann: "Ich will kein Vampir mit Prothese sein!"
Benecke: "In den neunzehnhundertsechziger, neunzehnhundertsiebziger Jahren war das eher so, dass das ganze Filmmotiv entweder so ein bisschen trashig durch diese Hammer-Horrorfilme wieder aufgegriffen wurde, hauptsächlich der Graf mit dem Cape, der die schönen Frauen verführt, teilweise auch lesbische Frauen, also Vampirinnen. Die Filme haben eigentlich eher so ein Stil gesetzt."
Bertschik: "Auch diese neuen Medien, die eine Rolle spielen in dieser Vampirjagd und auch so selbstbezügliche Szenen in Bezug auf das Kino, auf das Sehen von Vampiren. Beim Vampir kann man ja sagen, es ist ja so ein lichtscheues Schattenwesen und das liegt ganz nahe auch an diesem Medium Filmprojektion. Das finde ich auch eine spannende Möglichkeit neben der Literatur eben diese Vampirfilme, die, wie ich finde, wenn sie gut sind, das mit thematisieren."
Benecke: "Zum Beispiel, jetzt gerade ‚Bis zum Morgengrauen’, dass die Vampire auch beim Tag gehen können, damit man für Hollywood einen schönen Effekt hatte, wenn die Sonne scheint. Oder dass das auch Jugendliche sein können, denen man das von außen überhaupt nicht ansieht, außer dass die vielleicht ein bisschen blass sind – das ist jetzt im Moment extrem stilbildend."
Meurer: "Der Film ‚Twilight’ ist ein Reflex auf die Übersexualisierung der amerikanischen Gesellschaft, mit einer neuen Form des Vampirs, des romantischen Vampirs, derjenige, der ein Vampir ist und sich aus Liebe zu einem Mädchen dem Vampirsein entzieht. Das ist so der moderne Vampir."
Benecke:"Davor war das der Film ‚Interview mit einem Vampir’ und die anderen Romane von Ann Rice. Da fing das an, dass diese filmische Ausrichtung wandelte sich auf einmal in sogenannte Rollenspieler und real-life-Vampire um. Da wird das Motiv aufgegriffen, dass man sich einsam und allein fühlt, und in Wirklichkeit zu einer anderen Familie gehört, was viele Leute aus der Vampirszene auch so empfinden. Die sind einfach depressiv oder traurig oder so."
Junger Mann: "Es gibt Rollenspieler, die treffen sich dazu, ihre Vampirsachen zu leben. Man spielt dann halt seine Vampirrolle, man steigt im Allgemeinen als Mensch ein, erfährt dann, in welcher Blutlinie man aufgenommen wird und kann dann im Laufe seiner Jahre, die man da mitspielt, zu einem höherwertigen Vampir."
Meurer: "Die Leute verkleiden sich, die Leute leben diese Rolle für ein Wochenende, für eine Woche oder den Urlaub lang. Das wird von ganz normalen Veranstaltern angeboten und dann geht man dahin und guckt und dann kann man auch Kostüme leihen und dann kann man halt mitspielen."
Junge Frau: "Da kann man ab 16 teilnehmen. Die fahren dann auf Burgruinen und Ähnliches. Man kann ja nicht einfach so im Wald rumrennen und durch die Gegend schreien, weil das wird bestimmt einige Leute entweder stören oder denen Angst machen. Maximal werden es so um die 50 Leute sein, die treffen sich da, haben die passende Ausrüstung, meistens Plastikwaffen. Und dann wir ein Spielplan aufgestellt."
Junger Mann: "Man spielt Vampirjagden. Es ist einmal die gute Vereinigung verschiedener Vampir-Clans und eine sogenannte böse Vereinigung der Vampir-Clans und die spielen halt gegeneinander."
( Zitate Hsp. Drakula im Wechsel)
Junge Frau: "Und da sind es dann vor allem nicht nur Leute aus der Gothik-Szene, sondern zwischen 16 und 50, vielleicht sogar noch älter, über alle Gesellschaftsbereiche.
Junger Mann: "Ich glaube, im Internet, da trifft man sich am meisten. Es gibt einmal die Villa-Vampyria, das zeigt eigentlich nur, dass Menschen wie ich, die in die Gothik-Szene rein gehören, sich intensiv mit Vampiren beschäftigen, ein ganz normales Leben haben."
Junge Frau: "Nur dass sich in diesen Communities einfach Menschen treffen, die wissen, dass sie einen gemeinsamen Nenner haben. Zum Beispiel, die Leute, die man da kennenlernt, dann auch in Realität trifft und die in seinen Freundeskreis aufnimmt. Also ich würde sagen, dass das virtuelle Leben der Vampirbegeisterten nicht anders ist als das virtuelle Leben anderer Menschen."
Benecke: "In allen Jugendsubkulturen gibt es ja Aufsplitterung. Da muss man ganz genau aufpassen und immer sehr sehr aktuell gucken wie gerade die stilbildenden Elemente sind in der Jugendsubkultur. Vom ganz harmlosen 13jährigen Mädchen, was einfach so ein bisschen Romantik-Goth, also romantische Sachen anhimmelt, pubertäre Sachen anhimmelt bis zu Leuten, die angefangen haben Blut zu trinken, was dann in die Partysubkultur eingedrungen ist.
Dann sind die Leute rumgelaufen, früher noch mit Kanülen teilweise. Beißen geht nicht, man kann die Haut nicht durchbeißen. Das tut super weh und kriegt man eine tierische Wunde und ist total infektiös, aber mit Kanülen haben die das dann teilweise tatsächlich gemacht."
Junger Mann: "Die Schwarze Szene ist im Allgemeinen eigentlich eine bunte Szene. Es gibt Leute, die auf elektronische Musik stehen, dann gibt es Leute, die stehen eher auf rituelle Sachen, auf Mittelalter. Dann gibt es Leute, die eher nicht durch die Musik dabei sind, sondern ehre wegen den Sachen."
Benecke: "Man kann einfach nur das Leben gemeinsam gestalten, irgendwelche Projekte gemeinsam machen, zum Beispiel, Werwölfe bekämpfen oder man kann auch irgendwelche Abenteuer lösen, in Wirklichkeit, aber meistens ist es virtuell. Dann passiert halt irgendwas, man muss Aufgaben lösen, gegen Monster kämpfen."
Junger Mann: "Es gibt im Internet direkt: "Legancy of Kain". Die Spielidee ist schon, Vampir zu spielen und laut den Videos ist es ja auch ziemlich blutrünstig und düster gehalten, aber da kommt einfach nur, töte 10 davon, töte 20 davon, töte 30 davon, sammle 10 davon. Aber hin und wieder sollte in diesen ganzen Einsammel-Quest eine Geschichte dahinter stecken."
Benecke: "Die "Transsilvanian Society of Dracula”, die kommt aus dem heutigen Rumänien. Das war eigentlich ein Touristengag. Als der Kommunismus aufgehört hat, da haben ein paar Leute einen Job gesucht und haben dann angefangen, mit Touristen so Führungen zu machen. In Rumänien selber glaubt natürlich keiner an Vampire. Die gibt’s da überhaupt nicht.
Knoblauch und Kreuz wird durchaus benutzt um, sagen wir mal, dafür zu Sorgen, dass die Toten im Reich der Toten, oder wo auch immer die dann sind, dass die da ihre Ruhe haben. Aber das ist jetzt auch nichts anderes als ob man jemandem "Viel Glück" wünscht. Und das wurde jetzt benutzt, indem man Führungen hauptsächlich für us-amerikanische und kanadische Touristen gemacht hat. Zum Beispiel, gibt’s da ein Schloss, in dem Vlad Tepesch ganz kurz mal auf der Flucht gewesen ist. Der hieß ja auch Dracula. Das ist jetzt das Einzige, was mit Transsilvanien überhaupt zu tun hat.
Dann bringt man die da hoch, da ist Nichts zu sehen, Nichts außer ein paar Mauern. Dann drückt man halt jedem so einen Schnaps in die Hand, einen Pflaumenschnaps und dann sind die halt happy und haben halt dann ein Gruselschloss gesehen. Dabei haben die nur ein paar Backsteine gesehen."
Und in den achtziger Jahren haben die tatsächlich angefangen, so Nippes zu verkaufen, also Dracula-Schnaps, Dracula-Fähnchen und Dracula-Tassen. Am Anfang hatten sie noch Schwierigkeiten damit, Vlad Tepesch da drauf zu drucken, weil das ein großer Volksheld ist.
Das kann man also nicht machen, den Zusammenhang zwischen einem Monster und einem Volksheld darzustellen. Als die Amerikaner einfach genug bezahlt haben, haben die dann tatsächlich auch Vlad Tepesch da drauf gedruckt und dann "Dracula" drunter geschrieben. Das ist natürlich super, weil genau davon handelt ja Vampirismus, dass man irgendwas glaubt, was nicht da ist. Also ich finde das fantastisch."
Junger Mann: Wir persönlich sind eher zurückgezogen. Gesellschaftliches Leben haben wir nicht wirklich viel. Ich bin lieber gerne nachts wach, weil, da ist es halt schöner, die Welt ist etwas ruhiger.
Benecke: "Die "Transsilvanian Society of Dracula”, in den letzten, sagen wir mal zehn Jahren ist daraus etwas erwachsen, nämlich, dass sehr viele Leute, die aus den wissenschaftlichen Disziplinen kommen, dass die sich immer einmal im Jahr zusammensetzen. Also wir tagen meistens in Transsilvanien. Das ist das, was wir in letzter Zeit machen: Also Musiker, Psychologen, Architekten, Naturwissenschaftler, Mediziner, Historiker und dann wird das lustig.
Dann sitzen wir da zu zehnt da rum, und jeder erzählt zu irgendeinem Thema, was wir uns jedes Jahr neu ausdenken, was ihm dazu aus seiner Sicht einfällt. Zum Beispiel: Architekten: Warum spielt das immer in einsamen Schlössern? Historiker natürlich: Wer war Vlad Tepesch? Mediziner: Was ist Angst? Kriminalbiologe, so wie ich: Wie funktioniert Pfählen?"
(Zitat Hörspiel Dracula)
Junge Frau: "Bis vor kurzem hätte ich noch gesagt, ja, wir kennen alles, aber so seit zwei bis drei Jahren ist wirklich vor allem der Literaturmarkt, was das Vampirthema betrifft, total überflutet worden. Gerade aus Amerika kommen jetzt unendlich viele Bücher auf den Markt und es ist halt dieses Thema. "Sex and the City", nur in Vampirgestalt. Größtenteils geht es überhaupt nicht mehr um Mythologie oder irgendwelche uralten Prophezeiungen und Ähnliches, sondern nur noch um aktuelle, moderne Sachen, die eben darauf übertragen wurden."
Benecke: "Dieses ganze Interesse für Vampire hat einen Quantensprung nach hinten wieder gemacht. Das passiert so alle 20 Jahre, dass es so eine komplette Verjüngung erlebt. Das ist jetzt gerade wieder passiert durch den Film und das Buch "Bis zum Morgengrauen". Da wird auch immer alles vorher ausgewischt. Alle vorherigen Kenntnisse werden dann komplett ausgewischt wie auf einer Tafel, die man so leer putzt. Und dann fängt das wieder von vorne an, also das haben wir schon öfter erlebt."
Im Gespräch waren::
Dr. Julia Bertschik, Philologin
Dr. Mark Bennecke, Kriminalbiologe
Hans Meurer, Autor und Historiker
Zwei Jugendliche aus der Vampirszene
Mit Zitaten aus dem Hörspiel
Dracula
von Bram Stoker
aus dem Englischen von Hubert von Bechtolsheim
Bearbeitung: Nick McCarthy
Regie: Annette Kurth
Produktion: WDR 1995
Junger Mann aus der Vampirszene: "Ein Stück Land in Transsilvanien kann man offiziell kaufen für einige Euro."
Junge Frau aus der Vampirszene: "Also Nichts, wo man irgendwie ein Haus bauen könnte".
Junger Mann: "Ein kleines Stück Land war ein Geschenk an meine Freundin."
Junge Frau: "Man darf dann offiziell den Titel verwenden."
Junger Mann: "Zu zeigen, dass ich sie liebe, schenke ich ihr einen Titel."
Junge Frau: "Das ist dann Bojerita de la Transsilvania."
Junger Mann: "Bojar de la Transsilvania, das ist ein transsilvanischer Landadel und heißt eigentlich nur übersetzt: Bojar: besitzt Land."
Junger Mann: "Das Thema Vampire gehört zu meinem Leben, das bin ich, das gehört dazu. Ich kriege einen schwärmerischen Gesichtsausdruck, wenn ich einen Blutfleck irgendwo sehe, das erzieht man sich selbst an. Man hat sich dann früher eingeritzt, hat das ein bisschen aufgefangen, das hat man halt getrunken. Es ist nicht wirklich lecker, nein. Früher ja, aber nein, nicht zu empfehlen."
Junge Frau: "Es ist für mich einfach eine andere Möglichkeit, das Leben zu betrachten, dass man sich einfach sagt, OK, es existieren noch Sachen zwischen Himmel und Erde, die man nicht einfach definieren und klassifizieren kann, aber ich glaube daran."
Junger Mann: "Das sieht man an der Büchersammlung, wenn ich Deko kaufe für einen Kuchen, zum Beispiel, dann gucke ich, gibt es irgendwo kleine Fledermäuschen oder lässt man sich mal Lebensmittelfarbe in Schwarz mitbringen. Das ist eine Vollzeitbeschäftigung, das ist mein Leben."
Junge Frau: "Und es findet sich eben in allem wieder, womit man sich beschäftigt, sei es jetzt Musik oder Literatur oder wenn man sich eben zu Rollenspielen trifft oder wenn man sich mit Freunden trifft und man sagt, ach leg’ doch mal die Vampir-CD auf, weil es einfach von den Texten her teilweise Gefühle widerspiegelt oder Interessen eben."
"Mein Name ist Julia Bertschik. Ich bin Privatdozentin am Institut für deutsche Philologie der Freien Universität Berlin und habe mich auch mit diesem Phänomen des Vampirismus beschäftigt."
"Ich bin Mark Benecke, Kriminalbiologe und außerdem auch noch der Deutschlandvorsitzende der Transsilvanian Society of Dracula."
Hans Meurer (Autor und Historiker):"Ich erlebe immer wieder, wenn es heißt, ja, was machst denn du, dann sage ich, ich beschäftige mich mit diesen Vampiren. Dann kommt immer die erste Frage: Glaubst du da dran? Und wenn ich dann sage, nein, dann höre ich doch immer, dann kann man ja mit dem Menschen weiterreden."
Bertschik: "Ich glaube, dass diese Figur des Vampirs faszinierend ist, wie er verschiedene, ja, menschliche Grundbedürfnisse, kann man sagen, abdeckt."
Benecke: "In einem Land, in einem EU-Land wohlgemerkt, ist so ein Fall mal neulich passiert - da bekam ich eine SMS, dass ich da sofort mir das mal angucken soll – dass die Leute angefangen haben, die Leiche auszugraben aus der Erde und haben erzählt, wie sie das Herz da raus genommen haben. Den Kopf haben sie dran gelassen, den haben sie nicht abgehackt. Und interessant dabei war, dass da ein Vampirzeichen zu sehen war, was gar kein ursprüngliches Vampirzeichen ist, nämlich dem läuft Blut aus dem Mund, das sieht man auch deutlich. Das greift ein Hollywoodvampirzeichen auf, dass der Blut gesoffen haben soll. Das ist also sehr lustig eigentlich, wie sie das dann da auf einmal vermischt."
Meurer: "Wir sind alle auch in irgendeiner Form abergläubisch, haben also Rest all dieser Dinge in uns, und die werden geweckt durch solche Figuren."
Bertschik: "Zunächst mal geht es ja vor allem um Blut. Das heißt, Blut ist ja sozusagen der Lebenssaft. Energie absaugen, Energie bekommen, aber eben auch um solche Dinge wie eine Umkehrung von so einem christlichen Glauben des Abendmahls, was ja auch mit Blut zu tun hat, mit so einer Übertragung von Energie, von Heiligkeit auch und so eine Teilnahme an so einer spezifischen Gemeinschaft. Ich denke, damit haben auch die Blutspiele dieser Gothik-Szene zu tun: Eine Aufnahme und Umkehrung dieses christlichen Abendmahlsgedanken. Dann diese Fragen nach Unsterblichkeit, was passiert nach dem Tod, dann vor allem dieser große Bereich der Sexualität, der sehr stark gepaart ist mit Aggressivität, mit Tod."
Meurer: "Einfach ausgedrückt, der Vampir ist eine gelungen Projektionsfigur unserer Urängste vor Sexualität und Tod. Der erste Vampir nach der christlichen Überlieferung war selbstverständlich eine Frau, diejenige, die den Mann verführt, sich wider der Natur hinzugeben, die erste Frau Adams, die die Dämonen in die Welt gebracht hat, damit auch die Vampire. Die katholischen Vampire heißen Incubus und Socubus: Der Untenliegende und der Obenliegende."
Bertschik: "Die These ist ja, dass der Vampirglaube zu Beginn des 18. Jahrhunderts den Hexenglauben abgelöst habe, dass im Zeitalter der Aufklärung und der Rationalität diese Figur des Vampirs sehr viel faszinierender war. Zunächst mal in medizinischen Diskursen und Auseinandersetzungen man sich gefragt hat, was passiert mit dem Körper nach dem Tod? Sich das aber eben nicht erklären konnte."
Benecke: "Dieses ganze Mysterium, wie überhaupt Leben funktioniert, was Tod ist, war sehr schwer beschreibbar wissenschaftlich. Damals glaubte man, dass Lebende bereits den bösen Blick haben können, wenn die später ein Strigoi, also ein Nachzehrer, was wir Vampir nennen würden, später werden. Und da sieht man auch schon die Verwandtschaft zwischen Hexern - weil Strigoi heißt zum Beispiel einfach "Hexe", da fließt alles zusammen, der Böse Blick, das Energierauben, was später dann auch Vampire machen, das spätere Untodsein, was sich vorher schon dadurch ankündigt, dass der schon zu Lebzeiten den bösen Blick hat."
Bertschik: "Dieses Motiv des Bisses und der Zähne geht durchaus schon auf diese Grabfunde zurück, verbindet sich mit einem ähnlichen Motiv dieses sogenannten Nachzehrers, der eben an Leichentüchern knabbert und damit Menschen zu sich ins Grab holt."
Benecke:"Es gibt Erscheinungen, die auch als Vampirzeichen gelten, wenn man die Leiche hoch hebt und die noch frisch ist, dann stöhnt die. Dann denkt man: Wer stöhnt, der muss ja wohl leben und leidet an irgendwas. Und mit den Fingernägeln und mit den Haaren, die scheinbar wachsen, das sind alles Zeichen gewesen, die die Leute kannten. Dann dachten die sich, na ja, wer weiß? Vielleicht ist der ja doch nicht so ganz tot."
(Zitate Hörspiel. Dracula im Wechsel mit Experten)
Bertschik: "Diese Figur des Vampirs ermöglicht, Irrationales mit rationalem Denken Anfang des 18. Jahrhunderts zu kombinieren."
Benecke: "Das Problem entstand erst dann, als die Leute angefangen haben, die Leute wirklich auszugraben aus der Erde. Und der Grund dafür war, dass die lebende Familie krank wurde. Also die lebende Familie wurde jetzt auf einmal geschwächt. Dass die Leute gedacht haben, jetzt haben wir Beweise dafür, das sind Untote, müssen wir den Kopf abhacken und das Herz rausnehmen.
1732 ist ein Buch erschienen von Calmé, also einem sehr bekannten Mönch. Der hat gesagt, Vamipre gibt’s nicht, Gott würde das nicht zulassen, Ende der Diskussion.
Die Leute haben das aber trotzdem geglaubt, weil, wenn sie Leichen ausgegraben haben von Verwandten, haben sie gesehen, dass die seltsame Erscheinungen hatten: Scheinbar lief denen Blut aus dem Mund, scheinbar sind die fett geworden, obwohl sie vorher schlank waren, scheinbar sind die Hände nicht mehr gefaltet zum Gebet gewesen. Das wurde dann zur gleichen Zeit auch untersucht von der K. und K. Regierung und da sind auch Leichen ausgegraben worden.
Die Informationen sind an den Hofarzt Glase in Wien weitergeleitet worden vom Pflückinger. Das war damals der Feldscherer, der konnte alles, Zähne ausreißen, Beine absägen, alles. Und jetzt war es natürlich offiziell. Jetzt hat also der Hofarzt Glaser, der ein sehr einflussreicher Arzt war und auch noch der Feldscherer, der Pflückinger, jetzt haben die alle gesagt, das gibt’s, scheinbar. Haben sie zwar gar nicht, aber so wurde das offiziell."
Bertschik: "Ich denke jetzt mal in Osteuropa, wo das herkommt, Serbien auch, da ist das wirklich so etwas, was so tradiert wird, was sich erzählt wird von Generation zu Generation, so, wie man sich auch Märchen erzählt, als diesen Aberglauben, was es ja sogar bis heute in so abgelegenen Dörfern in Rumänien oder Serbien geben soll – das dass natürlich eine große Rolle spielt."
Benecke: "Es ist auf jeden Fall richtig, dass das Bemühen um Aufklärung dazu führte, dass der Inhalt dessen, was man aufklären möchte, dass der dadurch verbreitet wird. Die örtliche Bevölkerung hatte Angst vor den Vampiren, hat es dem örtlichen militärischen Leiter gesagt, der hat es weitergeleitet, zack, war es im System. Und dann haben die Leute damals natürlich auch gesagt, wenn die sich alle damit beschäftigen, die Behörden, dann muss es ja wohl was Realistisches sein."
(Zitate Hörspiel. Dracula)
Junge Frau: "Ich habe mich sowohl mit literarischen Themen beschäftigt. Also zum Beispiel, Goethe hat ja das Vampirthema aufgegriffen, dann verschiedene andere Autoren aus der Zeit: Dann habe ich mich mit Bram Stoker beschäftigt, mit irischer Mythologie und dann eben auch andere Sachen, so Übernatürliches."
Meurer: "Ein Mythos wandelt sich immer mit den soziologischen und psychologischen Gegebenheiten der jeweiligen Gesellschaft."
Bertschik: "Ja, zunächst mal diese typische Figur der Romantik, dieser Aristokrat, der uns da begegnet, ist ein Sprung von diesen medizinischen Funden. Um Neunzehhundert wechselt das zunächst mal wieder das Geschlecht, da spielen dann auch wieder Frauen eine große Rolle als Vampirinnen."
Meurer: "Der Vampir hat es ja geschafft, mitzuwachsen. Das liegt daran, dass er sehr nah am Menschen dran ist, seine Attribute sehr menschlich sind und dadurch auch diese Verformung mitmachen kann."
Bertschik:" Das allererste Beispiel, wo das Wort Vampir und auch ganz angedeutet so eine Vampirfigur vorkommt, ist eine Ballade: "Mein liebes Mädchen glaube", das ist von Mitte des 18. Jahrhunderts. Also das ist noch vor Goethes Ballade. Diese Goethe-Ballade: "Die Braut von Korinth", Ende des 18. Jahrhunderts, die dieses Motiv der Totenbraut aufnimmt, was es auch vorher schon gegeben hat, jetzt aber ins Vampirische und damit Dämonische und Unheimlich-Aggressive umdeutet.
Sehr viel bekannter ist diese Geschichte "The Vampire", von zunächst ursprünglich Lord Byron zugeschrieben, aber eigentlich von seinem Leibarzt, William Pollidori, verfasst. Das ist zum ersten Mal dann diese Figur des männlichen Vampirs, der sich ganz wesentlich von diesen Grabfunden in Serbien unterscheidet, weil er ist jetzt der attraktive, adlige Mann, der sowohl auf Männer wie auch auf Frauen eine sexuelle Attraktivität ausübt und dadurch auch seine Opfer akquirieren kann."
Benecke: "Da bekam das diesen Lebenszerstörenden Charakter, der aber gleichzeitig etwas gibt, nämlich dass man dadurch dann auch unsterblich werden kann. Oder aber, wenn der Vampir das nicht möchte und eben den letzten Tropfen Blut aussaugt, dann stirbt man, aber wenn er das nicht macht, dann wird man unsterblich dadurch. Da sieht man, das bezieht sich sehr stark auf Liebe und Partnerschaft. Mit den Toten hat das auf der Interpretationsebene nicht mehr so viel zu tun wie vorher, dass man eben was tun soll. Zum Beispiel: Kopf abhacken, Pfahl durchs Herz gab es natürlich auch, wenn man das Herz nicht rausnehmen konnte – das ist ja sehr viel Arbeit, das Herz rauszunehmen – konnte man auch einen Pfahl durchtreiben, teilweise auch Nägel, geht auch."
Bertschik: "So dass man eigentlich sagen kann, dass diese Figur des Vampirs – also diese Art von Männertypus geht ja dann auch in Bram Stokers "Dracula" ein – eigentlich ein Erzeugnis der Literatur ist."
Meurer: "Ende des 19. Jahrhunderts hat ja ein Mann alle Vampire sozusagen vom Tisch gewischt, das war Graf Dracula, weil Dracula alle anderen Figuren besiegt hat."
Junger Mann: "Ich fand das toll, dass da einer ist, der einfach so ist wie er ist, losgelöst von seinen menschlichen Grenzen, sich sagen kann, OK, das mache ich, weil ich so bin. Das sind meine Bedürfnisse, das sind meine Leidenschaften, die will ich ausleben."
(Zitat Hörspiel. Dracula)
Benecke: "In der Viktorianischen Zeit, also mit Bram Stoker, ging das in den sexuellen Kontext rein, dass einem das sexuelle Energie raubt, aber die ist dann gut für immer, also durch das Öffnen der Grenzen, Hautgrenze in dem Fall, durch das Beißen, wird jetzt eine Grenze geöffnet, die normalerweise nicht geöffnet ist, die Körpergrenze, symbolisch dafür die seelische Grenze sich dann öffnen wird – allumfassende Liebe…
(Zitat Hörspiel Dracula)
Meurer: "Wenn sie den Dracula-Roman richtig lesen, dann gibt es sehr interessante pornographische Stellen. Insbesondere wo Jonathan Harker mit den drei Vampirinnen umgeht. Das ist, wenn man richtig ließt, nichts anderes als Pornographie."
Bertschik: "Das Besondere und auch der Unterschied zu diesen Totenbräuten der Romantik, wenn sie da als Frauen, als weibliche Vampire vorkommen, verbindet sich das um Neunzehnhundert mit dieser für diese Zeit und für die Kunst und Literatur typischen Imagination der femme fatale, also der Männer verschlingenden Frau, die Frau, die den Mann sexuell aussaugt, die natürlich auch gut aussieht, häufig – da kommt dann auch wieder auch so ein bisschen dieser Hexenglaube hinein – rothaarig ist."
Meurer: "Die Sünde war immer schon verführerischer als die Keuschheit."
Bertschik: "Und vor dem Hintergrund dieses viktorianischen, prüden, tabubeladenen Zeitalters eine Möglichkeit gibt, überhaupt Sexualität zu thematisieren ohne diese direkt anzusprechen, kann man Situationen des Beischlafs anspielen, ohne dass man jetzt direkt darauf festgelegt werden würde."
Meurer: "Je erotischer, je verführerischer der Vampir oder die Vampirin ist, desto eher ist verständlich, dass man sich dieser Sache hingibt. Deswegen ist ja auch dieser Mantel des Vampirs so wichtig. Wenn er den Mantel ausbreitet, können wir all unsere bösen Gedanken, Sehnsüchte, Ängste und Wünsche da unterbringen. Deswegen funktioniert der Vampir ja auch im Film und auf der Bühne so gut, weil er nicht unbedingt darstellt, sondern weil er Phantasien freien Lauf lässt."
(Zitate Hsp. Dracula im Wechsel)
Bertschik: "Es ist sehr populär auch gerade in der Bildenden Kunst der Jahrhundertwende und ist, denke ich, eine Reaktion auf die seit Mitte des Jahrhunderts auftretenden Emanzipationsbestrebungen von Frauen auch. Und das möglicherweise auch wieder Ängste erzeugt hat, die sich dann wieder auf den Bereich des Sexuellen verlagert haben."
Meurer: "Je nachdem wie repressiv die Sexualmoral einer Gesellschaft, je erotischer das Vampirmotiv, je verstörter eine Gesellschaft in anderen Bereichen, desto mehr gibt der Vampir auf diese Dinge Antwort. Zum Beispiel, er wird brutaler, wenn die Gesellschaft brutaler wird.
Bertschik: "Der Vampir als politische Metapher, das findet auch schon relativ früh statt. Eines der frühesten Zeugnisse findet man bei Voltaire. Das wäre dann auch im 18. Jahrhundert, wo überhaupt diese Figur des Vampirs überhaupt auftaucht. Er meinte das im Sinne von wirtschaftlichen, im weitesten Sinne kapitalistischen Blutsaugern, die er damit brandmarken und kritisieren wollte und das ist ein Aspekt, der dann vor allem im metaphorischen Bereich dann auch von Karl Marx aufgenommen worden ist, also der kapitalistische Blutsauger. Das hat sich dann im Zuge des Nationalsozialismus in diskriminierender Weise auf Juden konzentriert, also der Stereotyp des jüdischen Blutsaugers.
Wobei man sagen muss, dass es im Nationalsozialismus ambivalent ist, weil die Nationalsozialisten ja selbst so eine Art von Blutfetischismus praktiziert haben durch ihre Spezifizierung und Abgrenzung auch von arischem Blut, von fremdem Blut, auch immer vor Ansteckungsgefahren usw. immer gewarnt haben, sich selber eigentlich in so einem politisch metaphorisierten Bereich von Vampirismus sich selber bewegt haben. Da gibt es quasi beide Facetten, sowohl diese Ablehnung in der Figur des Juden wie auch die Annahme von blutfetischistischen Dingen, die auch mit dem Vampir zu tun haben für sich selbst.
Junger Mann: "Als ich noch mehr weggegangen bin, hat man Vampirfans halt daran erkannt, dass sie mehr darauf geachtet haben, anders zu sein, kühler zu sein, distanzierter zu sein, arroganter zu wirken."
Junge Frau: "Ich würde eher sagen, dass diese Personen sich primär darüber definieren, über den Hang zum Übernatürlichen, dass man sich sagt, OK, ich akzeptiere, dass es neben den Menschen noch verschiedene andere Lebensformen geben kann, ich interessiere mich dafür, ich beschäftige mich mit Mythologie und Ähnlichem und deswegen finden die Leute auch einen Platz in unserer Szene."
Junger Mann: "Ich glaube, einige Vampirfans kann man an dem Ank erkennen. Das Ank ist die ägyptische Lebensschleife, so geformt wie Vampirflügel, Fledermausflügel. Dann kann man schon sagen, OK, ist eher jemand der auf Vampire stehen wird."
Junge Frau: "Man sieht es daran, dass Leute, die sich für Vampire interessieren, meistens elegant gekleidet sind oder eben schon in Richtung Vergangenes, in Richtung Renaissance oder Barock."
Junger Mann: "Gesichtfarbe bleich. Es gibt Zahnärzte, die machen richtige Kronen. Es gibt Kronen zum Aufsetzen, die man wieder rausnehmen kann."
Junge Frau: "Na, das geht dann schon mehr in die Richtung, ich will was sein, was ich nicht bin. Ich finde es schon fast lächerlich. Wenn man wirklich daran glaubt, dann könnte es ja sein, dass man selbst irgendwann ein Vampir werden würde, dann braucht man ja solche Requisiten nicht."
Junger Mann: "Ich will kein Vampir mit Prothese sein!"
Benecke: "In den neunzehnhundertsechziger, neunzehnhundertsiebziger Jahren war das eher so, dass das ganze Filmmotiv entweder so ein bisschen trashig durch diese Hammer-Horrorfilme wieder aufgegriffen wurde, hauptsächlich der Graf mit dem Cape, der die schönen Frauen verführt, teilweise auch lesbische Frauen, also Vampirinnen. Die Filme haben eigentlich eher so ein Stil gesetzt."
Bertschik: "Auch diese neuen Medien, die eine Rolle spielen in dieser Vampirjagd und auch so selbstbezügliche Szenen in Bezug auf das Kino, auf das Sehen von Vampiren. Beim Vampir kann man ja sagen, es ist ja so ein lichtscheues Schattenwesen und das liegt ganz nahe auch an diesem Medium Filmprojektion. Das finde ich auch eine spannende Möglichkeit neben der Literatur eben diese Vampirfilme, die, wie ich finde, wenn sie gut sind, das mit thematisieren."
Benecke: "Zum Beispiel, jetzt gerade ‚Bis zum Morgengrauen’, dass die Vampire auch beim Tag gehen können, damit man für Hollywood einen schönen Effekt hatte, wenn die Sonne scheint. Oder dass das auch Jugendliche sein können, denen man das von außen überhaupt nicht ansieht, außer dass die vielleicht ein bisschen blass sind – das ist jetzt im Moment extrem stilbildend."
Meurer: "Der Film ‚Twilight’ ist ein Reflex auf die Übersexualisierung der amerikanischen Gesellschaft, mit einer neuen Form des Vampirs, des romantischen Vampirs, derjenige, der ein Vampir ist und sich aus Liebe zu einem Mädchen dem Vampirsein entzieht. Das ist so der moderne Vampir."
Benecke:"Davor war das der Film ‚Interview mit einem Vampir’ und die anderen Romane von Ann Rice. Da fing das an, dass diese filmische Ausrichtung wandelte sich auf einmal in sogenannte Rollenspieler und real-life-Vampire um. Da wird das Motiv aufgegriffen, dass man sich einsam und allein fühlt, und in Wirklichkeit zu einer anderen Familie gehört, was viele Leute aus der Vampirszene auch so empfinden. Die sind einfach depressiv oder traurig oder so."
Junger Mann: "Es gibt Rollenspieler, die treffen sich dazu, ihre Vampirsachen zu leben. Man spielt dann halt seine Vampirrolle, man steigt im Allgemeinen als Mensch ein, erfährt dann, in welcher Blutlinie man aufgenommen wird und kann dann im Laufe seiner Jahre, die man da mitspielt, zu einem höherwertigen Vampir."
Meurer: "Die Leute verkleiden sich, die Leute leben diese Rolle für ein Wochenende, für eine Woche oder den Urlaub lang. Das wird von ganz normalen Veranstaltern angeboten und dann geht man dahin und guckt und dann kann man auch Kostüme leihen und dann kann man halt mitspielen."
Junge Frau: "Da kann man ab 16 teilnehmen. Die fahren dann auf Burgruinen und Ähnliches. Man kann ja nicht einfach so im Wald rumrennen und durch die Gegend schreien, weil das wird bestimmt einige Leute entweder stören oder denen Angst machen. Maximal werden es so um die 50 Leute sein, die treffen sich da, haben die passende Ausrüstung, meistens Plastikwaffen. Und dann wir ein Spielplan aufgestellt."
Junger Mann: "Man spielt Vampirjagden. Es ist einmal die gute Vereinigung verschiedener Vampir-Clans und eine sogenannte böse Vereinigung der Vampir-Clans und die spielen halt gegeneinander."
( Zitate Hsp. Drakula im Wechsel)
Junge Frau: "Und da sind es dann vor allem nicht nur Leute aus der Gothik-Szene, sondern zwischen 16 und 50, vielleicht sogar noch älter, über alle Gesellschaftsbereiche.
Junger Mann: "Ich glaube, im Internet, da trifft man sich am meisten. Es gibt einmal die Villa-Vampyria, das zeigt eigentlich nur, dass Menschen wie ich, die in die Gothik-Szene rein gehören, sich intensiv mit Vampiren beschäftigen, ein ganz normales Leben haben."
Junge Frau: "Nur dass sich in diesen Communities einfach Menschen treffen, die wissen, dass sie einen gemeinsamen Nenner haben. Zum Beispiel, die Leute, die man da kennenlernt, dann auch in Realität trifft und die in seinen Freundeskreis aufnimmt. Also ich würde sagen, dass das virtuelle Leben der Vampirbegeisterten nicht anders ist als das virtuelle Leben anderer Menschen."
Benecke: "In allen Jugendsubkulturen gibt es ja Aufsplitterung. Da muss man ganz genau aufpassen und immer sehr sehr aktuell gucken wie gerade die stilbildenden Elemente sind in der Jugendsubkultur. Vom ganz harmlosen 13jährigen Mädchen, was einfach so ein bisschen Romantik-Goth, also romantische Sachen anhimmelt, pubertäre Sachen anhimmelt bis zu Leuten, die angefangen haben Blut zu trinken, was dann in die Partysubkultur eingedrungen ist.
Dann sind die Leute rumgelaufen, früher noch mit Kanülen teilweise. Beißen geht nicht, man kann die Haut nicht durchbeißen. Das tut super weh und kriegt man eine tierische Wunde und ist total infektiös, aber mit Kanülen haben die das dann teilweise tatsächlich gemacht."
Junger Mann: "Die Schwarze Szene ist im Allgemeinen eigentlich eine bunte Szene. Es gibt Leute, die auf elektronische Musik stehen, dann gibt es Leute, die stehen eher auf rituelle Sachen, auf Mittelalter. Dann gibt es Leute, die eher nicht durch die Musik dabei sind, sondern ehre wegen den Sachen."
Benecke: "Man kann einfach nur das Leben gemeinsam gestalten, irgendwelche Projekte gemeinsam machen, zum Beispiel, Werwölfe bekämpfen oder man kann auch irgendwelche Abenteuer lösen, in Wirklichkeit, aber meistens ist es virtuell. Dann passiert halt irgendwas, man muss Aufgaben lösen, gegen Monster kämpfen."
Junger Mann: "Es gibt im Internet direkt: "Legancy of Kain". Die Spielidee ist schon, Vampir zu spielen und laut den Videos ist es ja auch ziemlich blutrünstig und düster gehalten, aber da kommt einfach nur, töte 10 davon, töte 20 davon, töte 30 davon, sammle 10 davon. Aber hin und wieder sollte in diesen ganzen Einsammel-Quest eine Geschichte dahinter stecken."
Benecke: "Die "Transsilvanian Society of Dracula”, die kommt aus dem heutigen Rumänien. Das war eigentlich ein Touristengag. Als der Kommunismus aufgehört hat, da haben ein paar Leute einen Job gesucht und haben dann angefangen, mit Touristen so Führungen zu machen. In Rumänien selber glaubt natürlich keiner an Vampire. Die gibt’s da überhaupt nicht.
Knoblauch und Kreuz wird durchaus benutzt um, sagen wir mal, dafür zu Sorgen, dass die Toten im Reich der Toten, oder wo auch immer die dann sind, dass die da ihre Ruhe haben. Aber das ist jetzt auch nichts anderes als ob man jemandem "Viel Glück" wünscht. Und das wurde jetzt benutzt, indem man Führungen hauptsächlich für us-amerikanische und kanadische Touristen gemacht hat. Zum Beispiel, gibt’s da ein Schloss, in dem Vlad Tepesch ganz kurz mal auf der Flucht gewesen ist. Der hieß ja auch Dracula. Das ist jetzt das Einzige, was mit Transsilvanien überhaupt zu tun hat.
Dann bringt man die da hoch, da ist Nichts zu sehen, Nichts außer ein paar Mauern. Dann drückt man halt jedem so einen Schnaps in die Hand, einen Pflaumenschnaps und dann sind die halt happy und haben halt dann ein Gruselschloss gesehen. Dabei haben die nur ein paar Backsteine gesehen."
Und in den achtziger Jahren haben die tatsächlich angefangen, so Nippes zu verkaufen, also Dracula-Schnaps, Dracula-Fähnchen und Dracula-Tassen. Am Anfang hatten sie noch Schwierigkeiten damit, Vlad Tepesch da drauf zu drucken, weil das ein großer Volksheld ist.
Das kann man also nicht machen, den Zusammenhang zwischen einem Monster und einem Volksheld darzustellen. Als die Amerikaner einfach genug bezahlt haben, haben die dann tatsächlich auch Vlad Tepesch da drauf gedruckt und dann "Dracula" drunter geschrieben. Das ist natürlich super, weil genau davon handelt ja Vampirismus, dass man irgendwas glaubt, was nicht da ist. Also ich finde das fantastisch."
Junger Mann: Wir persönlich sind eher zurückgezogen. Gesellschaftliches Leben haben wir nicht wirklich viel. Ich bin lieber gerne nachts wach, weil, da ist es halt schöner, die Welt ist etwas ruhiger.
Benecke: "Die "Transsilvanian Society of Dracula”, in den letzten, sagen wir mal zehn Jahren ist daraus etwas erwachsen, nämlich, dass sehr viele Leute, die aus den wissenschaftlichen Disziplinen kommen, dass die sich immer einmal im Jahr zusammensetzen. Also wir tagen meistens in Transsilvanien. Das ist das, was wir in letzter Zeit machen: Also Musiker, Psychologen, Architekten, Naturwissenschaftler, Mediziner, Historiker und dann wird das lustig.
Dann sitzen wir da zu zehnt da rum, und jeder erzählt zu irgendeinem Thema, was wir uns jedes Jahr neu ausdenken, was ihm dazu aus seiner Sicht einfällt. Zum Beispiel: Architekten: Warum spielt das immer in einsamen Schlössern? Historiker natürlich: Wer war Vlad Tepesch? Mediziner: Was ist Angst? Kriminalbiologe, so wie ich: Wie funktioniert Pfählen?"
(Zitat Hörspiel Dracula)
Junge Frau: "Bis vor kurzem hätte ich noch gesagt, ja, wir kennen alles, aber so seit zwei bis drei Jahren ist wirklich vor allem der Literaturmarkt, was das Vampirthema betrifft, total überflutet worden. Gerade aus Amerika kommen jetzt unendlich viele Bücher auf den Markt und es ist halt dieses Thema. "Sex and the City", nur in Vampirgestalt. Größtenteils geht es überhaupt nicht mehr um Mythologie oder irgendwelche uralten Prophezeiungen und Ähnliches, sondern nur noch um aktuelle, moderne Sachen, die eben darauf übertragen wurden."
Benecke: "Dieses ganze Interesse für Vampire hat einen Quantensprung nach hinten wieder gemacht. Das passiert so alle 20 Jahre, dass es so eine komplette Verjüngung erlebt. Das ist jetzt gerade wieder passiert durch den Film und das Buch "Bis zum Morgengrauen". Da wird auch immer alles vorher ausgewischt. Alle vorherigen Kenntnisse werden dann komplett ausgewischt wie auf einer Tafel, die man so leer putzt. Und dann fängt das wieder von vorne an, also das haben wir schon öfter erlebt."
Im Gespräch waren::
Dr. Julia Bertschik, Philologin
Dr. Mark Bennecke, Kriminalbiologe
Hans Meurer, Autor und Historiker
Zwei Jugendliche aus der Vampirszene
Mit Zitaten aus dem Hörspiel
Dracula
von Bram Stoker
aus dem Englischen von Hubert von Bechtolsheim
Bearbeitung: Nick McCarthy
Regie: Annette Kurth
Produktion: WDR 1995