Kein Thema für eine einseitige Zuspitzung
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Ein Artikel der Wochenzeitung "Die Zeit" fragte nach der Legitimität privater Rettungen von Flüchtlingen im Mittelmeer – und erntete damit heftige Kritik. Gibt es falsche Fragen?
Sollen private Helfer im Mittelmeer Flüchtlinge aus Seenot retten? Eine Frage, die sich für viele Menschen gar nicht stellt. Natürlich muss jemandem geholfen werden, dessen Leben bedroht ist. Trotzdem hat sich die Wochenzeitung "Die Zeit" vor einer Woche an einem Pro und Contra versucht – und erntete heftige Kritik.
Politik, Medien und auch die sozialen Netzwerke kritisierten insbesondere das Artikel-Bild, das Flüchtlinge auf einem Rettungsboot zeigt, in Verbindung mit der Überschrift "Oder soll man es lassen?". Aber auch das Contra von Mariam Lau rief Kritik hervor.
Debatte in zwei Phasen
Lau schrieb über die Retter: "Ihr Verständnis von Menschenrechten ist absolut kompromisslos." Wer mit dem Verweis auf Menschenrechte jede Sicherung der Grenzen zu verhindern versuche, so Lau, werde am Ende denen in die Hände spielen, die gar kein Asylrecht mehr wollen.
Es ist eine Debatte, die wie so oft in zwei Phasen verlief: Am Anfang sorgte der Artikel selbst für Aufregung, weil Kritiker die Menschenrechte relativiert sahen. In der öffentlichen Diskussion dominierte die Ablehnung der Contra-These von Mariam Lau. Inzwischen geht es um die Rolle des Journalismus und die Frage, ob so ein Text überhaupt veröffentlicht werden darf oder ob Journalisten nicht gewissen Werten verpflichtet seien.
Grenzen des Sagbaren
In der Diskussion darüber twitterte Lau: "Der Titel spitzt zu, der Text dröselt auf. Man muss sich mit einer gewissen Kälte über das Thema beugen und sich (die) Frage nach den Folgen des gutgemeinten Handelns vorlegen."
Der Medienberater und Journalist Thomas Knüwer beklagt, dass "Die Zeit" mit solchen Texten die Grenzen des Sagbaren verschiebe: "Ich glaube, dass 'Die Zeit' unbewusst und ohne darüber nachzudenken rechten Gedanken den Weg ins Bildungsbürgertum öffnet. Und wenn 'Die Zeit' erlaubt, dass man darüber nachdenkt, Menschen ersaufen zu lassen im Sinne einer größeren Lösung, dann ist das halt mit einem Mal gesellschaftlich legitim."
Gibt es falsche Fragen?
"Die Zeit" reagierte mit einer Entschuldigung der Chefredaktion und weiteren Kommentaren zum Thema. Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur und Politikchef der ZEIT, bezeichnete die Überschrift als Fehler.
"Gibt es falsche Fragen?", haben wir deshalb den Philosophen Jan Slaby gefragt, der sich mit Empathie, Internet und Medien beschäftigt. Er sagt: "Es gibt sicherlich Unsagbares, wenn man in Richtung Folter oder krasse Aushebelungen der Menschlichkeit geht." In diesem Fall könne man eine Debatte, die ohnehin geführt werde, nicht aus den Medien raushalten.
Verschiebungen auf unserer ethisch-moralischen Landkarte
Im Fall des Pro und Contras sei das jedoch sehr einseitig geschehen. "Es wurde im Grunde eine Position vertreten, die Menschenrechte aushebelt oder zur Disposition stellt im Sinne des politischen Tagesgeschäfts", kritisiert Slaby. Mariam Lau habe sich auf die ethische Gesinnung einiger radikaler Helfer und Retter festgelegt. "Das ist wie eine Nebelkerze, die davon ablenkt, was ihre Position eigentlich an Verschiebungen auf unserer ethisch-moralischen Landkarte nach sich zieht, wenn man das ernst nimmt", sagt Slaby.
"Was sie, glaube ich, meint oder gesagt haben sollte, wäre, dass man an eine Debatte in einer differenzierten, rationalen Weise herangehen und das Thema von allen Seiten betrachten solle." Das gehe aus Jan Slabys Sicht aber nicht einher mit dem Ausblenden elementarer Menschlichkeit, die sich auch immer durch Gefühle äußere. "Ich glaube, das ist eine Vermengung und wenn ich 'Kälte' höre, kann ich das eigentlich nur negativ verstehen", spezifiert Slaby.
Von der Politik gesetzte plakative Themen
Seiner Meinung nach sei das Thema nicht für die einseitige Zuspitzung eines Pro und Contras geeignet. Zudem sollte man fragen: "Muss eigentlich so viel Aufmerksamkeit auf die Frage der privaten Seenotrettung in dieser unermesslich tragischen globalen Situation geworden werden? Muss eine Qualitätspresse auf diesen Zug aufspringen?"
Zu schnell und zu undifferenziert würden die Leitmedien auf diese von der Politik gesetzten plakativen Debatten einsteigen und weniger auf die Kontexte, das große Ganze schauen, sagt Slaby. Eine Aufgabe guter Berichterstattung sei, dass sich die Medien ihres Einflusses auf die Empathie und anderer Emotionen bewusst werden.
"Empathie wird diskursiv gerahmt. Sie hängt an Themen, an Symbolen, an Bildern und die Medien haben eine große Macht diese in einer Weise darzustellen, vor allem, wenn es reale Probleme und reales Leid gibt, die die Leute aktiviert und auch zum Nachdenken anregt. Das wird, glaube ich, zu wenig als Aufgabe oder auch als Möglichkeit einer guten Medienproduktion gesehen."
Mariam Lau, die Autorin des "Contra"-Beitrags in der "Zeit", hatten wir ebenfalls im Gespräch, in dem sie zu Ihrem Beitrag ausführlich Stellung bezog. Das Interview hören Sie hier in voller Länge: