Zeit für das ganz große Ding
Eine Gruppe von Provinzmafiosi will in einer französischen Küstenstadt das Casino ausrauben. Der Ich-Erzähler, ein Mittäter, erweist sich in dieser Geschichte über Rache und Verrat bald als wenig zuverlässiger Auskunftgeber. Der junge bretonische Schriftsteller Tanguy Viel experimentiert in "Das absolut perfekte Verbrechen" mit dem Genre des Krimis.
Dieses Verbrechen ist nicht nur perfekt. Es ist "absolut perfekt", wie es im Titel heißt. Bei so viel Vollmundigkeit ist Vorsicht angebracht. Gleich auf der ersten Seite von Tanguy Viels neuem Roman scheint sich der Eindruck, dass es hier mitnichten um einen makellosen Coup geht, zu bestätigen. Ein gewisser Pierre ergreift das Wort und schildert, wie eines Abends, als er seinen Dienst als Barmann in einer Kneipe absolviert, sein alter Kompagnon Marin das finstere Etablissement betritt.
Marin hat gesessen, drei Jahre sogar, und Pierre hat ihn nicht ein einziges Mal besucht. Solche Dinge verzeiht jemand wie Marin nicht so leicht. Er ist schließlich der Boss. Pierre weiß das und lässt sich nach ein paar gemeinsamen Stunden am Tresen widerstandslos zusammenschlagen. Damit scheinen die Verhältnisse geklärt zu sein. Schon am nächsten Tag ist alles wie immer: Pierre, der gutmütige Andrei und Marin gehören zur selben "Familie" und tun das, was Marin befiehlt.
Im Hintergrund zieht ein siecher Patriarch, genannt "der Onkel", die Fäden. An seinem Krankenbett wird entschieden, dass es Zeit für eine ganz große Nummer ist: Die drei sollen gemeinsam mit Marins Ehefrau Jeanne das Casino der kleinen Küstenstadt ausräumen. Ein ehrgeiziger Plan entsteht, und als Technikexperte stößt Lucho hinzu. Die ergatterten Millionen sollen per ferngesteuertem Heißluftballon vom Dach des Casinos abtransportiert werden. Wenn das kein absolut perfekter Einfall ist.
Tanguy Viels Roman kommt daher wie eine Gangstergeschichte und entpuppt sich bald als ein schillerndes Genreexperiment. Aus Elementen des Krimis und der Schwarzen Serie fabriziert der bretonische Schriftsteller, 1973 in Brest geboren, Verfasser mehrerer Romane und cineastisch sehr versiert, ein formal hochkomplexes Gebilde, das eine ungeheure Spannung entfaltet. Das liegt an dem Ich-Erzähler Pierre, einem verkrachten Kleinverbrecher, der zunächst eher Mitleid erweckt, nach und nach aber sein wahres Gesicht zeigt.
Beinahe ohne es zu merken, beginnt der Leser, wie ein Psychologe auf die Untertöne in Pierres Darstellung zu lauschen und sich ein Bild von dem nur zum Teil zuverlässigen Auskunftgeber zu machen. Obwohl man von Anfang an ahnt, dass die Sache schiefgegangen sein muss, denn Pierre klingt nicht wie ein siegesgewisser Hallodri in "Ocean’s Eleven"-Manier, gelingt es Viel, die Dramatik immer wieder neu zu schüren.
Genau wie Andrei steht Pierre unter der Fuchtel des Anführers, leidet unter seiner Abhängigkeit, zweifelt an dem Projekt, und als der "Onkel" dann wenige Tage vor der großen Aktion stirbt, schlägt er sogar vor, die gesamte Aktion abzublasen. Aber sie ziehen es durch. Während die Provinzmafiosi in ihr Verderben schlittern, steigert sich die erzählerische Virtuosität des Autors noch einmal: Den Überfall auf das Casino als eine mit dem Richter unter großem Polizei- und Medienaufgebot nachgespielte Version zu entspinnen, wie es im zweiten Hauptteil des Romans dann passiert, ist einfach ein genialer Schachzug. Nun weiß der Leser längst, dass die Angelegenheit den Bach runter ging – dennoch verfolgt man mit angehaltenem Atem den Ablauf. Und wieder verblüfft uns Viel: Es lief nämlich alles wie am Schnürchen. Aber jemand hatte geplaudert.
Am Ende verdichtet sich Tanguy Viels Roman zu einer Parabel über Freundschaft, Verrat und Rache. Einen Showdown, der es in sich hat, liefert er auch noch nach, Autojagd und spektakulärer Abgang am Cliff inbegriffen. Der melancholisch-abgebrühte Tonfall Pierres, von Hinrich Schmidt-Henkel im Deutschen wunderbar getroffen, klingt eine Weile nach. Über das bittere Ende hinaus.
Besprochen von Maike Albath
Tanguy Viel: Das absolut perfekte Verbrechen
Roman
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Wagenbach Verlag Berlin 2009
152 Seiten, 16,90 Euro
Marin hat gesessen, drei Jahre sogar, und Pierre hat ihn nicht ein einziges Mal besucht. Solche Dinge verzeiht jemand wie Marin nicht so leicht. Er ist schließlich der Boss. Pierre weiß das und lässt sich nach ein paar gemeinsamen Stunden am Tresen widerstandslos zusammenschlagen. Damit scheinen die Verhältnisse geklärt zu sein. Schon am nächsten Tag ist alles wie immer: Pierre, der gutmütige Andrei und Marin gehören zur selben "Familie" und tun das, was Marin befiehlt.
Im Hintergrund zieht ein siecher Patriarch, genannt "der Onkel", die Fäden. An seinem Krankenbett wird entschieden, dass es Zeit für eine ganz große Nummer ist: Die drei sollen gemeinsam mit Marins Ehefrau Jeanne das Casino der kleinen Küstenstadt ausräumen. Ein ehrgeiziger Plan entsteht, und als Technikexperte stößt Lucho hinzu. Die ergatterten Millionen sollen per ferngesteuertem Heißluftballon vom Dach des Casinos abtransportiert werden. Wenn das kein absolut perfekter Einfall ist.
Tanguy Viels Roman kommt daher wie eine Gangstergeschichte und entpuppt sich bald als ein schillerndes Genreexperiment. Aus Elementen des Krimis und der Schwarzen Serie fabriziert der bretonische Schriftsteller, 1973 in Brest geboren, Verfasser mehrerer Romane und cineastisch sehr versiert, ein formal hochkomplexes Gebilde, das eine ungeheure Spannung entfaltet. Das liegt an dem Ich-Erzähler Pierre, einem verkrachten Kleinverbrecher, der zunächst eher Mitleid erweckt, nach und nach aber sein wahres Gesicht zeigt.
Beinahe ohne es zu merken, beginnt der Leser, wie ein Psychologe auf die Untertöne in Pierres Darstellung zu lauschen und sich ein Bild von dem nur zum Teil zuverlässigen Auskunftgeber zu machen. Obwohl man von Anfang an ahnt, dass die Sache schiefgegangen sein muss, denn Pierre klingt nicht wie ein siegesgewisser Hallodri in "Ocean’s Eleven"-Manier, gelingt es Viel, die Dramatik immer wieder neu zu schüren.
Genau wie Andrei steht Pierre unter der Fuchtel des Anführers, leidet unter seiner Abhängigkeit, zweifelt an dem Projekt, und als der "Onkel" dann wenige Tage vor der großen Aktion stirbt, schlägt er sogar vor, die gesamte Aktion abzublasen. Aber sie ziehen es durch. Während die Provinzmafiosi in ihr Verderben schlittern, steigert sich die erzählerische Virtuosität des Autors noch einmal: Den Überfall auf das Casino als eine mit dem Richter unter großem Polizei- und Medienaufgebot nachgespielte Version zu entspinnen, wie es im zweiten Hauptteil des Romans dann passiert, ist einfach ein genialer Schachzug. Nun weiß der Leser längst, dass die Angelegenheit den Bach runter ging – dennoch verfolgt man mit angehaltenem Atem den Ablauf. Und wieder verblüfft uns Viel: Es lief nämlich alles wie am Schnürchen. Aber jemand hatte geplaudert.
Am Ende verdichtet sich Tanguy Viels Roman zu einer Parabel über Freundschaft, Verrat und Rache. Einen Showdown, der es in sich hat, liefert er auch noch nach, Autojagd und spektakulärer Abgang am Cliff inbegriffen. Der melancholisch-abgebrühte Tonfall Pierres, von Hinrich Schmidt-Henkel im Deutschen wunderbar getroffen, klingt eine Weile nach. Über das bittere Ende hinaus.
Besprochen von Maike Albath
Tanguy Viel: Das absolut perfekte Verbrechen
Roman
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Wagenbach Verlag Berlin 2009
152 Seiten, 16,90 Euro