Zeit für die politische Vollbremsung

Außenminister Guido Westerwelle: Wenn Er könnte er eine entscheidende Rolle für die Zukunft des Nahen und Mittleren Osten übernehmen, glaubt Albrecht Metzger.
Außenminister Guido Westerwelle: Wenn Er könnte er eine entscheidende Rolle für die Zukunft des Nahen und Mittleren Osten übernehmen, glaubt Albrecht Metzger. © picture alliance / dpa (Jörg Carstensen)
Von Albrecht Metzger |
Außenminister Westerwelle fordert mantrahaft eine politische Lösung für den Syrienkonflikt. Er sollte endlich handeln, fordert der Publizist Albrecht Metzger. Denn Deutschland habe die erfolgversprechendsten diplomatischen Kontakte im Nahen und Mittleren Osten.
Machen wir uns nichts vor: Außenpolitik ist Interessenpolitik. Wenn die USA ihre Raketen abfeuern, dann nicht aus Nächstenliebe, sondern weil Präsident Obama seine Glaubwürdigkeit wahren will. Der Einsatz von Giftgas war die rote Linie, die er gezogen hat, jetzt muss er Wort halten. Aber diese Geschosse werden das Regime nicht stürzen. Dazu bedürfte es einer amerikanischen Invasion, die nicht kommen wird. Und das ist gut so.

Die wirklich bedeutende Frage lautet deshalb: Was kommt nach einem Militärschlag?

Der Nahe und Mittlere Osten hat genug von Gewalt, sie dauert seit Jahrzehnten an. Kriege, Revolten, Coup d´Etats, verdeckte Operationen von CIA und MI6 – die anhaltende Gewalt hat keinen Frieden, sondern den Märtyrerkult zum Blühen gebracht. Wohin soll das führen, außer in den Abgrund? Im Libanon existieren die gleichen Konfliktlinien wie in Syrien, Jordanien nimmt so viele Flüchtlinge auf, dass sie bald ein Viertel der Bevölkerung ausmachen werden. Beide Länder werden daran zerbrechen, wenn nicht etwas geschieht.

Es ist Zeit für eine Vollbremsung – mit anschließendem Neustart. Es ist Zeit für Lösungen jenseits des Faustrechts. Diese Alternative gibt es: Sie heißt Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren Osten, nach dem europäischen Modell der KSZE. Alle Länder in der Region müssen sich an einen Tisch setzen, zusammen mit den USA und Russland, dazu die EU. Alle Konflikte müssen auf den Tisch: der Bürgerkrieg in Syrien, der Nahostkonflikt, das iranische Atomprogramm, die Belange der Kurden, die Frage nach Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit.

"Illusion", werden alle schreien. Und wenn schon. Illusionen können Visionen und schließlich Wirklichkeit werden.

Die Bundesrepublik muss stärker als Vermittlerin auftreten
Es gibt konkrete Schritte, die zur Anbahnung einer solchen Konferenz nötig sind. An erster Stelle steht folgende Erkenntnis: Ohne die Islamische Republik Iran wird es keine Lösung dieser Konflikte geben. Der Iran ist eine Regionalmacht, die sich nicht wegzaubern lässt. Ein deutscher Diplomat hat das einmal so ausgedrückt: "Es ist schwer, mit den Iranern zu verhandeln. Aber ohne sie geht gar nichts."

Es gibt jedoch eine Iran-Bremse, und die heißt USA. Die Amerikaner verhalten sich wie ein großes Kind, das stärker ist alle anderen: Sie verprügeln brutal ihre Mitschüler, sind aber Jahrzehnte lang beleidigt, wenn jemand es wagt, ihnen an den Ohren zu ziehen. Erst kürzlich hat die CIA Dokumente freigegeben, die belegen, dass der amerikanische Geheimdienst 1953 den gewählten iranischen Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh zu Fall gebracht hat. Das führte zur Rückkehr des despotischen Schahs. Ein wichtiger Grund für den Amerika-Hass, der sich später in der Islamischen Revolution entlud.

Schlimmer noch, die USA haben Saddam Hussein gedeckt, als er im Iran-Irak-Krieg zigtausende Iraner mit Chemiewaffen vergaste. Trotzdem sehen sich die Amerikaner in der Opferrolle – weil islamische Revolutionäre 1980 einige hundert amerikanische Diplomaten in Teheran in Geiselhaft nahmen.

Es braucht ein Land mit eigener Kriegserfahrung, ein Land, das dadurch zu mehr Demut gefunden hat, um diesen gordischen Knoten zu zerschlagen: Es braucht Deutschland. Außenminister Westerwelle fordert mantrahaft eine politische Lösung für den Syrienkonflikt. Er hat Recht. Er sollte handeln.

Kein westliches Land mit Gewicht verfügt über so gute Beziehungen zum Iran wie die Bundesrepublik. Auch Russland, das bei der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen und Mittleren im Fahrerstuhl sitzen muss, traut Deutschland mehr als Amerikanern oder Briten. Mit anderen Worten: Die Bundesregierung muss stärker als Vermittlerin auftreten. Nicht mit Bravado, das könnte die Angst vor teutonischer Großmannssucht wecken. Sondern hinter den Kulissen.

Wir müssen aufhören, Visionen für unmöglich zu erklären. Die Alternative wären Krieg und der Zerfall des nahöstlichen Staatensystems.


Albrecht Metzger, geboren 1966 in Hamburg, Studium der Islamwissenschaft, Geschichte und Politikwissenschaft. Metzger ist Buchautor und Journalist, u.a. für ZEIT, Deutschlandradio und NDR.
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