Zeit für Zeitmaschinen
Der Schriftsteller Sten Nadolny ("Die Entdeckung der Langsamkeit") begibt sich gern auf Zeitreisen. Sie hätten ihn schon immer fasziniert, sagte der Bestseller-Autor. So gehörten "Terminator", "Zurück in die Zukunft" und "Ghost - Nachricht von Sam" zu seinen Lieblingsfilmen.
Joachim Scholl: Ein pensionierter Richter kentert mit seinem Boot auf dem Chiemsee. Aber er stirbt nicht durch Ertrinken, sondern wird plötzlich um 50 Jahre zurückversetzt und begleitet nun als Geist den Jungen, der er einst war. Und dessen Lebenslauf wird durch die Luftexistenz verändert, und so findet er sich später, als er wieder als Rentner erwacht, in einer anderen Rolle wieder: Jetzt ist er ein Schriftsteller, der ziemlich viel mit dem Autor teilt, der ihn erfunden hat. Und das ist Sten Nadolny und "Weitlings Sommerfrische" heißt sein Buch, das gerade frisch erschienen ist. Willkommen im Deutschlandradio Kultur, Herr Nadolny!
Sten Nadolny: Guten Tag, Herr Scholl!
Scholl: Das Schöne, Spannende an Ihrer Literatur ist auch, Herr Nadolny, dass man sich stets fragt, wenn ein neues Buch erscheint, was hat er sich wohl jetzt wieder ausgedacht. Und man ist jedes Mal aufs Neue überrascht. Jetzt bei diesem Roman dürfte die Verblüffung Ihrer vielen Leser noch größer sein: Huch, Science-Fiction, könnte man sagen, Zeitreise mit Sten Nadolny, das gab's noch nicht! Wie kam's?
Nadolny: Na ja, es trifft natürlich zu, dass ich mich ungern selber beim Schreiben langweile, und deswegen neige ich dazu, mich nicht zu wiederholen. Aber mich haben tatsächlich immer Zeitreisen sehr interessiert. Ich habe gerne Filme angesehen, die davon handelten, und habe H. G. Wells gelesen, "Die Zeitmaschine" und so weiter, habe auch kleine Zeitmaschinen-Geschichten geschrieben. Aber für die Schublade. Und jetzt, dachte ich, wird es mal Zeit, so etwas zu machen.
Scholl: Das Motiv der Zeitreise ist gerade im Film populär. Also, ich habe sofort an "Zurück in die Zukunft" gedacht oder "Ghost, Nachricht von Sam" oder auch sogar der düstere "Terminator", dann gedacht, ob sich das Sten Nadolny vielleicht angesehen hat?
Nadolny: Das sind drei, ja doch, man kann sagen Lieblingsfilme von mir. Wobei der "Zurück in die Zukunft" vielleicht ein bisschen zu klamaukig ist, aber lustig ist er auch. Und es wird in jedem Fall auf intelligente Weise dieses Problem der Zeitversetzung und die Frage des "kann man was ändern oder nicht" artikuliert.
Scholl: Ihr Buch kommt sehr leichtfüßig daher. Es ist ein ganz ruhiger Erzählfluss, der aber beim Leser - zumindest ging es mir so - in tiefste Winkel dringt. Man schweift nämlich immer ab unwillkürlich, stellt sich vor, wie es wäre, wenn es einem selbst passiert. Nun enthält das Buch viel von Ihrem eigenen Leben, Ihrer Biografie, Herr Nadolny, darauf kommen wir noch, aber wie erging es Ihnen beim Schreiben? Kamen Sie da nicht auch ständig ins Träumen, wie das wohl wirklich wäre?
Nadolny: Ja, das musste ich ja, das war sozusagen ein Pflichtträumen, das ist mein Beruf, dass ich mir das dann wirklich ganz genau ausmale: Wie wäre es, wenn ... Und das ist ja sehr reizvoll. Man kommt dann auf bestimmte Probleme, die zu lösen sind, die auch dann literarisch zu lösen sind. Zum Beispiel, auf welche Weise kann man aus so einer Situation eigentlich wieder entkommen, was muss da jetzt erfunden werden? Das ist die Frage dessen, dem so was passiert. Glücklicherweise passiert es uns nicht, ist ja utopisch. Aber es ist auch die Frage des Autors.
Scholl: Witzigerweise kann Ihr Held Wilhelm Weitling sich als Geist bemerkbar machen. Er kann kommunizieren, aber nur mit einem - auch eine Pointe -, mit dem dementen Großvater, dem er im Schlaf etwas flüstern kann förmlich. Und genau das passiert dann später nochmals, als sich des Schriftstellers Leben dem Ende zuneigt, da hört er nachts plötzlich die Stimme der Enkelin aus dem Jahr 2072. Und das Wort "Sommerfrische", ja, das wird dann zum Synonym für dieses Form von Parallelexistenz. Und das ist natürlich so der Gedanke, es gibt mehr Welten, als wir uns vorstellen können, nicht wahr?
Nadolny: Das glaube ich sowieso, wir werden sie bloß nicht so leicht auffinden und definieren können. Aber dass da einiges parallel läuft und dass es vor allen Dingen furchtbar viel gibt, was wir gar nicht wissen, das macht mich so sicher, dass es eigentlich legitim ist, sich die unmöglichsten Dinge auszudenken: Sie könnten wahr sein!
Scholl: Was mir noch aufgefallen ist: Als Geist geht Wilhelm Weitling ja nochmals mit zur Schule und sieht die Lehrer, macht Klassenarbeiten mit, aber er kann nichts riechen. Und das ist eigentlich gemein, wo doch gerade so der Geruchssinn oder das Schmecken à la Marcel Proust so das Medium der Erinnerung ist. Aber das haben Sie ihm versagt!
Nadolny: Ja, ich weiß schon, warum ich ihm das versagt habe. Natürlich erstens, weil er nicht im Besitz all seiner Sinne und Fähigkeiten sein kann, wenn er körperlos ist. Es genügt schon, dass er sehen kann, was los ist, aber das Riechen habe ich ihm verboten. Und außerdem habe ich ja dadurch die Möglichkeit, dass dieser Geist sich an die Gerüche erinnert. Er sagt, wie schade, dass ich nichts riechen kann, denn ich weiß ja, wie unsere Schule gerochen hat. Und dann beschreibt er sehr genau, wie eine Schule riecht. Diese Erinnerung teilt er mit vielen anderen Leuten auch.
Scholl: "Weitlings Sommerfrische" heißt der neue Roman von Sten Nadolny, und er ist hier im Deutschlandradio Kultur mit uns im Gespräch. Sie haben diesem Wilhelm Weitling sehr viel Autobiografisches mitgegeben, Herr Nadolny, er teilt Ihr Geburtsjahr, die oberbayerische Herkunft, Geburtsort, in Traunstein sind Sie beide zur Schule gegangen und im Alter leben Sie gemeinsam in Berlin und am Chiemsee, wo man Sie auch oft im Segelboot beobachten kann, wie wir jetzt wissen oder wie jeder Leser jetzt erfährt. Ist dieser Roman so etwas wie eine philosophische Selbstvergewisserung des Sten Nadolny, so ein autobiografisches Spiel mit der eigenen Identität?
Nadolny: Also, ein Spiel ist es in jedem Fall, das hat auch Spaß gemacht, mit dem autobiografischen Material zu spielen. Eine Selbstvergewisserung, na ja, das klingt mir ein bisschen zu seriös, fast ein bisschen zu angestrengt. Also, eine Psychoanalyse ist es nicht. Und so furchtbar viel verrate ich auch nicht über den wahren Sten Nadolny, so einen Striptease möchte ich da nicht machen. Es ist ein, es ist eher ... Ja, warum habe ich das sehr stark an die eigene Biografie angelehnt, weil ich auch kleine Denkmäler setzen will. Die zwar nicht stören beim Lesen, wenn man die betreffenden Leute nicht kennt, aber die mich erfreuen, weil ich sie untergebracht habe, eingeschmuggelt habe, und natürlich die Betreffenden freuen. Nun habe ich nur hauptsächlich Toten Denkmäler gesetzt, die, weiß nicht, ob die sich freuen. Aber andere, die die gekannt haben, die sagen, das gibt's ja nicht, der kommt da vor, den kenne ich!
Scholl: Na, wer weiß, ob sie wirklich tot sind?
Nadolny: Noch nicht mal das wissen wir ganz genau!
Scholl: Millionen Leser, Herr Nadolny, verbinden weltweit Ihren Namen mit dem Roman "Die Entdeckung der Langsamkeit", 1983 ist der erschienen. Und wenn man jetzt im neuen Roman liest, wie der spätere Schriftsteller Wilhelm Weitling charakterisiert wird, der nämlich auch mal einen Bestseller gelandet hat, da heißt es: Danach verlor er den Kontakt zum großen Publikum wieder, aber er blieb ein Name. Dann macht man sofort einen dicken Bleistiftstrich unter diesem Satz und sagt, aha, das ist ein Kommentar zu Ihrem Superknüller, oder?
Nadolny: Ja, da sind gewisse Parallelen deutlich zu sehen. Ich habe da Gelegenheit genommen, so ein bisschen selbstironisch zu werden und mich selbst etwas auf die Schippe zu nehmen, aber so dezent, dass es nicht gerade stört. Also, es ist nicht die Absicht dieses Buches, irgendwann auf mich zu kommen und ausführlich über mich selbstironisch oder selbstkritisch zu reden. Aber so was musste einfach sein. Ich glaube, dass dieser Satz, den Sie zitiert haben, auch die Situation durchaus trifft.
Scholl: Dem Kollegen Richard Kämmerlings von der Zeitung "Die Welt" haben Sie kürzlich so einen hübschen Satz im Interview geschenkt: Ich bin mir selber gar nicht so wichtig, wie es vielleicht den Anschein hat; ich habe eine große Angst davor, dass das, was ich über mich selbst mitteile, keine Sau interessiert. - Da muss man lachen, aber gleichzeitig denkt man, der Mann ist weltberühmt, klingt ein bisschen kokett vielleicht, natürlich interessiert das, was so jemand wie Sie zu sagen hat über das eigene Leben!
Nadolny: Also, die Tatsache, dass jemand bekannt, berühmt oder was auch immer ist, heißt noch nicht, dass das reine Ausbreiten seiner Biografie so furchtbar weit führt. Also, natürlich, Fans würden das lesen, aber wer hat schon Fans. Das haben wirkliche Stars von der Bühne, aus dem Fernsehen, aus dem Film vor allen Dingen, da möchte man alles wissen, was die erlebt haben und wie die das kommentieren. Aber ein Schriftsteller, das finde ich ja sehr gut an meinem Beruf, hat die Möglichkeit, nicht nur sich selber zu erfinden, sondern auch Figuren zu erfinden, hinter denen er zurücktritt. Und er selber genießt es eigentlich, sich nicht in den Vordergrund zu schieben. Ich langweile mich, wenn ich einfach nur aufzähle, was für ein Ding nach dem anderen passiert ist in meinem Leben. Ich glaube nicht, dass das auch so viel Stoff zum Nachdenken gibt.
Scholl: Ihren Helden Weitling lassen Sie 70 Jahre alt werden. In gut zwei Monaten wird man Ihren 70. Geburtstag feiern, Sten Nadolny. Im Roman gibt es eine nette Grillparty am See. Inwieweit hat diese Fantasie Aussicht auf Verwirklichung?
Nadolny: Die hat keine Aussicht auf Verwirklichung, weil ich das unterbinden werde. Ich feiere meinen 70. Geburtstag einfach nicht. Ich habe beschlossen, ihn mit dem 80. zusammenzulegen und dann ordentlich zu feiern!
Scholl: Sten Nadolny, ich danke Ihnen für Ihren Besuch und das Gespräch! Und "Weitlings Sommerfrische", der Roman von Sten Nadolny, der ist jetzt im Piper Verlag erschienen mit 218 Seiten zum Preis von 16,99 Euro. Und wer jetzt Lust auf dieses Buch und des Autors Stimme auch bekommen hat: Sten Nadolny ist derzeit auf Lesereise durch Deutschland, am Mittwoch liest er in Leipzig im Haus des Buches, am Donnerstag im Literaturhaus Hannover und dann folgen bis zum 20. Juni weitere Termine in Braunschweig, Hamburg, Köln, Düsseldorf, in Zürich, Freiburg und in Tübingen. Auch dafür Ihnen alles Gute, Herr Nadolny, schön, dass Sie da waren!
Nadolny: Ich danke Ihnen, Herr Scholl!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Link auf dradio.de:
Zeitreise ins Alter Ego - Sten Nadolny: "Weitlings Sommerfrische", Piper Verlag, München 2012, 220 Seiten (Deutschlandradio Kultur, Kritik)
Sten Nadolny: Guten Tag, Herr Scholl!
Scholl: Das Schöne, Spannende an Ihrer Literatur ist auch, Herr Nadolny, dass man sich stets fragt, wenn ein neues Buch erscheint, was hat er sich wohl jetzt wieder ausgedacht. Und man ist jedes Mal aufs Neue überrascht. Jetzt bei diesem Roman dürfte die Verblüffung Ihrer vielen Leser noch größer sein: Huch, Science-Fiction, könnte man sagen, Zeitreise mit Sten Nadolny, das gab's noch nicht! Wie kam's?
Nadolny: Na ja, es trifft natürlich zu, dass ich mich ungern selber beim Schreiben langweile, und deswegen neige ich dazu, mich nicht zu wiederholen. Aber mich haben tatsächlich immer Zeitreisen sehr interessiert. Ich habe gerne Filme angesehen, die davon handelten, und habe H. G. Wells gelesen, "Die Zeitmaschine" und so weiter, habe auch kleine Zeitmaschinen-Geschichten geschrieben. Aber für die Schublade. Und jetzt, dachte ich, wird es mal Zeit, so etwas zu machen.
Scholl: Das Motiv der Zeitreise ist gerade im Film populär. Also, ich habe sofort an "Zurück in die Zukunft" gedacht oder "Ghost, Nachricht von Sam" oder auch sogar der düstere "Terminator", dann gedacht, ob sich das Sten Nadolny vielleicht angesehen hat?
Nadolny: Das sind drei, ja doch, man kann sagen Lieblingsfilme von mir. Wobei der "Zurück in die Zukunft" vielleicht ein bisschen zu klamaukig ist, aber lustig ist er auch. Und es wird in jedem Fall auf intelligente Weise dieses Problem der Zeitversetzung und die Frage des "kann man was ändern oder nicht" artikuliert.
Scholl: Ihr Buch kommt sehr leichtfüßig daher. Es ist ein ganz ruhiger Erzählfluss, der aber beim Leser - zumindest ging es mir so - in tiefste Winkel dringt. Man schweift nämlich immer ab unwillkürlich, stellt sich vor, wie es wäre, wenn es einem selbst passiert. Nun enthält das Buch viel von Ihrem eigenen Leben, Ihrer Biografie, Herr Nadolny, darauf kommen wir noch, aber wie erging es Ihnen beim Schreiben? Kamen Sie da nicht auch ständig ins Träumen, wie das wohl wirklich wäre?
Nadolny: Ja, das musste ich ja, das war sozusagen ein Pflichtträumen, das ist mein Beruf, dass ich mir das dann wirklich ganz genau ausmale: Wie wäre es, wenn ... Und das ist ja sehr reizvoll. Man kommt dann auf bestimmte Probleme, die zu lösen sind, die auch dann literarisch zu lösen sind. Zum Beispiel, auf welche Weise kann man aus so einer Situation eigentlich wieder entkommen, was muss da jetzt erfunden werden? Das ist die Frage dessen, dem so was passiert. Glücklicherweise passiert es uns nicht, ist ja utopisch. Aber es ist auch die Frage des Autors.
Scholl: Witzigerweise kann Ihr Held Wilhelm Weitling sich als Geist bemerkbar machen. Er kann kommunizieren, aber nur mit einem - auch eine Pointe -, mit dem dementen Großvater, dem er im Schlaf etwas flüstern kann förmlich. Und genau das passiert dann später nochmals, als sich des Schriftstellers Leben dem Ende zuneigt, da hört er nachts plötzlich die Stimme der Enkelin aus dem Jahr 2072. Und das Wort "Sommerfrische", ja, das wird dann zum Synonym für dieses Form von Parallelexistenz. Und das ist natürlich so der Gedanke, es gibt mehr Welten, als wir uns vorstellen können, nicht wahr?
Nadolny: Das glaube ich sowieso, wir werden sie bloß nicht so leicht auffinden und definieren können. Aber dass da einiges parallel läuft und dass es vor allen Dingen furchtbar viel gibt, was wir gar nicht wissen, das macht mich so sicher, dass es eigentlich legitim ist, sich die unmöglichsten Dinge auszudenken: Sie könnten wahr sein!
Scholl: Was mir noch aufgefallen ist: Als Geist geht Wilhelm Weitling ja nochmals mit zur Schule und sieht die Lehrer, macht Klassenarbeiten mit, aber er kann nichts riechen. Und das ist eigentlich gemein, wo doch gerade so der Geruchssinn oder das Schmecken à la Marcel Proust so das Medium der Erinnerung ist. Aber das haben Sie ihm versagt!
Nadolny: Ja, ich weiß schon, warum ich ihm das versagt habe. Natürlich erstens, weil er nicht im Besitz all seiner Sinne und Fähigkeiten sein kann, wenn er körperlos ist. Es genügt schon, dass er sehen kann, was los ist, aber das Riechen habe ich ihm verboten. Und außerdem habe ich ja dadurch die Möglichkeit, dass dieser Geist sich an die Gerüche erinnert. Er sagt, wie schade, dass ich nichts riechen kann, denn ich weiß ja, wie unsere Schule gerochen hat. Und dann beschreibt er sehr genau, wie eine Schule riecht. Diese Erinnerung teilt er mit vielen anderen Leuten auch.
Scholl: "Weitlings Sommerfrische" heißt der neue Roman von Sten Nadolny, und er ist hier im Deutschlandradio Kultur mit uns im Gespräch. Sie haben diesem Wilhelm Weitling sehr viel Autobiografisches mitgegeben, Herr Nadolny, er teilt Ihr Geburtsjahr, die oberbayerische Herkunft, Geburtsort, in Traunstein sind Sie beide zur Schule gegangen und im Alter leben Sie gemeinsam in Berlin und am Chiemsee, wo man Sie auch oft im Segelboot beobachten kann, wie wir jetzt wissen oder wie jeder Leser jetzt erfährt. Ist dieser Roman so etwas wie eine philosophische Selbstvergewisserung des Sten Nadolny, so ein autobiografisches Spiel mit der eigenen Identität?
Nadolny: Also, ein Spiel ist es in jedem Fall, das hat auch Spaß gemacht, mit dem autobiografischen Material zu spielen. Eine Selbstvergewisserung, na ja, das klingt mir ein bisschen zu seriös, fast ein bisschen zu angestrengt. Also, eine Psychoanalyse ist es nicht. Und so furchtbar viel verrate ich auch nicht über den wahren Sten Nadolny, so einen Striptease möchte ich da nicht machen. Es ist ein, es ist eher ... Ja, warum habe ich das sehr stark an die eigene Biografie angelehnt, weil ich auch kleine Denkmäler setzen will. Die zwar nicht stören beim Lesen, wenn man die betreffenden Leute nicht kennt, aber die mich erfreuen, weil ich sie untergebracht habe, eingeschmuggelt habe, und natürlich die Betreffenden freuen. Nun habe ich nur hauptsächlich Toten Denkmäler gesetzt, die, weiß nicht, ob die sich freuen. Aber andere, die die gekannt haben, die sagen, das gibt's ja nicht, der kommt da vor, den kenne ich!
Scholl: Na, wer weiß, ob sie wirklich tot sind?
Nadolny: Noch nicht mal das wissen wir ganz genau!
Scholl: Millionen Leser, Herr Nadolny, verbinden weltweit Ihren Namen mit dem Roman "Die Entdeckung der Langsamkeit", 1983 ist der erschienen. Und wenn man jetzt im neuen Roman liest, wie der spätere Schriftsteller Wilhelm Weitling charakterisiert wird, der nämlich auch mal einen Bestseller gelandet hat, da heißt es: Danach verlor er den Kontakt zum großen Publikum wieder, aber er blieb ein Name. Dann macht man sofort einen dicken Bleistiftstrich unter diesem Satz und sagt, aha, das ist ein Kommentar zu Ihrem Superknüller, oder?
Nadolny: Ja, da sind gewisse Parallelen deutlich zu sehen. Ich habe da Gelegenheit genommen, so ein bisschen selbstironisch zu werden und mich selbst etwas auf die Schippe zu nehmen, aber so dezent, dass es nicht gerade stört. Also, es ist nicht die Absicht dieses Buches, irgendwann auf mich zu kommen und ausführlich über mich selbstironisch oder selbstkritisch zu reden. Aber so was musste einfach sein. Ich glaube, dass dieser Satz, den Sie zitiert haben, auch die Situation durchaus trifft.
Scholl: Dem Kollegen Richard Kämmerlings von der Zeitung "Die Welt" haben Sie kürzlich so einen hübschen Satz im Interview geschenkt: Ich bin mir selber gar nicht so wichtig, wie es vielleicht den Anschein hat; ich habe eine große Angst davor, dass das, was ich über mich selbst mitteile, keine Sau interessiert. - Da muss man lachen, aber gleichzeitig denkt man, der Mann ist weltberühmt, klingt ein bisschen kokett vielleicht, natürlich interessiert das, was so jemand wie Sie zu sagen hat über das eigene Leben!
Nadolny: Also, die Tatsache, dass jemand bekannt, berühmt oder was auch immer ist, heißt noch nicht, dass das reine Ausbreiten seiner Biografie so furchtbar weit führt. Also, natürlich, Fans würden das lesen, aber wer hat schon Fans. Das haben wirkliche Stars von der Bühne, aus dem Fernsehen, aus dem Film vor allen Dingen, da möchte man alles wissen, was die erlebt haben und wie die das kommentieren. Aber ein Schriftsteller, das finde ich ja sehr gut an meinem Beruf, hat die Möglichkeit, nicht nur sich selber zu erfinden, sondern auch Figuren zu erfinden, hinter denen er zurücktritt. Und er selber genießt es eigentlich, sich nicht in den Vordergrund zu schieben. Ich langweile mich, wenn ich einfach nur aufzähle, was für ein Ding nach dem anderen passiert ist in meinem Leben. Ich glaube nicht, dass das auch so viel Stoff zum Nachdenken gibt.
Scholl: Ihren Helden Weitling lassen Sie 70 Jahre alt werden. In gut zwei Monaten wird man Ihren 70. Geburtstag feiern, Sten Nadolny. Im Roman gibt es eine nette Grillparty am See. Inwieweit hat diese Fantasie Aussicht auf Verwirklichung?
Nadolny: Die hat keine Aussicht auf Verwirklichung, weil ich das unterbinden werde. Ich feiere meinen 70. Geburtstag einfach nicht. Ich habe beschlossen, ihn mit dem 80. zusammenzulegen und dann ordentlich zu feiern!
Scholl: Sten Nadolny, ich danke Ihnen für Ihren Besuch und das Gespräch! Und "Weitlings Sommerfrische", der Roman von Sten Nadolny, der ist jetzt im Piper Verlag erschienen mit 218 Seiten zum Preis von 16,99 Euro. Und wer jetzt Lust auf dieses Buch und des Autors Stimme auch bekommen hat: Sten Nadolny ist derzeit auf Lesereise durch Deutschland, am Mittwoch liest er in Leipzig im Haus des Buches, am Donnerstag im Literaturhaus Hannover und dann folgen bis zum 20. Juni weitere Termine in Braunschweig, Hamburg, Köln, Düsseldorf, in Zürich, Freiburg und in Tübingen. Auch dafür Ihnen alles Gute, Herr Nadolny, schön, dass Sie da waren!
Nadolny: Ich danke Ihnen, Herr Scholl!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Zeitreise ins Alter Ego - Sten Nadolny: "Weitlings Sommerfrische", Piper Verlag, München 2012, 220 Seiten (Deutschlandradio Kultur, Kritik)