Vorsichtige Schritte zur Demokratie
22:28 Minuten
Monatelange Proteste - nun ist Umar Al-Baschir nach 30 Jahren weg. Im Sudan teilen sich Militär und Opposition die Macht. In drei Jahren soll es Wahlen geben. Gelingt der Wandel zur Demokratie, kann er ein Symbol für den ganzen Kontinent sein.
Trommeln, Tänze, Freudentaumel – mitten in der Nacht strömen Tausende Sudanesen auf die Straßen, feiern in der Hauptstadt Khartoum. Monate lang haben sie gegen das alte Regime protestiert, freie Wahlen und eine zivile Regierung gefordert.
Am frühen Morgen des 5. Juli dann die lang ersehnte Nachricht: Das Militär und die Opposition haben sich auf eine Teilung der Macht geeinigt. Hanan Othman aus Khartoum ist erleichtert:
"Wir danken Gott für diesen Sieg. Sieben Monate lang haben die Menschen darauf gewartet. Wenn jetzt die Demonstranten aufeinandertreffen, sind die Gefühle unbeschreiblich – einfach unbeschreiblich schön!"
Ende Juni hatte die Opposition zu einem Massenprotest gegen die Herrschaft des Militärs aufgerufen. Hunderttausende Sudanesen waren auf die Straße gegangen, obwohl das Internet weitgehend abgeschaltet war. Kurz darauf setzten sich Vertreter der beiden Konfliktparteien wieder an einen Tisch – zwei Tage lang, hinter verschlossenen Türen, mit Vermittlern aus Sudans Nachbarland Äthiopien und der Afrikanischen Union. Das Ergebnis: ein politischer Kompromiss – verkündet kurz nach Mitternacht von Schlichter Mohammed Al-Hassan Lebat:
"Die beiden Seiten haben sich darauf geeinigt, einen souveränen Rat zu bilden, den sich Militärs und Zivilisten für drei Jahre oder etwas länger teilen."
Ziele der Übergangsregierung: Frieden und Täter finden
Je fünf Vertreter der Streitkräfte und der Zivilgesellschaft sollen dazugehören – sowie ein Mitglied, das Zivilist ist, aber eine Vergangenheit in der Armee hat. Nach drei Jahren unter wechselnder Führung soll es Wahlen geben. Omar al-Digair von der Oppositionsbewegung sieht die Einigung als Chance:
"Diese Übereinkunft ebnet den Weg für die Bildung einer Übergangsführung, die das Vakuum im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben füllt. Eine der Prioritäten ist es, Frieden zu stiften und herauszufinden, wer die Demonstranten getötet hat, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen."
Ein Massaker in der Hauptstadt Khartoum hatte einen Monat zuvor das Land erschüttert. Mehr als 120 Menschen waren nach Angaben von Ärzten getötet worden, als bewaffnete Kräfte des Militärrates am frühen Morgen des 3. Juni das Protestlager der Opposition in Khartoum stürmten: Männer, Frauen und Kinder, die am Sitzstreik teilnehmen, rannten um ihr Leben – auch Amal.
Amals Arme sind fest bandagiert. Die zierliche Frau kann ihre rechte Hand nur mit Mühe bewegen; in der linken fehlt ihr jedes Gefühl. Ob die Gitarren-Lehrerin jemals wieder ihr Instrument spielen kann, ist ungewiss. Trotzdem empfängt die Mutter von vier Kindern ihre Gäste mit einem Lachen.
Opfer des Massakers am 3. Juni in Khartoum
Amal erzählt, was am 3. Juni passiert ist. Sie war dabei, als der friedliche Protest tausender Sudanesen gegen das alte System in einem Blutbad endete.
"Die Angriffe auf uns haben auf der Nilstraße begonnen. Die Jugendlichen sind auf die Brücke geflohen. Aber die Angreifer sind ihnen gefolgt. Ich wusste, dass etwas Schlimmes geschieht."
Amal hört Schüsse. Sie und andere Demonstranten vor dem Hauptquartier der Streitkräfte versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Bewaffnete Männer schlagen auf sie ein. Amal hält sich die Arme vor ihr Gesicht.
"Als meine Arme gebrochen waren, begannen sie, mir auf den Kopf zu schlagen. Ich bin zu Boden gefallen. Als ich auf dem Boden lag, kamen die Männer und traten mich. Sie beschimpften uns. Einer von ihnen fragte mich: Was hast Du? Ich sagte: Meine Arme sind gebrochen. Und er erwiderte: Deine Arme sind nicht gebrochen. Niemand hat sie Dir gebrochen.
Nach stundenlangem Umherirren, erzählt Amal, findet sie den Weg in ein Krankenhaus. Aber sie wird nicht behandelt: Die Klinik ist voll von Menschen mit Schusswunden und lebensgefährlichen Verletzungen. Viele von ihnen sterben in dieser Nacht. Freiwillige Helfer schreiben Amals Namen auf, verschicken ihn über WhatsApp. Ein Nachbar liest die Nachricht, holt Amal ab und bringt sie nach Hause. Kurze Zeit später wird das Internet abgeschaltet.
War die "schnelle Eingreiftruppe" verantwortlich?
Wer genau die Proteste vor dem Militärhauptquartier in Khartoum niedergeschlagen hat, ist unklar. Viele Sudanesen machen die so genannte Schnelle Eingreiftruppe für die Gewalt verantwortlich. Unter dem alten System waren sie und andere Milizen stark geworden. Dem Anführer der Schnellen Eingreiftruppe, Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemeti, werden Gräueltaten vorgeworfen, vor allem während des Bürgerkriegs in der Region Darfur. Direkt nach der Einigung mit der Opposition gibt sich Hemeti gemäßigt:
"Wir wollen allen politischen Kräften, bewaffneten Gruppen, allen Jugendlichen und Frauen, die sich am Wandel beteiligten, versichern, dass diese Vereinbarung umfassend ist und niemanden ausschließt. Und dass sie dem Ziel des sudanesischen Volkes und seiner Revolution gerecht wird."
Hemeti kommandiert Tausende bewaffnete Kämpfer. Nach dem Sturz von Langzeitherrscher Omar Al-Baschir im April hat er es bis an die Spitze des Militärischen Übergangrates geschafft: als Stellvertreter von Abdel Fattah Al-Burhan. Dass Hemeti den Sudan in eine neue Zeit führen wird, glauben nur wenige: Einheiten seiner Schnellen Eingreiftruppe haben an jeder großen Straßenecke in Khartoum Stellung bezogen. Hemeti untermauert seinen Machtanspruch mit öffentlichen Auftritten – inszeniert wie die eines Staatsoberhaupts:
Milizenführer Hemeti hat unklare politische Ziele
Mitte Juni, gerade einmal zwei Wochen nach der brutalen Niederschlagung des Protestlagers, lässt sich Hemeti in einem Konferenzzentrum in Khartoum feiern. Frauen aus der Umgebung halten Reden, winken mit Fähnchen, jubeln ihm zu:
"Wir kommen hierher zu unseren Vertretern, Al Burhan und Ahmed Hamdan Daglo. Wir wollen ihnen sagen, wir unterstützen sie und stehen ihnen bei. Denn diese Leute bringen uns Sicherheit, die wichtigste Sache für unser Land. Für uns ist Sicherheit wichtiger als das Essen."
Nicht alle in dem Konferenzzentrum sind davon überzeugt. In den hinteren Reihen machen sich einige Frauen über die Lobeshymnen lustig, bezeichnen die Rednerin auf der Bühne als "Lügnerin". Sie seien hier, weil sie Geld bräuchten, sagen sie – und deuten damit an, dass sie für ihr Kommen bezahlt werden. Ins Mikrofon wollen sie das allerdings nicht sagen. Dann ergreift Hemeti das Wort:
Hemeti spricht von der Einheit des Sudan. Doch welche politischen Ziele der Milizenführer verfolgt, ist unklar. Viele Oppositionelle dagegen fordern einen Rechtsstaat und eine Neuordnung der Streitkräfte. Sie bezweifeln, dass das mit Hemeti möglich ist – und fürchten, dass er seine wirtschaftlichen Pfründe sichern und deshalb das Land regieren will – wie sein Ziehvater Omar Al-Baschir.
Omar Al-Baschir ist nach 30 Jahren an der Macht inhaftiert
Der hatte sich 1989 an die Macht geputscht und ein islamistisches System errichtet – unterstützt von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Nachbarland Ägypten.
Abspaltungsbewegungen in der Provinz Darfur schlug Al-Baschir gewaltsam nieder. Gegen ihn liegen Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs vor: wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.
Im eigenen Land wurde Al-Baschir nach seinem Sturz inhaftiert und wegen Korruption angeklagt. Vetternwirtschaft ist im Sudan weit verbreitet.
Sudan laut Amnesty so korrupt wie Nordkorea
Auf der Liste von Transparency International rangiert der Sudan auf Platz 172 von 180 Ländern – zwischen Guinea-Bissau und Nordkorea. Auch deshalb ist die Universitätsdozentin und Aktivistin Hady Hassaballah monatelang gegen das alte Regime auf die Straße gegangen:
"Die Korruption im Sudan hat unvorstellbare Ausmaße erreicht; sie übertrifft jede Phantasie. Wir haben immer auf den Staatshaushalt geschaut, wie der Staat damit umging, und wie verschwenderisch er das Geld für die Streitkräfte und die Sicherheitskräfte ausgegeben hat. Am wenigsten wird für Bildung und Gesundheit ausgegeben – zwei Bereiche, die vernachlässigt werden. Das ist das, was bekannt ist. Aber was heimlich geklaut wurde, dürften Milliardenbeträge sein."
Während sich die politische Elite unter Al-Baschir bereicherte, verarmte die Bevölkerung: Etwa die Hälfte der Sudanesen lebt unterhalb der Armutsgrenze, muss also mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auskommen.
Bauern im Norden: Wir sind reich an Vieh und Goldminen
Im Norden der Hauptstadt Khartoum, dort, wo der Weiße und der Blaue Nil zusammenfließen, liegt die Insel Tuti. Viele Bauern leben hier, bauen bei Temperaturen um die 40 Grad Mais, Mangos und Zitronen an. Magdy Omar Ali Magdy beginnt seine Arbeit bei Sonnenaufgang:
"Mein Tag fängt an, wenn ich morgens um 4 Uhr hier ankomme. Ich melke die Kühe, schneide ihnen Klee ab, nehme die Milch und verkaufe sie."
Zehn Milchkühe besitzt er, dazu einige Schafe und Ziegen. Magdy arbeitet auf dem Feld, bis der Muezzin zum Abendgebet ruft – vierzehn Stunden täglich. So verdient er umgerechnet 150 US-Dollar im Monat. Mit dem Geld müssen er, seine Frau und die fünf gemeinsamen Kinder auskommen.
"Die Korruption ist das größte Problem im Sudan. Wir wären viel weiter, wenn es keine Korruption gäbe. Der Sudan könnte der Nahrungskorb der ganzen Welt sein. Die Korruption und die Instabilität haben das Land zerstört. Wir sind reich an Vieh und an Goldminen. Und das Wasser ist bei uns so viel wert wie Erdöl. Was dieses Land kaputt macht, sind die schlechten Menschen."
Alles, was sich Magdy wünscht, ist, seine Familie zu ernähren. Wie so viele Sudanesen hofft auch der 48-Jährige, dass sich die Wirtschaft im Land unter einer zivilen Regierung verbessert. Doch die Herausforderungen sind gewaltig: Der Sudan hat 30 Jahre Diktatur hinter sich. Bewaffnete Milizen und islamistische Bewegungen, die sich die Macht mit Al-Baschir geteilt haben, wollen ihren Einfluss sichern. Die Armut ist groß, die Wirtschaft sehr schwach – und die Erwartungen der Menschen sind hoch. Mohamed Mahmoud aus Khartoum hat ein klares Ziel vor Augen:
"Ich habe eine Botschaft an das Oppositionsbündnis und an den Militärrat: Wenn Ihr vernünftig arbeitet, ist alles okay. Aber wenn nicht: Schaut, was in den vergangenen vier oder fünf Monaten passiert ist. Wir werden auf die Straßen gehen – das vierte und das fünfte Mal, bis wir den Sudan bekommen, in dem wir leben wollen."
Das Militär, das Jahrzehnte lang den Sudan kontrollierte, hält die Fäden noch in der Hand. Die Generäle stehen unter Verdacht, ihre Macht sichern zu wollen, um ihre Privilegien nicht zu verlieren. Doch die Einigung zwischen Militär und Opposition, die politische Macht zu teilen, könnte ein erster Schritt sein in Richtung Demokratie.