Zeitgefühl der Unsicherheit
Der Pragerdeutsche Bestsellerautor Leo Perutz hat mit "Wohin rollst du, Äpfelchen ..." zwar keine bedeutende Literatur verfasst. Aber sein Roman ist ein wichtiges und erschütternd klares Zeitdokument aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Als Leo Perutz 1924 mit der Arbeit an seinem Roman "Wohin rollst du, Äpfelchen ..." begann, lag sein Durchbruch bei Lesepublikum und Kritik schon zwei Jahre zurück. Mit einem ordentlichen Vorschuss und Einkünften aus dem Bestseller "Der Meister des Jüngsten Tages" machte er sich gelassen an die Arbeit.
1928 wurde der Text in der "Berliner Illustrirten Zeitung" vorabgedruckt. Plakate an Litfaßsäulen kündigten die Folgen an – der Romantitel wurde bald zu einer stehenden Redewendung; er brachte offenbar das Zeitgefühl der ideologischen und materiellen Unsicherheit auf einen Nenner.
Perutz versuchte sich an einem Zeitroman über die letzten Jahre des Ersten Weltkriegs und der Revolutionswirren. Der Held ist der Offizier Georg Vittorin, der nach der russischen Kriegsgefangenschaft zurück zu seiner Wiener Familie kommt. Ein wenig droht er zu verweichlichen, da besinnt er sich auf seinen Schwur, Rache an dem Lagerkommandanten Seljukow zu üben, an dem "bösen Geist" einer entarteten Zeit. Ohne große Mittel stürzt er sich ins russische Revolutionswirrwarr wird verhaftet, eingezogen, wieder verhaftet. Schließlich gibt es eine Verfolgungsjagd durch das alte Europa und einen überraschenden Showdown.
"Wohin rollst du, Äpfelchen …" ist keine bedeutende Literatur. Sätze wie "Der Hurrikan des Lebens riss ihn mit sich fort und warf ihn aus einer Stadt in die andere" sollen über Dramaturgieschwierigkeiten hinwegführen. Manchmal kann man kaum auseinanderhalten, ob Perutz kolportiert, ob er eine expressionistische Atmosphäre erzeugen will, oder ob er schlicht Skizzen für fertigen Text nimmt. Der Roman ist dennoch zeithistorisch wichtig – und der Zsolnay Verlag ist in seiner Perutz-Ausgabe zu bestärken.
Erschütternd ist die klare Sicht auf den Horror der Revolution in Russland, auf die frühen Säuberungen der Bolschewisten. Aber der literarische Text wirkt zusammengeklebt, wie berechnet auf die einzelnen Folgen. Man könnte von einem mit Marketingmacht erzeugten Zweiterfolg sprechen, wäre der Autor nicht so interessant, der etwa in seinem Roman "St.-Petri Schnee" (1933) dem Zusammenhang von Mutterkorn-Rausch und Religion nachspürt.
Der Pragerdeutsche Leo Perutz, der mit seiner Familie 1899 nach Wien kam, ging 1938 ins Exil nach Tel-Aviv und verbrachte erst ab Anfang der 50er-Jahre wieder Zeit in Österreich. 1957 starb er in Bad Ischl.
Besprochen von Marius Meller
Leo Perutz: Wohin rollst du, Äpfelchen …
Roman. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Hans-Harald Müller
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2011
269 Seiten, 21,90 Euro
1928 wurde der Text in der "Berliner Illustrirten Zeitung" vorabgedruckt. Plakate an Litfaßsäulen kündigten die Folgen an – der Romantitel wurde bald zu einer stehenden Redewendung; er brachte offenbar das Zeitgefühl der ideologischen und materiellen Unsicherheit auf einen Nenner.
Perutz versuchte sich an einem Zeitroman über die letzten Jahre des Ersten Weltkriegs und der Revolutionswirren. Der Held ist der Offizier Georg Vittorin, der nach der russischen Kriegsgefangenschaft zurück zu seiner Wiener Familie kommt. Ein wenig droht er zu verweichlichen, da besinnt er sich auf seinen Schwur, Rache an dem Lagerkommandanten Seljukow zu üben, an dem "bösen Geist" einer entarteten Zeit. Ohne große Mittel stürzt er sich ins russische Revolutionswirrwarr wird verhaftet, eingezogen, wieder verhaftet. Schließlich gibt es eine Verfolgungsjagd durch das alte Europa und einen überraschenden Showdown.
"Wohin rollst du, Äpfelchen …" ist keine bedeutende Literatur. Sätze wie "Der Hurrikan des Lebens riss ihn mit sich fort und warf ihn aus einer Stadt in die andere" sollen über Dramaturgieschwierigkeiten hinwegführen. Manchmal kann man kaum auseinanderhalten, ob Perutz kolportiert, ob er eine expressionistische Atmosphäre erzeugen will, oder ob er schlicht Skizzen für fertigen Text nimmt. Der Roman ist dennoch zeithistorisch wichtig – und der Zsolnay Verlag ist in seiner Perutz-Ausgabe zu bestärken.
Erschütternd ist die klare Sicht auf den Horror der Revolution in Russland, auf die frühen Säuberungen der Bolschewisten. Aber der literarische Text wirkt zusammengeklebt, wie berechnet auf die einzelnen Folgen. Man könnte von einem mit Marketingmacht erzeugten Zweiterfolg sprechen, wäre der Autor nicht so interessant, der etwa in seinem Roman "St.-Petri Schnee" (1933) dem Zusammenhang von Mutterkorn-Rausch und Religion nachspürt.
Der Pragerdeutsche Leo Perutz, der mit seiner Familie 1899 nach Wien kam, ging 1938 ins Exil nach Tel-Aviv und verbrachte erst ab Anfang der 50er-Jahre wieder Zeit in Österreich. 1957 starb er in Bad Ischl.
Besprochen von Marius Meller
Leo Perutz: Wohin rollst du, Äpfelchen …
Roman. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Hans-Harald Müller
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2011
269 Seiten, 21,90 Euro