Zeitgenössische Blumenbilder

Von Volkhard App |
"Verlorenes Paradies" heißt die Ausstellung in Goslar, in der sich Fotografen mit Blumen auseinandersetzen. Blütenmotive am Computer zusammengesetzt, Bilder, denen am Schreibtisch die Farbe entzogen wurde - bei aller Technik soll die Natur aber nicht verloren gehen.
"Blumen reicht die Natur, es windet die Kunst sie zum Kranze”, schrieb kein Geringerer als Goethe, an der Museumswand ist das Zitat zu lesen. Doch konnte er nicht einmal ahnen, welchen technischen Aufwand Künstlerinnen und Künstler unserer Zeit treiben, um Blumen darzustellen. So sammelt Luzia Simons Blütenmotive in ihrem Computer und montiert sie dann vor schwarzem Hintergrund zu farbstarken großformatigen Bildern, die an herrliche Stilleben "alter Meister" erinnern. Simons:

"Das ist ein schönes Spiel mit einer neuen Technologie. Und diese Erinnerung an unsere westliche Welt vor drei oder vier Jahrhunderten ist wunderschön."

Fast schon ein kunsthistorisches Fanal, wie hier leuchtende Fotos die Malerei früherer Jahrhunderte fortführen. Natur im digitalen Zeitalter, Rosen und Anemonen von der Festplatte. Während Künstler wie Hans-Peter Feldmann Blumen mit Lust an der Ironie zu kitschig-bunten Postkartenmotiven verfremden, entzieht ihnen Vera Mercer durch Bearbeitung weitgehend die Farbe: Die riesigen Bilder sind ganz in Grautöne getaucht. Denn die Künstlerin sei an dem Thema Vergänglichkeit interessiert, sagt Bettina Ruhrberg, die Direktorin des Mönchehaus Museums:

" ... und dafür sind die Blumen immer schon ein Symbol gewesen: Tod, Verwelken, Vergänglichkeit. Und das läßt sich eben gut mit Schwarz-Weiß-Tönen symbolisieren."

Erstaunlich ist überhaupt, mit welcher Intensität sich Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart mit Blumenmotiven befassen:

"Vor allem im Bereich der Fotografie sind sie verstärkt zu sehen. Das hat sicherlich den Grund, dass wir in einem digitalen Zeitalter leben, immer von Bildern, von Fotografien umgeben sind, alles heute gepostet wird. Und darauf reagieren die Künstler mit ihren Strategien."

Aber bei dieser Entscheidung für Blüten schwingt wohl auch die Sehnsucht des Zivilisationsmenschen nach einer paradiesischen Natur mit. "Lost Paradise", in dem Ausstellungstitel klingt es an. Matthias Harder, Kurator der Berliner Helmut Newton - Stiftung war zur Eröffnung gekommen, um Motivforschung zu treiben - im wahrsten Sinn des Wortes. Diese Motive stehen jedenfalls in Blüte:

"Ein Grund: man beschäftigt sich immer wieder mit dem Begriff 'Schönheit‘ und reibt sich daran. Wir haben viel Kunst vor uns, die sich mit 'Vanitas‘ auseinandersetzt. Es ist eben nicht nur die Schönheit, sondern auch der Verfall. Einige Bilder sind im Verdorren aufgenommen - und so gibt es die unterschiedlichsten Aspekte."

So hat Michael Wesely das Werden und Vergehen durch extreme Langzeitbelichtung festgehalten: auf ein und demselben Foto erleben wir die Pracht der Tulpen und sehen zugleich, wie sie ihre Kraft verloren und sich zur Seite geneigt haben. Und die verdorrten Pflanzen auf den Fotos von Araki sind sogar dunkle Sinnbilder des Todes, wecken mit phallusähnlichen Formen aber auch erotische Assoziationen. Zu den Trägern des Kaiserrings der Stadt Goslar gehört der Filmregisseur David Lynch, der als Schöpfer unheimlicher Kino- und Fernsehfilme international berühmt ist, aber auch als Bildender Künstler Zeichen setzt. Auch von ihm gibt es Blumenmotive. Bettina Ruhrberg:

"Er verwendet im Grunde eine Technik, die er auch in seinen Filmen einsetzt: Nämlich die extreme Nahsicht auf die Dinge - und dadurch werden sie stark verfremdet und bekommen eine geheimnisvolle Dimension. Vergleichbar mit dem Film ‘Blue Velvet‘, in dem die Kamera am Anfang nahe an das Gras geht und die Ameisen sichtbar werden. Das macht er jetzt mit den Blumen auch so: Er geht ganz nahe ran und man sieht Strukturen, die man normalerweise nicht sieht. Und man sieht sie nur im Ausschnitt und sie bekommen tatsächlich eine geheimnisvolle Ausstrahlung."

Ein wenig aus dem Rahmen fallen auch die Fotos von Martin Klimas. Er hat auf Vasen schießen lassen und das Zerspringen der Gefäße mit Kürzestbelichtung festgehalten. Die Blumen wirken in diesem Moment noch statisch, während rundherum alles explodiert. Ob es sich bei diesen Arbeiten auch um einen Protest gegen bürgerliche Wohn- und Lebensformen handelt, lassen die Veranstalter offen. Jedenfalls führt diese Ausstellung eindrucksvoll vor Augen, wie Künstlerinnen und Künstler die technischen Möglichkeiten ausschöpfen, und welche stilistische Vielfalt dabei entsteht. Bleibt bei aller Sinnlichkeit und Originalität vielleicht doch eine Art Unbehagen? Eben weil Blumenmotive und digitale Technik bei den meisten Exponaten eng miteinander verbunden sind? Matthias Harder:

"Die Künstler arbeiten heute halt mit digitalen Hilfsmitteln. Ich würde dennoch nicht das Schlagwort 'Natur von der Festplatte‘ oder "auf der Festplatte" verwenden, sondern es sind unmittelbare Auseinandersetzungen mit der Natur, aber eben auch Stilisierungen. Und das macht das Ganze so interessant - und zeitgenössisch."
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