Zeitgenössische Sakralbauten

Von Adolf Stock |
Sakralbauten gehören zu den anspruchsvollsten Bauaufgaben in der Architektur. Sie müssen nicht nur funktionalen Ansprüchen genügen, sondern auch atmosphärisch stimmen und als spiritueller Raum überzeugen, und sie sind ein Spiegelbild des jeweiligen Glaubens. Wie Architekten weltweit diese Aufgaben in den letzten 40 Jahren umsetzten, zeigt der "Entwurfsatlas Sakralbau". Der von Rudolf Stegers herausgegebene Band porträtiert 69 Gottesdienstgebäude verschiedener Glaubensrichtungen.
Rudolf Stegers: "An sich ist das Zentrum einer Moschee ein einfacher schlichter Betsaal, der übrigens auch sehr viel weniger Ausstattung hat als eine Synagoge und erst recht sehr viel weniger Ausstattung als eine Kirche. Und drum herum bilden sich dann eben, abgesehen von der Teeküche, sehr häufig auch Läden, andere Räume für Glaubensunterrichte und so weiter und so fort."

In einer Moschee wird nicht nur gebetet, sagt der Architekturhistoriker Rudolf Stegers, sie ist auch ein soziales Zentrum. Und das hat Auswirkungen auf die Architektur.

Die Architekten Gottfried und Paul Böhm planen im Kölner Stadtteil Ehrenfeld eine neue Zentralmoschee. Es soll ein moderner Kuppelbau werden, flankiert von zwei schlanken Minaretten, die 55 Meter in die Höhe ragen. Unter der 35 Meter hohen Kuppel finden 1200 Gläubige Platz.

Die traditionelle Kuppel haben die Böhms neu interpretiert. Sie wird durch übereinander gelagerte Betonschalen gebildet und erinnert an eine fast noch verschlossene Blüte. Die Inspiration bekam Gottfried Böhm in Japan, sagt Wolfgang Voigt vom Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main:

"Er hat uns erklärt, dass die Idee ihm gekommen ist in einem Tempel, wo er eine Buddhafigur gefunden hat. Und diese Buddhafigur wird von einer Statue begleitet, und das ist irgendwie ein Diener oder ein Wächter, und der hält so ein Palmwedel, so beschützend, behütend über diesen Buddha und das hat ihn sehr berührt, und daraus entstanden diese Schalen."

Moscheebauten sind unvertraut, weil noch selten in Deutschland. Doch die Zeit der provisorischen Hinterhof-Moscheen ist vorbei, denn die 15 Millionen muslimischen EU-Bürger wollen auch architektonisch Selbstbewusstsein zeigen.

Die reiche Tradition christlich-abendländischer Sakralarchitektur ist uns dagegen bestens vertraut. Romanische, gotische oder barocke Kirchen stehen an prominenter Stelle in jeder historischen Stadt. Aber es gibt einen sehr alten Streit, ob eine Kirche als Rundbau oder als Langbau gebaut werden soll, erzählt Rudolf Stegers:

"Langbau muss man sich ganz einfach vorstellen als ein kastenartiges Gebäude. Das klassische Beispiel eben die Basilika, ein gerichteter Raum, wo es deutlich ein Vorne gibt und ein Hinten gibt. Man kommt vorne rein und hinten ist der Altar."

Der Kölner Dom oder die Backsteinkirchen in Norddeutschland sind typische Langbauten, sie werden auch Prozessionskirchen oder Wegkirchen genannt.

Rudolf Stegers: "Der Rundbau, da ist eben der gottesdienstliche Raum, ein zentrierter Raum, in dem der Altar von der Rückwand der Stirnwand oder der Apsis abgerückt ist, mehr im Mittelpunkt steht. Und diese Unterscheidung und auch diese Opposition wird plötzlich wieder ganz prominent mit der Reformation."

In den Rundbauten ist eine deutliche Spannung zwischen Kanzel und Altar zu spüren.

"Diese Opposition hat damit zu tun, dass Luther den Wortgottesdienst eine sehr viel größere Bedeutung beigemessen hat als es die katholische Kirche zuvor tat. Und es sind dann auch Lösungen gefunden worden, wie die Emporenkirche oder der Kanzelaltar. Die Emporenkirche - beinahe wie im Theater, erster, zweiter, dritter Rang aufsteigend - und der Kanzelaltar als eine Einrichtung, wo unten der Altar ist und darüber die Kanzel, sodass durch die baulich-räumliche Situation die Gleichwertigkeit dieser beiden Orte zum Ausdruck kommen sollte."

Rudolf Stegers: "Der wichtigste Unterschied ist, dass man gewöhnlicherweise sagen würde, eine katholische Kirche ist ein heiliger Raum auch außerhalb des Gottesdienstes. Auch wenn dort kein Gottesdienst stattfindet, ist dort die Gegenwart Gottes gleichsam stellvertretend in der Hostie gegeben, während in einer protestantischen Kirche die Gegenwart Gottes eigentlich nur dann gegeben ist, wenn der Gottesdienst stattfindet, wenn sich eine Gemeinde zum Gottesdienst konstituiert."

Bei den Protestanten steht die Gemeinde im Mittelpunkt, deshalb hatte Luther ein ganz pragmatisches Verhältnis zu Kirchenbauten, die nur dann einen Sinn haben, wenn dort auch gebetet wird.

"Und wo dieselbe Ursach auffhört, sollt man dieselben Kirchen abbrechen, wie man es mit allen anderen Häusern tut, wenn sie keinen Nutzen mehr haben."

Auf den ehemaligen Rieselfeldern bei Freiburg wurde ein ganz neuer Stadtteil gebaut. In der Mitte stehen ein Bürgerhaus und die ökumenische Maria-Magdalena-Kirche von den Architekten Lister, Scheithauer und Gross. Weil die Gemeinden immer kleiner werden und entsprechend gespart werden muss, haben sich Katholiken und Protestanten für einen gemeinsamen Kirchenbau entschieden.

Rudolf Stegers: "Es ist eine reine Betonstruktur, richtig Sichtbeton. Die Wände kippen leicht nach außen hin, was dem Ganzen natürlich eine sehr heftige Dynamik gibt. Es gibt den evangelischen Teil, es gibt den mittleren Teil, der wie eine Art von Passage ist, und es gibt den rechten Teil, welcher der katholische Teil ist."

Der Neubau erinnert an romanische Kirchen, er wirkt wie ein ferner, erratischer Block, der aus der Fremde auf die Erde gefallen ist.

Rudolf Stegers: "Was die Synagoge mit der Moschee gemein hat, ist dass sie auch ein soziales Zentrum ist. Das heißt, die Synagoge ist ein Ort des Betens und Lernens und Lehrens. "

Das Wort steht im Mittelpunkt. Für den gläubigen Juden gilt nur der Tempel in Jerusalem als heiliger Ort, der 70 nach Christus von den Römern zerstört worden ist.

Rudolf Stegers: ""Seither ist jede Synagoge im Grunde genommen immer nur ein Ersatzort, eine Ersatzstätte für den zerstörten Tempel. In neueren Synagogen herrscht eigentlich immer in irgendeiner Weise die Vorstellung vor vom Stiftszelt - ja, dem Zelt, in dem die Bundeslade steht und das die Juden von Ort zu Ort tragen - auf der einen Seite und dem Tempel in Jerusalem auf der anderen Seite. Und das eine ist dann natürlich, architektonisch gesprochen, ein sehr fragiler Ort, eben aus Textilien geschaffen, das Stiftszelt, und das andere ist der feste Ort, der Tempel, in dem Gott wohnt."

Das gilt auch für die Synagoge in Dresden, die nach einem Entwurf der Architekten Wandel, Lorch und Hirsch gebaut worden ist. Neuere Synagogen in Deutschland sind immer auch eine Form von Erinnerungs-Architektur. Allein durch ihre Existenz erinnern sie an die Shoah und an die Ermordung der Juden. Es sind gebaute Zeichen, die Vernichtung und Barbarei überwinden.


Literatur:
Rudolf Stegers (Hg.): Entwurfsatlas Sakralbau. Basel, Bosten, Berlin (Birkhäuser Verlag) 2008, 247 Seiten, 80 farb., 920 s/w Abbildungen, Zeichnungen u. Pläne, Großformat 24 x 33 cm, 89.90 Euro