Zeitgenössisches Meisterwerk
Bereits mit "Ghomorra" ist dem 1979 geborenen italienischen Autor Roberto Saviano ein Meisterwerk gelungen, jetzt legt er mit "Das Gegenteil von Tod" noch eines nach. Während sich der Erfolg von "Ghomorra" noch auf dessen spektakulären Inhalt über die Mechanismen der neapolitanischen Mafia gründet, so zeigt er sich jetzt mit "Das Gegenteil von Tod" als einer der eindringlichsten Literaten im zeitgenössischen Italien.
Mit diesem schmalen Bändchen hat Roberto Saviano ein Meisterwerk geschaffen. Konnte man den nahezu überwältigenden Erfolg seines Erstlings, "Ghomorra", noch durch das Sujet und die spektakulären Informationen erklären, die der Autor dort über die Mechanismen der neapolitanischen Spielart der Mafia preisgibt, so zeigt er sich jetzt als einer der eindringlichsten Literaten im zeitgenössischen Italien.
Wie schon in "Ghomorra" ist der Ich-Erzähler in "Das Gegenteil von Tod" Teil der Welt, von der er berichtet. Wie der in Afghanistan gefallene Gaetano trägt auch er die militärische Erkennungsmarke ständig um den Hals, und die Journalistin, die Giuseppe und Vincenzo für Mitglieder der Camorra statt für deren Opfer hält, ist eine Jugendfreundin.
Einzelschicksale waren es bereits, die Savianos Schilderungen im ersten Buch so anschaulich machten, zum Beispiel die Wut des Meisterschneiders Pasquale, der für einen Hungerlohn und selbstverständlich anonym einen schneeweißen Hosenanzug für ein berühmtes Mailänder Modehaus gefertigt hatte, in dem er dann Angelina Jolie über den roten Teppich bei der Oscar-Verleihung schreiten sieht.
In seiner Erzählung nun geht es Saviano nicht mehr um die Offenlegung konkreter Missstände, wenngleich diese die Basis für das Geschehen bilden, nämlich den gewaltsamen Tod junger Männer aus einer der ärmsten Regionen Süditaliens. Es sind junge Männer, die den schwierigen, den ehrlichen Weg gehen wollen und gehen, aber eben nicht weit kommen, bevor der Tod ihrem Leben ein jähes, gewaltsames Ende setzt.
Gaetano, der wie viele seiner sonst weitgehend chancenlosen Landsleute die Armee als Arbeitgeber wählt und durch einen Auslandseinsatz hofft, genügend Geld für die Eheschließung mit Maria zu verdienen, fällt in Afghanistan. Giuseppe und Vincenzo verdienen als Schreiner und Maurer mühsam einen kargen Lohn. Sie stehen zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort und werden allein aus diesem Grund von den Killern der Camorra hingerichtet.
Das Gegenteil von Tod, von diesen grausamen, sinnlosen Todesfällen indes ist die Liebe, die Liebe von Gaetanos Braut, die ihr Hochzeitkleid, in dem sie dann nie an den Altar treten konnte, schon probiert hatte. Die Liebe der Mutter Giuseppes manifestiert sich in stoischem Wahnsinn. Sie
"verbringt seither den ganzen Tag auf der Straße. Sie sitzt auf einem Stuhl neben der Sportbar und fragt jeden, dessen Blick den ihren kreuzt: 'Könntest du Giuseppe sagen, er soll rauskommen? Er kommt abends immer so spät nach Hause. Und morgen muss er arbeiten.' Und der Angesprochene antwortet: 'Ich werd's ihm sagen' und geht schnell weiter. Die Frau blickt den Schritten nach, solange ihre kurzsichtigen Augen etwas erkennen oder bis dieser Jemand um die Ecke verschwunden ist. Dann dreht sie langsam den Kopf zurück, senkt ihn und wartet weiter."
So endet dieses Buch, mit dem Saviano uns in eine Welt führt, die weder im 21. Jahrhundert noch in Europa zu liegen scheint, und in seiner schlichten, unpathetischen Sprache gelingt es ihm, uns fremdes Leid so nahezubringen, dass wir beinahe vergessen, uns ob der Ungerechtigkeit, die es verursacht, zu empören.
Rezensiert von Carolin Fischer
Roberto Saviano: Das Gegenteil von Tod
Deutsch von Friederike Hausmann und Rita Seuß
Hanser Verlag, München 2009
72 Seiten, 10 Euro
Wie schon in "Ghomorra" ist der Ich-Erzähler in "Das Gegenteil von Tod" Teil der Welt, von der er berichtet. Wie der in Afghanistan gefallene Gaetano trägt auch er die militärische Erkennungsmarke ständig um den Hals, und die Journalistin, die Giuseppe und Vincenzo für Mitglieder der Camorra statt für deren Opfer hält, ist eine Jugendfreundin.
Einzelschicksale waren es bereits, die Savianos Schilderungen im ersten Buch so anschaulich machten, zum Beispiel die Wut des Meisterschneiders Pasquale, der für einen Hungerlohn und selbstverständlich anonym einen schneeweißen Hosenanzug für ein berühmtes Mailänder Modehaus gefertigt hatte, in dem er dann Angelina Jolie über den roten Teppich bei der Oscar-Verleihung schreiten sieht.
In seiner Erzählung nun geht es Saviano nicht mehr um die Offenlegung konkreter Missstände, wenngleich diese die Basis für das Geschehen bilden, nämlich den gewaltsamen Tod junger Männer aus einer der ärmsten Regionen Süditaliens. Es sind junge Männer, die den schwierigen, den ehrlichen Weg gehen wollen und gehen, aber eben nicht weit kommen, bevor der Tod ihrem Leben ein jähes, gewaltsames Ende setzt.
Gaetano, der wie viele seiner sonst weitgehend chancenlosen Landsleute die Armee als Arbeitgeber wählt und durch einen Auslandseinsatz hofft, genügend Geld für die Eheschließung mit Maria zu verdienen, fällt in Afghanistan. Giuseppe und Vincenzo verdienen als Schreiner und Maurer mühsam einen kargen Lohn. Sie stehen zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort und werden allein aus diesem Grund von den Killern der Camorra hingerichtet.
Das Gegenteil von Tod, von diesen grausamen, sinnlosen Todesfällen indes ist die Liebe, die Liebe von Gaetanos Braut, die ihr Hochzeitkleid, in dem sie dann nie an den Altar treten konnte, schon probiert hatte. Die Liebe der Mutter Giuseppes manifestiert sich in stoischem Wahnsinn. Sie
"verbringt seither den ganzen Tag auf der Straße. Sie sitzt auf einem Stuhl neben der Sportbar und fragt jeden, dessen Blick den ihren kreuzt: 'Könntest du Giuseppe sagen, er soll rauskommen? Er kommt abends immer so spät nach Hause. Und morgen muss er arbeiten.' Und der Angesprochene antwortet: 'Ich werd's ihm sagen' und geht schnell weiter. Die Frau blickt den Schritten nach, solange ihre kurzsichtigen Augen etwas erkennen oder bis dieser Jemand um die Ecke verschwunden ist. Dann dreht sie langsam den Kopf zurück, senkt ihn und wartet weiter."
So endet dieses Buch, mit dem Saviano uns in eine Welt führt, die weder im 21. Jahrhundert noch in Europa zu liegen scheint, und in seiner schlichten, unpathetischen Sprache gelingt es ihm, uns fremdes Leid so nahezubringen, dass wir beinahe vergessen, uns ob der Ungerechtigkeit, die es verursacht, zu empören.
Rezensiert von Carolin Fischer
Roberto Saviano: Das Gegenteil von Tod
Deutsch von Friederike Hausmann und Rita Seuß
Hanser Verlag, München 2009
72 Seiten, 10 Euro